Kommentar:Die Angst vor großen Blackout

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Der Stromausfall vom Wochenende ist keine Katastrophe - aber ein Warnsignal.

Michael Bauchmüller

Keine Bange: Deutschland wird nicht zum Entwicklungsland, nur weil Teile des Landes eine halbe Stunde im Dunkeln liegen. Im weltweiten Vergleich fließt der Strom in kaum einem Land so verlässlich wie in unserem. Dass in einem komplexen System wie dem Stromnetz einmal etwas schiefläuft, ist kein Anlass zur Panik - aber ein deutliches Warnsignal.

Das eigentliche Problem liegt in der Reichweite des Stromausfalls. Die Panne legte nicht nur deutsche Verbraucher lahm, sondern setzte sich kaskadenartig bis nach Spanien und Portugal fort. Was wäre eigentlich geschehen, wenn der Strom nicht mehr oder weniger kontrolliert für ein Kreuzfahrtschiff unterbrochen worden wäre - sondern völlig unkontrolliert wie im vergangenen Winter? Damals schnitt Eisregen (ein "extremes Wetterereignis") überraschend Teile des Münsterlandes tagelang von der Versorgung ab? Die Botschaft vom Wochenende heißt: Ein großer Blackout ist in Europa näher, als die meisten bisher dachten. Die Ursache liegt in der jüngeren Geschichte.

Umleitung bei Stau

Das deutsche Stromnetz ist in Jahrzehnten gewachsen, und es war eben immer ein Stromnetz für Deutschland, nicht für den europäischen Markt. Eine Karte der deutschen Stromleitungen ähnelt einer Straßenkarte: mit gut ausgebauten Autobahnen, Bundesstraßen und Landstraßen. Sind Stromleitungen überlastet, findet sich wie beim Stau auf der Autobahn meist auch eine Umleitung für Elektrizität.

In die Nachbarländer dagegen sind die Verbindungen oft mager. Das liegt leider in der Natur der Sache: Für den Ausbau sind die Stromkonzerne selbst zuständig.

Ihr Interesse daran hält sich in Grenzen, denn je mehr Leitungen Deutschland mit dem Ausland verbinden, desto schwieriger lässt sich auch der deutsche Markt kontrollieren. In dem aber wollen die vier großen deutschen Stromerzeuger, Handel hin, Handel her, gern das Sagen behalten. Das Heft halten sie in der Hand, schließlich betreiben die Konzerne auch alle großen Stromautobahnen.

EU ist gefordert

Der wachsende europäische Strommarkt muss bei solchen Strukturen ganz zwangsläufig an Grenzen stoßen. Das europäische Verbundsystem kann nur verlässlich funktionieren, wenn es dicht verwoben ist. Wenn aber die Unternehmen selbst zu wenig Anreiz verspüren, das europäische Netz auszubauen, müssen notfalls die einzelnen Mitgliedstaaten sie drängen, "Grenzübergänge" zu stärken. Die dafür zuständigen Behörden, in Deutschland ist das die Bundesnetzagentur, haben sie bereits.

Der Stromausfall zeigt, dass die nationalen Instanzen alleine das Problem nicht in den Griff bekommen. Stärker als bislang muss die EU die Stromnetze und deren Ausbau koordinieren, notfalls mit einer eigenen Behörde. Vor allem aber braucht Europa eine Art neues Schengen-Abkommen - offene Grenzen nicht nur für Reisende, sondern auch für die Elektrizität.

© SZ vom 7.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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