Kommentar:Die Probleme bleiben

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Großbritannien erlebt einen Wirtschaftsboom. Das erfüllt die Regierung mit Stolz. Doch die Industrie schwächelt noch. Statt Eigenlob wäre jetzt Anpacken angesagt.

Von Björn Finke

Es klingt beeindruckend: In keinem anderen großen Industrieland wuchs die Wirtschaft im vergangenen Jahr so stark wie in Großbritannien. Die Zahl der Arbeitslosen sinkt. Die Regierung hat das Haushaltsdefizit halbiert. Mit diesen Erfolgsmeldungen werben die britischen Konservativen für ihre Wiederwahl. Kommendes Wochenende wird das Parlament aufgelöst, Anfang Mai bestimmen die Bürger dann ein neues.

Wahlkampfzeiten sind Zeiten des Eigenlobs. Teilweise verdient die Regierungskoalition aus Konservativen und Liberaldemokraten tatsächlich Lob, denn das Königreich steht heute wirtschaftlich besser da als bei deren Amtsantritt vor fünf Jahren. Aber große Probleme bleiben, und ein weiteres könnte hinzukommen, wenn die Konservativen im Falle eines Wahlsiegs das Volk über den Austritt aus der EU abstimmen lassen.

Großbritannien mag also die schlimme Rezession nach Ausbruch der Finanzkrise überwunden haben - die zukünftige Führung des Landes darf sich trotzdem nicht zurücklehnen. Statt Eigenlob ist Anpacken angesagt.

Die Menschen im armen Norden spüren nichts vom Boom in London

Als Premier David Cameron im Jahr 2010 in Downing Street 10 einzog, übernahm er ein undankbares Erbe von seinem Labour-Vorgänger Gordon Brown. Die Finanzkrise hatte das Land besonders heftig getroffen, dessen Wohl und Wehe stark - viel zu stark - von Londons Banken abhing. Die Konjunktur dümpelte vor sich hin; das Haushaltsdefizit betrug mehr als zehn Prozent der Wirtschaftsleistung, womit das stolze Königreich in der gleichen Liga wie die Euro-Krisenländer Griechenland und Portugal spielte.

Die Regierung gab sich deswegen drei Ziele: Wachstum ankurbeln, Haushalt in den Griff bekommen und die Wirtschaft besser ausbalancieren. Die Konjunktur sollte sich nicht länger vor allem auf Banken und die Konsumfreude verschuldeter Haushalte stützen. Stattdessen soll sich die über Jahrzehnte vernachlässigte Industrie zu einer tragenden Säule entwickeln, Großbritannien soll endlich wieder mehr exportieren.

Soweit der Plan.

Erreicht hat die Regierung bislang nur ein Ziel: Das Königreich erlebt einen Wirtschaftsboom. Dazu beigetragen hat sicher die unternehmerfreundliche Politik; so kappte Cameron die Steuern auf Firmengewinne von 28 auf 20 Prozent und machte den Standort attraktiver für Investoren. Kein anderes Land in Europa zieht mehr Investments aus der Fremde an. Hilfreich war auch, dass das Pfund in der Finanzkrise massiv an Wert verlor. Dies verbilligt Waren made in Britain.

Bei den Schulden ist London jedoch noch nicht am Ziel. Für 2015 erwartet die Regierung ein Haushaltsdefizit von vier Prozent der Wirtschaftsleistung. Das ist viel gesünder als die zweistelligen Prozentsätze zu Beginn des Jahrzehnts, auf der anderen Seite ist das weiterhin ein hoher Wert - zumal während eines Booms.

Und allenfalls am Anfang eines langen Weges steht Großbritannien beim erklärten Ziel, eine bessere Balance für die Wirtschaft zu finden. Der jetzige Aufschwung ist trotz aller Investments aus dem Ausland in erster Linie ein Aufschwung nach traditionell britischem Rezept: befeuert von der Kauflaune der Verbraucher, die sich dank steigender Hauspreise reicher fühlen. Die Industrie hingegen hat sich immer noch nicht von der Rezession erholt, die Produktion liegt unter dem Niveau vor dem Absturz. Von neuer Exportherrlichkeit ist ebenfalls nichts zu sehen, das Land führt mehr ein als aus.

Ein anderes Ungleichgewicht hat sich sogar verschärft: das zwischen dem reichen Großraum London und dem armen Norden. Die Sparpakete der Regierung trafen die abgehängten Regionen mit voller Wucht, die Menschen dort spüren nichts vom Wirtschaftsboom in der Kapitale. In London wiederum ließ der Aufschwung die Hauspreise so schnell steigen, dass sich nun viele Briten nicht mehr die Miete oder Hypothek in der eigenen Hauptstadt leisten können. Hier bleibt einiges zu tun für die Wahlsieger im Mai.

Umfragen prophezeien ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Konservativen und Labour. Sichert sich Cameron eine zweite Amtszeit, will er das Volk spätestens 2017 über einen Verbleib in der Europäischen Union abstimmen lassen. Für die Wirtschaft ist ein Austritt aus der EU, dem wichtigsten Exportmarkt, eine Schreckensvorstellung. Sollte die Regierung das Referendum ansetzen, werden verunsicherte Manager Investitionen aufschieben, das Wachstum wird leiden.

Mit dem Referendum würde Cameron einige Erfolge seiner Wirtschaftspolitik selbst wieder zunichte machen. Ob sein Eigenlob berechtigt ist oder ob Eigenlob stinkt, muss sich also erst noch zeigen.

© SZ vom 24.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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