Kommentar:Handel statt Krieg

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Deutsche Firmen leiden unter den Wirtschaftssanktionen. Am meisten aber schaden die russischen Gegensanktionen den Russen selbst. Es muss also etwas geschehen. Reden und Handel treiben ist besser, als Auseinandersetzungen zu führen.

Von FRANZISKA AUGSTEIN

Unternehmen stellen Maschinen, Autos, Halbleiter und vieles andere her. Was sie nicht produzieren: Sanktionen. Die fabriziert die Politik. Die Europäische Union will die Sanktionen gegen Russland fortsetzen. Das stört deutsche Unternehmer: Die meisten von denen, die im Russland-Geschäft unterwegs sind, haben das Gefühl, Russland leide darunter weniger als sie selbst. Und wer hat ihnen das eingebrockt? Angela Merkel, klagen sie, und die USA, deren Ratschlägen Merkel gerne folge.

Deutsche Unternehmer haben recht, wenn sie mit Bezug auf die USA denken: Bleichgesichter reden mit gespaltener Zunge. Die US-Sanktionen sind auf dem Papier schärfer als die europäischen, aber großzügige Ausnahmen werden gemacht. Zudem kann von regem Wirtschaftsaustausch zwischen den USA und Russland keine Rede sein. Die Gesamt-Wirtschaft der USA leidet nicht unter den Sanktionen, die sind statistisch unerheblich. Die US-Regierung hat also leicht reden, wenn sie die EU dazu anhält, die Sanktionen fortzuführen. Viele deutsche Unternehmen indes sind in Russland stark engagiert, im Jahr 2014 waren es 6000, ihre Zahl ist wegen der Sanktionen mittlerweile auf 5600 gesunken. Sie und auch Firmen in den europäischen Nachbarländern sind die Leidtragenden.

Wenn sich 2017 die russische Wirtschaft belebt, ist das auch US-Unternehmen zu verdanken

Die Obama-Regierung will die Sanktionen gegen Russland vermutlich nicht so sehr wegen Russlands Annexion der Krim aufrechterhalten, sondern um zu zeigen, wo der Bartel den Most holt. Der US-Außenminister Kerry und der russische Außenminister Lawrow können trotzdem aufs Beste miteinander verhandeln. Sie müssen sich auf den vielen Fotos von ihren vielen Treffen nicht küssen, damit das wählende Fußvolk sieht: Hier kommen zwei Diplomaten gut miteinander zurecht. Die USA und Russland waren federführend dabei, einen Ausgleich mit Iran zu schaffen und das Land auf dem internationalen Parkett wieder salonfähig zu machen. Die USA haben es - mehr oder minder heimlich - Russland gedankt, dass es mit seinen militärischen Einsätzen gegen den IS und andere Assad-Gegner nicht zuließ, Syrien zu einem weiteren "failed state" zu machen.

Deutsche Experten und die Lobbyisten der deutschen Wirtschaft meinen, die Sanktionen gegen Russland würden nicht greifen. Zwar sind Finanzierungen schwieriger geworden, seit Putins Gegensanktionen es europäischen Unternehmen oftmals verbieten, auf westliche Banken zurückzugreifen, wenn sie in Russland investieren wollen. Das kratzt die Unternehmen. Insgesamt schaden vor allem die russischen Gegensanktionen den Russen: Auch weil aus dem Westen keine Lebensmittel mehr importiert werden, gehen die Preise für Lebensmittel in die Höhe.

Das eigentliche Übel für Russland ist der gesunkene Ölpreis. Seitdem aber viele Unternehmen - vor allem in den USA -, die sich auf die Produktion aus Ölschiefer konzentrieren, ihre Förderung eingestellt haben, ist der Ölpreis gestiegen. Für das Jahr 2017 wird eine Belebung der russischen Wirtschaft erwartet. Das wäre dann auch den amerikanischen Unternehmen zu danken, die sich für Russlands Schicksal nicht interessieren.

Deutsche Unternehmer halten sich - mit wenigen Ausnahmen - im Hinblick auf ihr Russland-Geschäft bedeckt, nur wenige kommen zum Petersburger Wirtschaftsforum diese Woche. Die Firmen sind in Sorge, ihre Investitionen in Russland könnten scheel angesehen werden. Soviel zu der Behauptung, die Deutschen seien quasi erbliche Russland-Versteher. Der Kanzler a. D. Gerhard Schröder ist einer der wenigen echten "Putin-Versteher". Er fühlt sich mit dem russischen Präsidenten befreundet. Die meisten Putin- oder Russland-Versteher stützen sich auf vier Punkte: Russland ist das allergrößte Land der Welt. Das wissen die Russen und sind auf ihre Geschichte stolz - Stalin und den "Großen Vaterländischen Krieg" eingeschlossen. Zum Zweiten ist es mehr als schwierig, so ein Riesenreich zu lenken, das autokratisch geführt wurde, bis es 1991 in die Demokratie wackelte, in Sachen Korruption aber jahrhundertelange Expertise hat. Daraus folgt, zum Dritten, dass man von Russland nicht erwarten kann, sich demokratisch so aufzuführen, wie die Niederlande es tun, die am meisten aus Russland importieren. Und: Russland ist reich an Bodenschätzen, aber jenseits militärischer Innovation arm an Know-how.

Die Philosophen der schottischen Aufklärung im 18. Jahrhundert betrachteten es als zivilisatorischen Fortschritt, den Handel anstelle des Kriegführens treten zu lassen. In ihrem Geist denken und arbeiten, ob sie es wissen oder nicht, deutsche Unternehmer.

© SZ vom 13.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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