Kommentar:Der Westen muss helfen

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Der Krieg in der Ukraine dominiert die Debatte, für die kriselnde Wirtschaft Kiews interessieren sich indes nur wenige. Das ist ein großer Fehler. Der Überlebenskampf des Landes ist extrem wichtig für Europa, die Hilfezusagen sind jedoch zu gering.

Von Florian Hassel

Der unerklärte Krieg Russlands mit der Ukraine bestimmt die Aufmerksamkeit, nur wenige interessieren sich für Kiews kriselnde Wirtschaft. Dabei ist deren Überlebenskampf enorm wichtig; für Europa angesichts der strategisch zentralen Lage der Ukraine vielleicht sogar wichtiger als der des Euro-Landes Griechenland. Und doch gibt es bisher nur bilaterale Hilfezusagen von gerade 7,5 Milliarden Dollar an die Ukraine - beschämend wenig angesichts von Bedarf und Bedeutung.

Europas vergleichsweise kümmerliches Engagement für die Ukraine hat mehrere Gründe. Weitere hohe Milliardenkredite oder gar -hilfen sind derzeit nicht populär. Zudem scheuen Regierungen und Institutionen in Berlin, Paris oder Brüssel gerade vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit Athen ein Griechenland II im Osten.

Dabei steht die Ukraine vor gewaltigen wirtschaftlichen Herausforderungen, deren Bewältigung sowohl entschlossene Reformen erfordert wie auch Dutzende, wahrscheinlich Hunderte Milliarden Euro. Kiew muss die Verwaltung modernisieren, eine unabhängige Justiz schaffen und ein einfacheres Steuersystem. Die Bürokratie muss abgebaut und die notorische Korruption endlich bekämpft werden, damit das Land attraktiver für ausländische Investoren wird, ohne die ein Aufschwung nicht gelingen kann. Die fatale Energiesubventionierung muss abgeschafft werden, bei der Bevölkerung und Unternehmen bisher nur ein Fünftel der tatsächlichen Kosten für Erdgas und Öl bezahlen - und der Rest dem Haushalt aufgebürdet wurde. Und die veraltete Infrastruktur harrt der Modernisierung. Dass Fortschritte möglich sind, hat Nachbar Polen vorgemacht: Nach dem Ende des Kommunismus war der Lebensstandard der Polen niedriger als der der Ukrainer - heute ist er dreimal höher.

Die Aufholjagd wird schwierig. Echte Fortschritte sind noch rar, wie sich im Bericht der Weltbank über Geschäftsbedingungen in der Ukraine ablesen lässt. Immer noch liegt das Land im weltweiten Werben um die Investorengunst auf der "Doing Business"-Rangliste nur auf Platz 96. Kein Unternehmen kann etwa ohne Strom starten - doch einen Stromanschluss zu bekommen, dauert in der Ukraine durchschnittlich 277 Tage. Auch Fachleute des ukrainisch-amerikanischen Wirtschaftsrates beklagen, der Reformzug komme eineinhalb Jahre nach der Maidan-Revolution nur "auf dem Bummelgleis voran".

In Sachen Korruption handelt die Regierung nicht entschlossen genug

Das gilt auch für das zentrale Thema Korruption. Auf der Rangliste von Transparency International steht die Ukraine nur auf Platz 142 und damit hinter China (Platz 100) und sogar Russland (Platz 136). Nicht nur ist die ukrainische Verwaltung so korrupt wie zuvor; es ist bis heute kein ehemaliger Mitarbeiter des gestürzten, korrupten Janukowitsch-Regimes verurteilt worden. Die Regierung unter Präsident Petro Poroschenko und Premier Arsenij Jazenjuk ließ ihren Bekenntnissen bislang kaum Taten folgen.

So ist zu befürchten, dass eine neue Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaft kein unabhängiges Justizorgan wird, sondern ein Instrument unter Regierungskontrolle. Mit zwielichtigen Manövern besetzte die Regierung Jazenjuk kürzlich ein Gremium, das die Einrichtung der neuen Behörde bestimmen soll, mehrheitlich mit Gefolgsleuten. Ein fatales Signal. IWF und die europäischen Geldgeber sollten Kiew klarmachen, dass Hilfen gestrichen oder gesperrt werden, sollte die Anti-Korruptions-Behörde nicht unabhängig werden und sollten auch weitere Reformen stocken.

Dass sich der Regierungsstil in Kiew über Nacht ändert, ist freilich illusorisch. Darauf zu warten hieße, die Ukrainer in der Stunde höchster Not sich selbst zu überlassen. Mehr Geld für die Ukraine sollte nicht als Kredit fließen, sondern in zweckgebundene Infrastrukturprojekte unter Aufsicht der EU, der Osteuropabank und der Weltbank - und unter Beteiligung lokaler Watchdogs und Maidan-Reformer. Sinnvolle Projekte in der auch ohne Krim und Ostukraine noch über 35 Millionen Einwohner zählenden Ukraine gibt es genug: von Investitionen in das marode Straßen- und Eisenbahnnetz bis hin zur Landwirtschaft, die angesichts fruchtbarer Böden und riesiger Flächen noch immer ein Wirtschaftszweig mit enormem Potenzial ist, gerade auch für mehr Exporte nach Europa. Zudem hat die ukrainische Währung, die Hrywnia, stark an Wert verloren - zumindest für den Export ist das eine positive Nebenwirkung von Krieg und Krise. Für Lebensmittel, aber auch Kohle und Stahl aus der Ukraine eröffnet das neue Chancen für einen Verkauf nach Europa und in andere Märkte.

© SZ vom 22.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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