Kommentar:Die Telematik kommt

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Noch nutzen wenige Autofahrer die Versicherungstarife, bei denen sie für gute Fahrweise belohnt werden. Doch schon bald werden sie zum Standard. Denn: Weder Kunden noch Autoversicherer haben eine Wahl.

Von Herbert Fromme

Telematik-Tarife spielen im Alltag bislang kaum eine Rolle. Weniger als 300 000 der 47 Millionen Pkw-Fahrer nutzen die Möglichkeit, durch einen besonnenen Fahrstil einen Rabatt bei ihrer Versicherung zu erzielen. Wer sich an Geschwindigkeitsbegrenzungen hält, nicht scharf bremst oder rasant anfährt, erhält bis zu 30 Prozent Nachlass.

Viele Autofahrer sind sich ganz sicher, dass sie sich nie am Steuer überwachen lassen werden. Die großen Autoversicherer glauben dagegen an die Zukunft des Modells. Mehr als 25 Prozent aller Autofahrer werden bald so versichert sein, sagen HUK-Coburg und Allianz voraus.

Die Versicherer haben damit wohl recht. Die Telematik-Tarife werden zum Standard. Wer sich als Kunde verweigert, muss sehr viel mehr für seine Autoversicherung zahlen. Und die Daten stammen schon bald nicht mehr aus besonders eingebauten Kästchen, Steckern oder Apps, sondern werden von den Autos erfasst - ganz automatisch. Abschalten lässt sich die Datensammelei ohnehin nicht. Damit fällt ein wichtiger Vorbehalt weg, den viele Autofahrer gegen Telematik haben.

Klar ist aber auch, dass es strenge gesetzliche Regeln für den Umgang mit den Daten geben muss. Dazu gehört erstens volle Transparenz. Welche Daten sammelt der Versicherer? Wie lange werden sie aufbewahrt? Wie fließt das individuelle Verhalten in die Preisberechnung ein? All das muss nachvollziehbar sein. Zweitens: Fahrdaten müssen gelöscht werden, sobald sie ihren Zweck erfüllt haben, den Fahrstil zu analysieren. Wenn ein Versicherer sie für Auswertungen nutzen will, müssen sie anonymisiert werden. Und es muss geklärt werden, wie die Daten in Strafprozessen nach Unfällen verwendet werden.

Viele Gründe werden gegen Telematiktarife ins Feld geführt, einige sind gut, andere weniger gut. Zu den weniger guten gehört die Ansicht, über die Berechnung des individuellen Risikos werde der Versicherungsgedanke ad absurdum geführt. Denn auch bei ganz traditionellen Tarifen fragen Versicherer schon heute bis zu 60 Merkmale ab. Dazu gehören der Fahrzeugtyp, die Motorstärke, der Wohnort, die Kilometerleistung und das Alter des Fahrers. Alles nachvollziehbar. Aber es gibt auch andere Kriterien: Wer als Beamter oder Angestellter für den Staat arbeitet, zahlt weniger als ein Fahrer, der bei einem Privatunternehmen ist. Dasselbe gilt für Besitzer von Wohneigentum.

Die Versicherer können das begründen. Ihre Statistiken zeigen, dass Angehörige des öffentlichen Dienstes im Schnitt weniger Unfälle produzieren. Dasselbe gilt für Eigenheimbesitzer. Aber natürlich sind das sehr grobe Kriterien. Auch manche Beamte fahren rasant, viele Eigenheimbesitzer verwandeln sich auf der Autobahn in verantwortungslose Machos.

Die Telematik sorgt für Gerechtigkeit. Denn es ist keineswegs gerecht, dass ein vorsichtiger 20-jähriger Golf-Fahrer aus dem Münchner Süden dieselbe Prämie wie sein Altersgenosse aus demselben Ort zahlt, der durch seine aggressive Fahrweise ein viel höheres Unfallrisiko hat.

Bisher spielte die Fahrweise beim Preis für die Versicherung keine Rolle - vor allem deshalb, weil es technisch unmöglich war, sie zu messen. Jetzt ist es möglich, dann machen die Versicherer das auch. Heute sind es einige wenige, bald alle: Wer als Versicherungsgesellschaft keinen Telematik-Tarif anbietet, bleibt über kurz oder lang auf den aggressiven Fahrern sitzen. Die vorsichtigen Pkw-Nutzer suchen sich einen Anbieter mit Telematik, bei dem sie kräftig sparen können.

Für die Versicherer sind die Telematik-Tarife noch aus einem weiteren Grund zwingend. Autos werden gerade zu Datenlieferanten erster Klasse. Ein Grund dafür ist der von der EU vorgeschriebene Unfallnotruf E-Call für Neuwagen. Für ihn sammeln die Autos während der Fahrt viele Daten, um im Notfall automatisch Ort und Art des Unfalls durchzugeben. Außerdem bauen die Hersteller zahlreiche Sensoren ein, um den Zustand des Motors und vieler weiterer Teile zu überprüfen und notfalls durch Hinweise an Fahrer oder Werkstatt einzugreifen.

Diese Daten haben die Hersteller, nicht die Versicherer - sie müssen sie bei VW, BMW und Daimler teuer einkaufen. Aber tun sie das nicht, werden sie von den Herstellern bald abgehängt. Schon heute hat VW eine eigene Autoversicherung, wenn auch noch in Kooperation mit der Allianz. Die anderen Autobauer denken über ähnliches nach. Rundumpakete einschließlich Versicherung und Service werden modern, dabei spielen die Daten des Wagens eine entscheidende Rolle. Wenn die Autoversicherer im Geschäft bleiben wollen, müssen sie in die Telematik einsteigen.

© SZ vom 17.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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