Kommentar:Grenzen des Wachstums

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Immer öfter werden Autos oder Sofas geteilt. Das ist auch gut so. Plattform-Ökonomie macht die Welt aber nicht unbedingt besser. Die Unternehmen müssen um jeden Preis wachsen, walzen Konkurrenten nieder und zerstören etablierte Geschäftsmodelle.

Von Helmut Martin-Jung

Bei Leuten schlafen, die ein Zimmer oder auch nur ein Sofa frei haben. Für kleines Geld in privaten Autos mitfahren oder in Fernbussen. Mit Menschen in Kontakt bleiben, auch wenn man sich nicht dauernd sieht. Von kleinen Händlern kaufen, die man kaum je selber gefunden hätte. Wer könnte schon etwas gegen diese und ähnliche Ideen haben? Nein, das waren und das sind gute Ideen.

Aber es kommt schon darauf an, was man daraus macht. Und da zeigt sich: Viele der Unternehmen, die mit solchen Ideen groß geworden sind, haben ihr menschenfreundliches Verhalten längst abgelegt, wenn sie denn je eines hatten. Die Gesellschaft muss sich das nicht bieten lassen. Auch gegen diese neuen Unternehmen ist ein Kraut gewachsen, es heißt Rechtsstaat. Der ist nur nicht immer der Schnellste.

Aber warum gehen die guten Ideen, die doch "die Welt zu einem besseren Ort machen" sollten, auf dem Weg verloren? Nun, dieser Weg ist ein harter. Nur wenn diese Unternehmen - man nennt sie Plattformen - möglichst alles an sich reißen, sind sie erfolgreich. Wachstum um jeden Preis ist für sie mit das Wichtigste. Nur wenn sie der größte Fisch im Teich sind, können sie sich behaupten, können zu enormer Größe heranwachsen. Wenn dann (gefühlt) alle bei Facebook sind, wenn alle über Whatsapp chatten, alle bei Amazon bestellen und über Airbnb buchen, ist es schwer, diese Plattformen zu umgehen. Und die Konkurrenten sind fast ohne Chance, wenn die Platzhirsche erst einmal ein Vielfaches größer geworden sind als sie selbst.

Weil der Weg hart ist, weil ihnen die Investoren im Nacken sitzen, treten viele der Plattform-Unternehmen im Wettbewerb mit großer Härte auf, walzen Konkurrenten nieder, zerstören etablierte Geschäftsmodelle. Der Name eines umstrittenen Fahrdienstes ist zum geflügelten Wort für diese Entwicklung geworden: Uberisierung wird es oft genannt, wenn eine Branche durch ein Plattform-Unternehmen aufgemischt wird.

Doch es regt sich Widerstand. Mit New York hat nun sogar die erste US-Großstadt Uber einen Riegel vorgeschoben. Nicht bloß, weil die Cabbies bedroht sind, die Fahrer der berühmten gelben Taxis. Sondern auch weil durch die Konkurrenz der Fahrdienste die ohnehin notorisch verstopften Straßen noch mehr belastet werden. Facebook steht in der Kritik, weil es Probleme hat mit Hasstiraden, mit Fake-Konten und seiner Gier nach Daten. Viele Städte, zum Beispiel Berlin oder Barcelona, gehen gegen Airbnb vor, weil mehr und mehr Immobilienbesitzer ihre Wohnungen gewerbsmäßig über die Plattform anbieten und dadurch das Angebot für einheimische Wohnungssuchende verknappen und ergo verteuern.

Die Crux bei vielen Unternehmen der Plattform-Ökonomie ist, dass sie auf der einen Seite sehr gut funktionierende Dienstleistungen erbringen. Ausschließlich von der Kundenseite her betrachtet, wird man in der Regel gut bedient von Uber, Amazon, Airbnb und Co. Manche argumentieren daher, die durcheinandergewirbelten Branchen müssten eben selbst zusehen, wie sie im Wettbewerb bestehen. Sie führen den Ökonomen Schumpeter und dessen schöpferische Zerstörung ins Feld; das bessere Neue ersetzt das behäbig gewordene Alte. Doch das trifft es nur zu einem Teil.

Der Staat muss eingreifen, wo wirtschaftliches Handeln dem Gemeinwohl schadet

Ja, die alteingesessenen Unternehmen dürfen sich nicht ausruhen, dürfen nicht nur nach dem Staat rufen, wenn ihnen unerwartete Konkurrenz droht, die sie höchstwahrscheinlich übersehen haben. Dürfen nicht Kosten auf die Allgemeinheit abwälzen, bloß weil sie eine Entwicklung verschlafen haben. Sie müssen sich schon selbst weiterentwickeln.

Einige der Plattform-Unternehmen aber stürzen nicht bloß überkommene Geschäftsmodelle um, sie bringen auch eine Menge an negativen Begleiterscheinungen mit sich. Die schier unerschöpfliche Warenwelt von Amazon wird von Niedriglöhnern verpackt und ausgeliefert, Facebook erweist sich als Instrument der Meinungsmanipulation, sammelt Unmengen an Daten sogar von Nutzern, die nicht einmal Mitglied der Plattform sind.

Staatliche Regulierung kommt Entwicklungen wie diesen oft nur mühsam hinterher, zumal sich die Wirtschaft schneller ändert denn je. Der Staat sollte auch nicht versuchen, den Fortschritt aufzuhalten. Aber er muss eingreifen, wo wirtschaftliches Handeln dem Gemeinwohl zuwiderläuft, wo es Ungerechtigkeiten schafft. Das geht. Berlin etwa kämpft rigoros gegen die Zweckentfremdung von Wohnraum. Auch den Giganten aus dem Internet lassen sich Grenzen setzen.

© SZ vom 13.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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