Kommentar:Eine Art Wunschzettel

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Mehr Geld oder mehr Freizeit: Die IG Metall scheint mit ihrer Umfrage die Bedürfnisse der Beschäftigten getroffen zu haben. Das ist Demokratie.

Von Detlef Esslinger

Man kann das als einen Erfolg der IG Metall deuten: Mindestens 190 000 Arbeitnehmer in der Metall- und Elektroindustrie, wahrscheinlich jedoch deutlich mehr, wollen lieber mehr Freizeit anstatt mehr Geld. Bis Ende Oktober mussten sie erklären, ob sie 2019 zusätzlich acht freie Tage bekommen wollen, oder eine Sonderzahlung, die gut einem Viertel eines Monatsgehalts entspricht. Die IG Metall scheint also die Bedürfnisse der Beschäftigten getroffen zu haben, als sie diese Regelung im Frühjahr durchsetzte. Bevor diese sich nun aber freuen über die vermeintlich gewonnene Zeit, ist der Hinweis fällig: Noch ist nicht gewiss, dass sie die bekommen werden. Gewiss ist, dass der Tarifvertrag die Erwartung danach geweckt hat.

Es ist richtig, dass die Gewerkschaft abstimmen ließ, das ist Demokratie

In der Vereinbarung steht nämlich nicht, dass jeder Arbeitnehmer automatisch bekommt, was er sich wünscht. Darin steht, dass Anträge auf mehr Freizeit nur dann genehmigt werden, wenn es der Firma gelingt, die ausfallende Arbeit zu kompensieren. Sie sind also eine Art Wunschzettel. Nun müssen Betriebsräte und Personalabteilungen bis zum Jahresende Lösungen finden. Die IG Metall schlägt vor, gering qualifizierte Mitarbeiter fortzubilden sowie Teilzeit-Beschäftigte aufzustocken. Doch die Metall- und Elektroindustrie ist eine Männerbranche. Die allermeisten arbeiten in Vollzeit; schon an einer vorübergehenden, individuellen 28-Stunden-Woche - die der neue Tarifvertrag ebenfalls möglich macht - haben nur wenige Arbeitnehmer Interesse gezeigt. Mit dem Instrument des Aufstockens dürfte also nicht viel zu holen sein. Und Fortbildungen sind kaum auf die Schnelle zu organisieren. Mit anderen Worten: Es wird auf die Kreativität der Personalchefs und der Betriebsräte ankommen, wenn den Erwartungen im November nicht die Enttäuschung im Januar folgen soll.

Indes enthalten all die Anträge ein Kompliment, an Arbeitgeber und Gewerkschaft. Sie haben die Entlohnung im Lauf der Jahrzehnte auf ein Niveau getrieben, dass vielen Arbeitnehmern mehr Erholung nun wichtiger wird als noch mehr Geld. Derzeit werden viele 100. Jahrestage begangen; am Donnerstag den der Tarifautonomie. Kaum gab es in Deutschland Demokratie, konnten Gewerkschaften den Arbeitgebern abringen, die Arbeitsbedingungen untereinander zu regeln, ohne Einmischung des Staates. Was immer man von den Details dieses Metall-Tarifvertrags halten mag - er ist eines von unzähligen Beispielen, das zeigt: Demokratie ist kein Lieferdienst von Wohltaten. Doch sie ist die einzige Staatsform, die allen Bürgern die Instrumente gibt, um für ihre Interessen zu kämpfen. Sie müssen diese Instrumente dann aber auch nutzen. In der Metallindustrie kann man sicher sein, dass Arbeitgeber und Gewerkschafter dies nun auch bei der Frage Geld oder Freizeit mit Verve tun.

© SZ vom 13.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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