Kommentar:Es wird Zeit

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Wenn die Regierung ihr Ziel erreichen will, eine Million Elektroautos auf die Straße zu bringen, dann muss bald etwas passieren. Das Chaos in der Koalition bei der Förderung lässt dafür nichts Gutes erahnen. Aber auch die Hersteller müssen liefern.

Von Markus Balser

Wie ernst es die Regierung mit der Förderung der Elektroautos meint? Die Parkplätze der Berliner Ministerien liefern darauf die schonungsloseste Antwort. Als einziger Ressortchef nutzt Verkehrsminister Alexander Dobrindt einen E-Dienstwagen. Sein Haus kommt auf ein Drittel Elektroautos. Alle anderen schneiden deutlich schlechter ab. Das Kanzleramt hat von 27 Autos nur zwei E-Mobile in der Flotte. Die Ministerien für Familie, Justiz und Verteidigung kein einziges. Die rückständigen Flotten im Regierungsviertel stehen stellvertretend für die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der deutschen Verkehrspolitik. Bis zum Jahr 2020 sollen auf Deutschlands Straßen eigentlich eine Million Elektrofahrzeuge unterwegs sein, so das ehrgeizige Ziel der Bundesregierung im Jahr 2009. Doch es bewegt sich wenig. Das Ziel droht deshalb krachend zu scheitern. Denn bislang gibt es in Deutschland gerade mal 30 000 reine Elektroautos - eine Durchdringung unterhalb des Promillebereichs.

Bis Februar soll die Förderung stehen - es ist die letzte Chance, das große Ziel zu erreichen

Dass das Tempo der Verkehrswende hierzulande die Schrittgeschwindigkeit nie übertroffen hat, ist für Politik wie Wirtschaft ein Debakel. Deutschlands wichtigste Industrie müsste eigentlich schon im eigenen Interesse in hohem Tempo durchstarten. Es geht um die Positionierung auf einem neuen Weltmarkt. Und der wird nicht länger allein von VW, Daimler oder Toyota bestimmt. Wandlungsfähige IT-Unternehmen wie Apple, Google oder Samsung wollen mitreden. Ganz zu schweigen von neuen Akteuren wie dem US-Autohersteller Tesla.

Der Druck auf einen radikalen Umbau von Konzernen und Verkehrsinfrastruktur wächst - nicht nur, weil die Konkurrenz ein neues Tempo einschlägt. Das Drehbuch des Wandels trägt den Titel "Dekarbonisierung der Wirtschaft". Geschrieben haben es Spitzenpolitiker auf dem Klimagipfel von Paris im Dezember und dem G-7-Gipfel von Elmau im Sommer. Es sieht den Abschied von fossilen Energieträgern bis zur Mitte dieses Jahrhunderts vor. Und es stellt nicht nur Branchen wie den Energie-, sondern auch den Autosektor auf den Kopf.

Sicher ist: Der Strukturwandel wird kommen. Viel Zeit bleibt der deutschen Autoindustrie für den eigenen Wandel nicht. Vieles spricht dafür, dass die Dieselaffäre, neue Konkurrenz und auch der Druck der Investoren die Entwicklung beschleunigen. Unabhängige Beratergremien der Regierung haben das erkannt und schlagen zu Recht Alarm. Sie fürchten: Die deutsche Industrie könnte das Rennen um den Zukunftsmarkt schon auf den ersten Kilometern verlieren.

Die Verantwortung für gebremsten Aktionismus trägt zum einen die Politik. Die Bundesregierung hat beim Thema E-Mobilität viel versprochen, aber nur wenig gehalten. Von der "Nordsee bis an die Zugspitze" solle man elektrisch fahren und tanken können, hieß es vor zwei Jahren, als der Bund eine Initiative für den Infrastrukturausbau auflegte. Geschehen ist seither zu wenig. Doch auch die Branche selbst verschleppte den Umbau zu lange und wollte lieber den Verkauf der entwickelten Benzin- und Dieselmodelle ausreizen. Erst jetzt kommen die ersten massentauglichen Fahrzeuge auf den Markt.

Nun soll es die Politik richten. Bis Anfang Februar bleibt den Ministerien Zeit, sich auf eine wirksame Förderung der Elektromobilität zu einigen. So will es Kanzlerin Angela Merkel. Es dürfte die letzte Chance der Bundesregierung sein, das Millionenziel noch zu erreichen. Denn angesichts niedriger Spritpreise wird es immer schwieriger, die Autofahrer zum Umsteigen zu bewegen.

Doch schon der Start beginnt mit einer Karambolage. Das Paket wird zum Streitthema in der Koalition. Während in der Union Haushaltspolitiker, aber auch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) direkte Kaufprämien ablehnen, sind Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), seine SPD-Fraktion, aber auch die CSU-geführte bayerische Landesregierung für direkte Kaufprämien. Chaotischer kann eine Koalition bei zentralen Wirtschaftsthemen kaum auftreten. Helfen könnte bei der Einigung ein eigener Zuschuss der Branche. Sie ist bereit, einen Teil der Förderung zu tragen.

Letztlich aber werden nicht Prämien oder Steuermodelle den größten Anreiz zum Umstieg auf E-Autos liefern. Das Auto selbst muss der Anreiz sein. Die Elektromobilität wird dann Erfolg haben, wenn den Fahrern bezahlbare Modelle und eine flächendeckende Infrastruktur zum Laden ihrer Fahrzeuge zur Verfügung stehen, und das möglichst unkompliziert. Davon ist Deutschland noch weit entfernt.

© SZ vom 28.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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