Kommentar:Der Verlierer ist der Kunde

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Dass Lebensversicherer Kunden mit alten Verträgen am liebsten loswerden wollen, ist eine Frechheit. Hinter dem Problem steckt aber ein Konstruktionsfehler. Denn die hohen Zinsgarantien bezahlen die anderen Versicherten: Ihre Rendite wird einfach gekürzt.

Von Herbert Fromme

Die Lebensversicherer vermarkten sich gerne als gemeinnützige Organisationen, die nichts anderes im Sinn haben, als die private Altersvorsorge ihrer Kunden bestmöglich zu organisieren und die Altersarmut zu bekämpfen.

Die Wirklichkeit ist davon ziemlich weit entfernt. Zurzeit bemühen sich einige Gesellschaften nach Kräften, dem historisch schlechten Ruf der Branche neue Nahrung zu geben. Dabei geht es um Altverträge, die vor 15 oder 20 Jahren abgeschlossen wurden und mit hohen Garantiezinsen von 3,5 oder vier Prozent für den Sparanteil ausgestattet sind. Die Garantien gelten für die gesamte Laufzeit der Verträge und machen angesichts der niedrigen Zinsen den Unternehmen immer mehr zu schaffen.

Eine Reihe von ihnen legt deshalb ihren Kunden nahe, die Altverträge doch zu kündigen und lieber das Geld einzustecken oder es in einen anderen Vertrag zu investieren. Bekannt geworden ist ein solches Vorgehen beim Versicherer Talanx mit den Töchtern Neue Leben, HDI und Targo sowie bei der Gothaer. Es dürften aber deutlich mehr sein. Die Gothaer ging besonders perfide vor. Sie machte in ihrer Standmitteilung den Kunden das Angebot, künftig Mitteilungen per Mail zu verschicken. Deshalb solle man das beiliegende Formblatt unterschreiben. Wer nicht aufpasste und auf dem Formblatt noch ein Kreuz an einer hervorgehobenen Stelle machte, hatte nebenbei seine Police gekündigt. Nach Protesten stellte die Gothaer dieses Vorgehen ein.

Der Konstruktionsfehler: Für die Zinsgarantien kommt die Mehrheit der Versicherten auf

Für den einzelnen Kunden ist eine Kündigung fast immer ein Verlustgeschäft. Er kann sein Geld kaum günstiger anlegen. Schließlich hat er mit dem Abschluss vor vielen Jahren auch die Kosten des Vertrags gezahlt, die zwischen zehn und 20 Prozent der gesamten Einzahlungen über die Laufzeit ausmachen. Die Verzinsung der echt gezahlten Beiträge liegt deshalb deutlich unter den 3,5 oder vier Prozent. Sie ist aber immer noch viel höher als bei heutigen Sparangeboten.

Natürlich gibt es gute Gründe für eine vorzeitige Vertragsauflösung - Scheidung, Hausbau und Arbeitslosigkeit gehören dazu. Das ändert nichts daran, dass die Lockrufe der Gesellschaften Richtung Kündigung aus Sicht der Betroffenen eine Frechheit sind.

Hinter dem Problem steckt ein Konstruktionsfehler der deutschen Lebensversicherung, der die Mehrzahl der Kunden Geld kostet. Denn keineswegs sind es die Eigner der Versicherer, die für die Einhaltung der hohen Zinsgarantien aufkommen. Nein, zahlen dürfen die übrigen Kunden. Ihre Rendite wird entsprechend gekürzt. Wer in den Achtzigern eine private Rentenversicherung mit einer Garantie von drei Prozent oder vor fünf Jahren mit 2,25 Prozent abgeschlossen hat, zahlt seit Jahren mit einer gekürzten Rendite und damit einer niedrigeren Privatrente dafür, dass die hohen Garantien für eine Minderheit von Kunden eingehalten werden.

Dabei geht es um große Summen. Die Bundesregierung hat auf Anregung der Versicherer 2011 eine spezielle Rückstellung eingeführt, mit der die Gesellschaften die Verpflichtungen aus den hohen Zinsgarantien bedecken müssen. Ende 2015 betrugen diese Sonderreserven 32 Milliarden Euro, Ende dieses Jahres werden es etwa 45 Milliarden Euro sein. Fast die gesamte Summe haben die Kunden der Lebensversicherer mit schlechteren Garantiezinsen aufgebracht, nur in wenigen Fällen haben die Eigner Geld eingeschossen.

Die Branche argumentiert, die klassische Lebensversicherung sei nun einmal ein kollektiver Sparprozess, mal gewinne der eine, mal der andere. Aber leider hat der Kunde, der heute einen Vertrag mit 1,25 Prozent Garantiezins abschließt oder eine andere Police mit niedriger Garantie hat, kaum eine Chance, jemals auf der Gewinnerseite zu stehen. Das Kollektiv funktioniert sehr einseitig. Versicherungswirtschaft, Regierung und Finanzaufsicht Bafin tragen die unbedingte Einhaltung der hohen Garantien wie eine Monstranz vor sich her - auch wenn das zulasten der übrigen Kunden geht. Sie begründen das mit dem Vertrauensverlust, den die Lebensversicherung sonst erleiden würde. In der Tatsache, dass viele andere Kunden niedrigere Renten erhalten, sehen sie offenbar kein Problem. Vielleicht hoffen sie, dass die Kunden das einfach nicht merken.

Bundesregierung und Finanzaufsicht könnten die Zinsgarantien kürzen oder zeitweise aussetzen, also bei steigenden Zinsen wieder in Kraft setzen. Dafür gibt es schon Gesetze, sie müssen wahrscheinlich ausgeweitet werden. Das wäre kein besonders populärer Weg, aber er ist notwendig. Sonst nimmt die gesamte private Altersvorsorge noch mehr Schaden.

© SZ vom 24.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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