Kommentar:Es geht auch einfach

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Die Industrie erfindet immer mehr smarte Produkte, Fern­seher, Kaffee- und Wasch­maschinen haben immer mehr Funktionen. Aber braucht man das wirklich? Und kommt der Verbraucher mit all den neuen Dingen und Begriffen noch mit?

Von Helmut Martin-Jung

Die nächsten Wochen bringen für manche Fernsehzuschauer in Bayern eine unliebsame Überraschung. Bis Ende September wird in 228 Städten und Gemeinden der analoge Kabelempfang abgeschaltet. Wer noch einen alten Fernseher nutzt, guckt vergeblich in die Röhre, die bleibt dann schwarz. Ein weiteres Mal wird analoge Technik von digitaler abgelöst. Besseres Bild, besserer Ton und viel mehr Möglichkeiten, das sind die Versprechen der Industrie - in größtmöglicher Verdichtung gerade zu erleben auf der Messe Ifa in Berlin.

Doch meist bedeuten mehr Möglichkeiten auch mehr Komplexität. Oft bleiben daher viele der eingebauten Funktionen ungenutzt, manche - vor allem Ältere - sind sogar regelrecht überfordert und fühlen sich zurückgelassen. Die Industrie täte sich und vielen ihrer Kunden einen Gefallen, wenn sie nicht nur umsetzen und anpreisen würde, was technisch möglich ist. Sondern wenn sie auch darauf achten würde, dass die meisten ihrer Nutzer keine Ingenieure oder Informatiker sind.

Zugegeben, das bedeutet einigen Aufwand. Doch der zahlt sich am Ende aus. Der riesige Erfolg von Apples iPhone etwa gründet vor allem darauf, dass es dem Unternehmen gelungen ist, die vorhandenen technischen Möglichkeiten so umzusetzen, dass es von da an ein Kinderspiel war, ein Smartphone zu benutzen. In dieser Sparte hat Apple einen Maßstab gesetzt, dem sich die Konkurrenz stellen musste. Mittlerweile lassen sich auch deren Handys genauso einfach bedienen.

Besonders deutlich wird das Problem bei einer Sparte, die doch eigentlich zur Entspannung gedacht ist: Fernseher. Jahr für Jahr werfen die Hersteller, getrieben von einem unbarmherzigen Konkurrenzkampf, neue Begriffe unter das Volk. In der Hoffnung, die Kunden damit zum Kauf locken zu können. Denn die große Kaufwelle, als vor einigen Jahren der Großteil der Zuschauer ihre alten Röhrengeräte durch solche mit Flachbildschirm ersetzte, ist wieder abgeebbt. Da muss die neue Glotze schon was bieten. Meist aber tragen die vielen kryptischen Abkürzungen bloß zur Verwirrung bei, mitunter sind die Begriffe sogar selber so unscharf, dass jeder etwas anderes damit bezeichnen kann.

Immerhin, manchmal, wenn auch nicht immer, geben wenigstens Logos den Kunden Orientierung. Ein Beispiel dafür ist das grüne Logo, das ein Gerät tragen darf, wenn es den neuen Standard für digitales Fernsehen über Antenne (DVB-T2) empfangen und darstellen kann.

Doch wer sich bewusst macht, dass die meisten potenziellen Kunden schon kaum wissen, welche Art von Signal bei ihnen zu Hause aus der TV-Dose kommt, erhält einen Eindruck von der Dimension des Problems. Vor allem, wer seinen Fernseher online kauft, muss in aller Regel selbst zusehen, wie er damit zurechtkommt. In Fachgeschäften dagegen wird man meist gut beraten, und viele Händler bieten auch an, das Gerät aufzustellen und einzurichten. Ein Service, für den man natürlich bezahlen muss.

TV-Geräte sind aber nur ein Beispiel für die Entwicklung zu einer immer digitaler werdenden Welt. Kaffeemaschinen sollen dadurch aufgewertet werden, dass man ihnen neue Zubereitungsarten aus dem Internet aufspielen kann, die Lichtstimmung lässt sich per Stimme steuern ("Alexa, mach es kuschelig"). Wenn sich ein Einbrecher am Fenster zu schaffen macht, geht im Haus und auf dem Smartphone des Besitzers der Alarm los. Die Spülmaschine tut auf dem Smartphone kund, wenn ihr die Tabs auszugehen drohen.

Die Industrie bietet Lösungen für Probleme, die es gar nicht gibt

Mal ehrlich: Das meiste davon ist doch eigentlich ziemlich verzichtbar. Bei der Vernetzung des Heims wirkt die Industrie oft ein bisschen so, als hätte sie eine Lösung und sei nun auf der Suche nach dem richtigen Problem dafür. Zudem konkurrieren verschiedene Systeme und Standards miteinander. Sicherlich, am sinnvollsten sind Systeme, mit denen sich Energie sparen lässt - allein für die Heizung von Gebäuden gehen in Deutschland etwa 40 Prozent des Energiebedarfs drauf. Aber ob die Menschheit wirklich alles und jedes über ihr Smartphone und angeblich smarte Assistenten steuern lassen will, sei dahingestellt.

Wenn es denn schon sein soll, dann aber so, dass es keinen Mehraufwand bedeutet, sich um die technischen Geräte zu kümmern, sondern dass es einen wirklichen Nutzen bringt, sie anzuschaffen und zu beherrschen. Letzteres sollte daher möglichst einfach funktionieren.

© SZ vom 03.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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