Kommentar:Gefährlich brav

Lesezeit: 3 min

Die Geldmarktfonds sind nur ein Beispiel unter vielen, die zeigen, wie lasch Europa bei der Zähmung der Finanzmärkte vorgeht. Die Bürger wissen bis heute nicht, was in den Finanzhäusern vor sich geht, für deren Rettung sie gezahlt haben.

Von alexander hagelüken

Das Europäische Parlament stimmt in dieser Woche darüber ab, wie es mit bestimmten Fonds umgeht. Diese Geldmarktfonds geraten zu leicht in Not, wenn zu viele ihrer Kunden ihr Geld ausgezahlt haben wollen. In der Finanzkrise 2008 sorgte das für gefährliche Turbulenzen, auf beiden Seiten des Atlantiks. Doch wie es aussieht, ziehen die Brüsseler Abgeordneten aus diesen Problemen nur lasche Konsequenzen. Dabei war das Parlament doch in den vergangenen Jahren weltweit ganz vorne, wenn es um die Zähmung der Märkte ging.

Ist eben lange her, die Finanzkrise. Oder? Manipulationen und irrwitzige Risiken, die am Ende Arbeitnehmer und Steuerzahler ausbaden: Eine Sache der Vergangenheit. Das ist jedenfalls, was einem jene Geldgewerbler einreden wollen, die staatliche Kontrolle scheuen - aber auf staatliche Hilfe pochen, wenn es schiefläuft. Hat aus ihrer Sicht ja schon mal funktioniert: Sie genießen die Profite und Boni aus den wilden Jahren vor der Finanzkrise in der Regel ungeschmälert. Und pleite gehen ließ der Staat auch kaum ein Geldhaus.

Lange her, der große Crash? Von wegen. Wer sich umschaut, entdeckt überall seine Spuren. Gerade musste die Deutsche Bank eine Rekordstrafe dafür bezahlen, dass Mitarbeiter den globalen Musterzinssatz Libor manipulierten, der Millionen Sparer betrifft. Wie zu erwarten, beteuert die Führungsriege totale Ahnungslosigkeit - und betont, dass sie heute alles anders mache. Dass wohl mindestens 30 Mitarbeiter von Deutschlands größtem Geldhaus involviert waren, zeigt das Ausmaß des Schwindels. Unangenehm fällt auf, dass die Aufsicht die Bank kritisiert: Sie habe sich viel zu viel Zeit gelassen, Dokumente herauszurücken und ihre Kontrollen zu verschärfen. Das passt schlecht zu einer Bank, die heute angeblich alles anders macht.

Die Bürger, die für die Finanzkrise zahlten, wissen bis heute kaum, was wirklich in den Geldhäusern vorgeht. Deshalb ist es eine schlechte Nachricht, dass demnächst in Europa wohl endgültig der Plan versanden wird, gefährliche Teile der Banken abzuspalten.

Trotzdem wird jeder, der kein Ideologe ist, all den Anshu Jains des Kontinents eines zugestehen: Die Regeln für ihr Gewerbe sind schärfer geworden. Wer die nächste Finanzkrise verhindern will, muss deshalb längst über die Banken hinausblicken. Riskante Geschäfte treiben auch andere. Gerade wurde ein Händler verhaftet, der von einem Londoner Vorort aus die Märkte manipulierte - und zwar so gewaltig, dass er 2010 zum Flash Crash beigetragen haben soll, der den Dow-Jones-Index binnen Minuten um zehn Prozent abstürzen ließ. Wie kann ein Selfmade-Trader zu Hause, bei einer Tasse Earl Grey, Multimilliarden-Börsen bewegen?

Verstörend an dem Fall ist auch, dass der Mann erst jetzt aufflog - und bis vergangenes Jahr seinen Geschäften nachging. Wenn sich das Geld von Millionen Anlegern so leicht herumschütteln lässt, scheint der nächste Crash nicht mehr weit. Was solche Manipulationsversuche angeht, muss man das Schlimmste annehmen, erklärte gerade der Chef der US-Tech-Börse Nasdaq. Man müsse geradezu paranoid sein. Sagt der Börsenchef. Ist die Aufsicht in einem guten Sinne paranoid, also überwachsam geworden, was die Gefahr neuer Finanzkrise angeht?

Man müsse geradezu paranoid sein. Sagt der Börsenchef

Zweifel sind erlaubt. In Europa ringen gerade Lobbyisten mit Politikern um die Frage, wie scharf der Turbohandel an den Börsen wirklich eingeschränkt wird. Und was ist eigentlich aus den Ankündigungen geworden, die Schattenbanken zu zähmen, die schwächeren Kontrollen unterliegen als normale Geldhäuser?

Die Behandlung dieses Sektors ist zu einem Testfall geworden, wie ernst die Politiker die Zähmung der Finanzmärkte noch nehmen. Längst haben die Schattenbanken ein Drittel des globalen Geschäfts erobert. Und ja, Europa hat manches Gesetz beschlossen. Zum Beispiel, um zu erfassen, welche Risiken sich bei globalen Finanzfirmen aufbauen, die wie der Hedgefonds LTCM 1998 die Welt rasch an den Abgrund bringen können. Doch aus dem Alltag der Aufseher ist zu hören, wie schwer sie es haben, wirklich an aussagekräftige Daten zu kommen.

Ach ja, die Geldmarktfonds, über die das EU-Parlament diese Woche abstimmt, gehören auch zu den Schattenbanken. Wie es aussieht, haben ihre Lobbyisten es geschafft, allzu strenge Regeln kommod abzubiegen.

© SZ vom 28.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: