Kommentar:Die rationalen Kunden

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Bei Volkswagen herrscht seit Bekanntwerden des Abgasskandals der Ausnahmezustand. Warum die Käufer dem Konzern trotzdem die Treue halten.

Von Caspar Busse

Seit genau einem Jahr ist bei Volkswagen nichts mehr so wie vorher. Am 18. September 2015 machte die amerikanischen Umweltbehörde EPA erstmals öffentlich, dass Dieselfahrzeuge des deutschen Herstellers gegen Umweltgesetze verstoßen. Die Software in den Autos sei manipuliert worden, so die EPA, das sei "illegal und gesundheitsgefährdend". Nach nur einem Tag gibt VW alles zu, der damalige Konzernchef Martin Winterkorn, der bald über den Skandal stürzt, verspricht schnelle Aufklärung.

Von einer Lösung der Probleme ist der Volkswagen-Konzern heute, zwölf Monaten danach, jedenfalls noch weit entfernt. Es drohen Strafen und Schadenersatzzahlungen in vielfacher Milliardenhöhe. Schritt für Schritt kommen immer wieder unglaubliche Details einer lang angelegten Manipulation ans Licht. Der wohl größten Firmenskandal nimmt seitdem seinen Lauf.

Wer aber geglaubt hat, die Kunden würden sich nun massenweise von Volkswagen und seinen Marken wie Audi, Škoda, Seat abwenden, lag falsch. Von Januar bis Juni verkauft der Zwölf-Marken-Konzern weltweit mehr als fünf Millionen Fahrzeuge, das sind mehr als Toyota und mehr als General Motors (GM).

Sind die Kunden also skrupellos und dumm, weil sie immer noch die Autos des Skandalkonzerns aus Wolfsburg kaufen, der die Umwelt wissentlich verpestet? Haben sie keine Moral, weil sie die Affäre kaltlässt? Natürlich ist der eine oder andere zu einer anderen Marke gewechselt, vor allem in den USA und unter Dieselfahrern. VW hat in Europa aber nur leicht Marktanteile verloren, in Deutschland ging es im August sogar wieder aufwärts.

Konsumenten maximieren ihren Nutzen, die Moral spielt keine Rolle

Das zeigt: Die Konsumenten handeln erstaunlich rational, wenn sie VW unbeeindruckt von dem Skandal erst einmal die Treue halten. Die Fahrzeuge aus dem VW-Konzern sind nach wie vor solide, von guter Verarbeitung, von anerkannten Ingenieuren entwickelt. Natürlich hat VW den Absatz mit Nachlässen angekurbelt, auch das ein Anreiz für die Käufer.

Das ist kein Phänomen, das sich auf VW beschränkt. So ist in Deutschland die Kritik an der Marktmacht von Google besonders laut, doch nirgends ist der Marktanteil bei der Internetsuche so hoch. Deutschland ist auch einer der wichtigsten Märkte für den Onlinehändler Amazon, obwohl das Geschäftsgebaren sehr unter Beschuss ist. Billigketten wie KiK, Aldi oder Lidl sind hierzulande besonders beliebt, obwohl die Arbeitsbedingungen nicht goutiert werden. Alle haben zweifellos ein gutes Angebot. Der Konsument maximiert seinen Nutzen - ohne Moral, auch wenn einem das nicht gefällt.

© SZ vom 17.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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