Kommentar:Handeln, jetzt

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Die einen prophezeien die nächste Weltwirtschaftskrise, die anderen einen anhaltenden Job-Boom in Deutschland. Die Lage ist verworren. Nichtstun kann nicht die Lösung sein, Panik auch nicht, besonnenes Handeln schon.

Von Michael Kläsgen

Diffuser könnte die Lage kaum sein. Der Dax ist in den vergangenen Wochen so stark zurückgegangen wie seit Langem nicht mehr, manche sagen, seit der Weltwirtschaftskrise 2008. Das Wort von der nächsten großen Krise macht die Runde. Gleichzeitig prognostizieren die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute einen anhaltenden Beschäftigungsboom für 2019. Eine Rezession sei nicht in Sicht; der Konjunktureinbruch im Sommer 2018 sei nur eine "Delle" gewesen.

Was stimmt denn nun? Kommt sie jetzt, die Krise, oder nicht? Im Grunde ist es müßig, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Niemand kann in die Zukunft schauen. Aber nur deswegen im Nichtstun zu verharren, wäre auch falsch. Klüger wäre es, Entwicklungen zu antizipieren und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. "Krisen" können so auch zu Chancen werden. Anleger, die vor Wochen etwa auf einen sinkenden Dax setzten, taten das auf ihre Weise.

Niemand soll hinterher behaupten, er hätte nichts kommen sehen

Eher unabsichtlich, weil vor dem Abschwung-Geraune beschlossen, hat auch die Bundesregierung das Richtige gegen eine mögliche Krise getan. Sie stärkt mit verschiedenen Erleichterungen zum Jahreswechsel den privaten Konsum. Rentner, Langzeitarbeitslose, Singles und Familien, kurzum: Sehr viele Bundesbürger werden in diesem Jahr dank gestiegener Transferleistungen, Steuererleichterungen oder höherer Löhne mehr Geld zur Verfügung haben. Wenn sie es nicht sparen, sondern ausgeben, hilft das der Konjunktur. Die Binnennachfrage ist neben dem Export schon in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Träger der Wirtschaftsleistung in Deutschland geworden. Falls es zu einem längeren Abschwung kommen sollte, wäre der Konsum ein probates Mittel, ihn abzufedern.

Deutschland könnte hier noch mehr tun, nicht nur die Bundesregierung, sondern auch Industrieunternehmen, indem sie Produktivitätsgewinne in Form weiter steigender Löhne an die Arbeitnehmer weitergeben, um so die Kaufkraft zu stärken und das Vertrauen der Menschen in die eigene Leistungsfähigkeit zu stärken. In vielen Betrieben ist gegenwärtig leider das Gegenteil zu beobachten. Firmen verschieben Investitionsprogramme, sie planen aus Furcht vor einer konjunkturellen Eintrübung, Kosten noch schneller zu senken, als noch vor wenigen Monaten beabsichtigt. In den Beratungsfirmen sind wieder die Schlechtwetter-Experten gefragt. Die Gefahr ist groß, dass die Krise auf diese Weise herbeigeredet wird, statt Vorkehrungen dafür zu treffen, sie zu meistern, falls sie denn kommt. Das wäre das Schlimmste, was passieren könnte. Wirtschaft ist zwar auch Psychologie, aber eben nur zum Teil.

Gewiss liegt vieles außerhalb des Einflusses der deutschen Wirtschaft: Weder kann sie den Brexit abwenden, noch den Handelskonflikt zwischen den USA und China schlichten oder die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank bestimmen. Gerade deswegen sollte sie sich auf das besinnen, was in ihrer eigenen Hand liegt. Dazu gehört derzeit an erster Stelle, sich vorausschauend auf das vorzubereiten, was kommen könnte und nicht in Angststarre vor dem großen Ungewissen zu verfallen.

Auch wenn niemand in die Zukunft schauen kann, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der seit fast zehn Jahren andauernde und damit überaus lange Wirtschaftsaufschwung in Deutschland, in seine Endphase tritt. Das Land durfte sich zu den wenigen Staaten in Europa zählen, denen es nach der Krise 2008 relativ gut ging, zumindest, wenn man das Bruttoinlandsprodukt als Richtschnur nimmt. Mit umsichtigem und präventivem Handeln könnte es noch ein bisschen so weitergehen. Die Voraussetzungen dafür sind günstig. Deutschland steht heute - mit Ausnahme einzelner Industriezweige wie der Autoindustrie - wirtschaftlich besser da als 2008. Die Arbeitslosigkeit ist relativ gering, die Staatsverschuldung auf akzeptablem Niveau und das Bankensystem weitgehend stabilisiert, auch wenn einzelne Banken geschwächt sind.

Nur: Ein bisschen Konsumförderung, die dem kalendarischen Zufall geschuldet ist, wird als Gegengift nicht reichen. Davon bräuchte es staatlicherseits mehr, vor allem mehr Geplantes, das im Falle eines Falles abgerufen werden kann. Für Unternehmen ist es etwas schwieriger als für die Regierung, sich auf die verworrene Lage einzustellen. Ein Rezept für alle gibt es nicht. Nur soll hinterher niemand behaupten, er hätte nichts kommen sehen und müsse deswegen zum üblichen Instrument: Stellenabbau greifen. Die Zeit zum Handeln war da. Sie ist jetzt.

© SZ vom 03.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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