Kommentar:Es gibt Werte über die nächste Bilanz hinaus

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Von feinem Gespür und frecher Arroganz am Standort Deutschland: Der Fall Siemens zeigt, wie eine Firma beschädigt wird, wenn der Vorstand nur auf die Zahlen starrt.

Ulrich Schäfer

Deutsche Manager lamentieren gerne über den Standort Deutschland. Sie klagen über die hohen Steuern und Abgaben, über den rigiden Kündigungsschutz und die allgegenwärtige Bürokratie. Sie vergessen dabei, dass auch sie selbst ein Teil des Standorts sind. Und manche von ihnen sind auch ein Teil des Problems.

Wenn jemand wie Klaus Kleinfeld sich eine Gehaltserhöhung von 30 Prozent gönnt, während bei Siemens Tausende Mitarbeiter ihren Job verlieren, wirft das nicht nur betriebswirtschaftliche Fragen auf, sondern auch moralische und politische.

Und wenn jemand wie Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann klagt, Deutschland sei das einzige Land, wo jene, die Werte schaffen, vor Gericht kommen, zeigt das auch, wie abgehoben etliche in deutschen Chefetagen bisweilen denken. Denn Wirtschaft findet eben nicht nur in der Wirtschaft statt, sondern mitten in der Gesellschaft.

Es reicht nicht aus, wenn Konzernbosse allein das Ziel haben, den Firmenwert zu mehren. Die Menschen spüren, wenn Manager allzu rabiat sind und über ihrer Jagd nach guten Zahlen die Werte einer Gesellschaft aus den Augen verlieren.

Der Fall Siemens ist dazu angetan, die Angst vor einer scheinbar entfesselten Marktwirtschaft weiter zu schüren. Da verkauft ein Konzern eine Sparte, der er einst eine rosige Zukunft vorausgesagt hat, an einen Investor aus Fernost - und der meldet ein Jahr später die Pleite an.

Da wirft Siemens dem Käufer noch ein paar hundert Millionen Euro hinterher - und wundert sich, dass der vor allem an Patenten interessiert ist, aber nicht an den Mitarbeitern. Da verlangt Siemens, dass seine Mitarbeiter auf einen Teil des Gehalts verzichten und mehr arbeiten, in den Handy-Werken und nun auch in der Krisensparte SBS - und der Vorstand erhält zugleich fast ein Drittel mehr Geld.

Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer hat den Zuschlag von 30 Prozent damit begründet, dass die Vorstände seit drei Jahren keine Erhöhungen mehr bekommen haben. Und dass die Konkurrenz anderswo besser verdient. Er bestreitet, dass Leute von außen beurteilen können, ob ein Vorstand gute Arbeit mache. Dies könne allein der Aufsichtsrat, also letztlich weder die Anleger noch die Beschäftigten oder gar der normale Bürger.

Frech und arrogant

Das ist frech und arrogant. Denn die Aktionäre haben, trotz aller Irrationalitäten an der Börse, sehr wohl ein Gespür dafür, ob ein Unternehmen gut geführt wird. Wenn dies der Fall ist, sollte der Aktienkurs stärker steigen als bei anderen Unternehmen - das war bei Siemens nicht der Fall.

Auch die Beschäftigten wissen ziemlich genau, ob jemand ein Unternehmen gut führt - die Siemensianer haben da Zweifel, wie Kritik im firmeneigenen Internet zeigt. Und der normale Bürger darf sich freuen, wenn er ein oder zwei Prozent mehr verdient, obwohl der globale Wettbewerb ihm immer mehr abverlangt; ihm wird mit chinesischen Löhnen gedroht, während in manchen Vorstandsbüros Maßlosigkeit regiert und anderswo die Heuschrecken einfallen.

Die Herren bei Siemens sollten sich daher nicht wundern, dass die Emotionen hochkochen. Siemens steht, wie die Deutsche Bank, als Sinnbild für die Deutschland AG - im Guten und nun auch im Schlechten.

Wer solch ein Unternehmen führt, ist für mehr verantwortlich als nur für die nächste Bilanz. Kleinfeld und seine Kollegen sollten deswegen auf ihr üppiges Gehaltsplus verzichten. Sie sollten zeigen, dass sie ihre gesellschaftliche Verantwortung verstanden haben.

Solche Zeichen, nicht nur bei Siemens, könnten dazu beitragen, viele Menschen mit der Marktwirtschaft wieder ein wenig zu versöhnen. Deutschlands Manager könnten natürlich auch weitermachen wie bisher. Doch damit würden sie dem Land, und auch sich und ihrem Geschäft, keinen Gefallen tun. Sie würden, wie die herrschende Klasse in Berlin, die Wähler in die Arme jener extremen Parteien treiben, die die Furcht vor dem Kapitalismus für Stimmenfang nutzen.

© SZ vom 2.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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