Kommentar:Die verletzliche Gesellschaft

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Wegen einer kleinen und billigen Drohne wird Großbritanniens zweitgrößter Flughafen mehr als einen Tag lang geschlossen. Das zeigt, wie fragil unsere technikgläubige Welt geworden ist.

Von Caspar Busse

Ganz langsam lief am Freitag der Betrieb am Flughafen Gatwick wieder an. Der Airport, der etwa 45 Kilometer südlich von London liegt und mit 43 Millionen Passagieren im Jahr der zweitgrößte in Großbritannien ist (nach Heathrow), war zuvor mehr als einen Tag lang weitgehend lahmgelegt. Über der Landebahn und den Sicherheitszäunen waren mehrmals unbekannte Drohnen gesichtet worden, die startende und landende Maschinen gefährden könnten. Daraufhin wurde der Flughafen geschlossen, Hunderte Flüge fielen aus, 150 000 Passagiere waren mitten in der verkehrsreichen Vorweihnachtszeit betroffen, es gab Auswirkungen auch an vielen anderen Flughäfen.

Der Zwischenfall zeigt besonders drastisch, wie verletzlich unsere hoch technisierte Gesellschaft geworden ist, wie überraschend fragil unsere komplexen Verkehrssysteme sein können. Kleine Dinge können ganz große Folgen haben. In Gatwick waren es unbemannte Fluggeräte, inzwischen fast überall und für fast jeden für wenige Hundert Euro erhältlich und im Vergleich zu den großen Düsenflugzeugen winzig. Sie kreisten mehrmals in der Luft und brachten so ein hochkomplexes Gebilde wie einen internationalen Flughafen völlig aus dem Gleichgewicht. Wer für das Chaos verantwortlich ist, war zunächst nicht zu klären. Die Polizei suchte fieberhaft nach dem oder den Tätern, ohne Erfolg. Aber wie kann das sein? Noch dazu in einer weltweit vernetzten Welt, in der heute dank der Digitalisierung angeblich kaum noch etwas verborgen bleiben kann und sich viele vor großer Kontrolle fürchten.

Es herrscht eine allgemeine Hilflosigkeit in einer Zeit, in der alle an den Fortschritt glauben

Was die Sache auch beunruhigend macht, ist die allgemeine Hilflosigkeit in einer Zeit, die an den Fortschritt und die Technik glaubt. In einer Zeit, in der eigentlich keiner mehr irgendetwas dem Zufall überlassen will. Gerade an einem Flughafen ist das heute so, alle Arbeitsabläufe, ob am Boden, in den Flugzeugen oder später in der Luft, sind minutiös geplant. Alles folgt einem unsichtbaren Plan. So groß die Sicherheitsvorkehrungen auch sein mögen: Diese komplexen Drehscheiben können einfach so außer Gefecht gesetzt werden.

Auch wenn sich viele das wünschen und viele daran mit Hochdruck arbeiten, es gibt keine absolute Kontrolle. Die Lehre nicht nur aus Gatwick, mit der sich alle abfinden müssen, lautet: Je technisierter die Welt, desto größer die Verletzlichkeit.

Gatwick ist auch kein Einzelfall. In München lief vor wenigen Monaten eine Passagierin einfach durch die Sicherheitskontrolle, der Flughafen musste ebenfalls für mehrere Stunden gesperrt werden, der Schaden erreichte schnell Millionenhöhe. Oder wenn ein Flugzeug wegen einer Kleinigkeit nicht zur Verfügung steht, hat das große Konsequenzen. Da das Tagesprogramm der Maschinen eng getaktet ist, fallen gleich mehrere Flüge aus. Im Bahnverkehr ist das nicht anders: Ein metallbeschichteter Luftballon, der eine Oberleitung berührte und dann zu einem fatalen Kurzschluss führte, hat vor vier Wochen in München zum Beispiel fast den gesamten S-Bahn-Verkehr lahmgelegt. Auch viele Probleme der Deutschen Bahn im Fernverkehr resultieren oft aus vergleichsweise kleinen Problemen.

Dazu kommt, dass die Systeme an ihre Grenzen stoßen. Der Luftraum über Europa ist inzwischen voll. Der Flugverkehr wächst weiter, immer mehr Menschen wollen fliegen (am liebsten zu billigen Ticketpreisen), die Kapazitäten an den Flughäfen werden aber kaum noch ausgebaut. Schon in diesem Jahr waren in Europa so viele Maschinen verspätet und so viele Flüge ausgefallen wie noch nie. Entspannung ist nicht in Sicht. Die Passagieren müssen mit weiteren Problemen rechnen - nicht nur durch Drohnen.

© SZ vom 22.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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