Kommentar:Der Kunde kommt zuerst

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Die großen Lebensmittel­hersteller wie Nestlé und Unilever haben es verlernt, die Wünsche ihrer Kunden zu respektieren. Damit schaden sie sich vor allem selbst.

Von Silvia Liebrich

Nicht jede gewonnene Schlacht ist ein Grund zum Feiern. So mancher vermeintliche Etappensieg entpuppt sich am Ende als Niederlage. Ein gutes Beispiel dafür ist die Lebensmittelampel, die auf den ersten Blick signalisieren sollte, ob das Müsli im Regal oder die Tiefkühlpizza in der Gefriertheke zu viel Zucker, Salz oder Fett enthält - für Verbraucher eigentlich eine feine Sache. Trotzdem haben sich viele Hersteller, allen voran große Konzerne wie Nestlé und Unilever, mit aller Macht dagegen gewehrt. Mehr als eine Milliarde Euro steckte die Branche in den Kampf gegen die Ampel und verhinderte sie so.

Inzwischen ist klar, dass sich die Lebensmittelindustrie damit mehr geschadet als genutzt hat. Weil sie Umsatzeinbrüche fürchtete, hat sie den Wunsch ihrer Kunden einfach ignoriert - und das nicht nur bei der Kennzeichnung. Auch der Biotrend und der Wunsch nach mehr gesunden Nahrungsmitteln wurden unterschätzt. Dabei achten deutsche Verbraucher heute viel stärker darauf, was sie essen, als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Immer mehr Menschen ernähren sich vegetarisch oder vegan. Der Preis spielt für viele Konsumenten nach wie vor eine wichtige Rolle, aber er ist nicht mehr das allein entscheidende Kriterium. Die Geiz-ist-geil-Phase der frühen 2000er-Jahre ist definitiv vorbei.

Auch die Marktführer, der Schweizer Nestlé-Konzern und das britisch-niederländische Unternehmen Unilever, haben diese Entwicklung verschlafen. Das lässt sich auch am Umsatz mit Lebensmitteln ablesen, der kaum noch wächst. Die Riesen sind dabei, ihre Vormachtstellung im Ladenregal zu verlieren, auch weil ihnen die Innovationskraft abhandengekommen ist. Der Kampf um Verkaufsfläche im Handel wird fast ausschließlich über den Preis geführt - und nicht mehr mit neuen Produkten, die bei der Kundschaft so gut ankommen, dass die darauf nicht mehr verzichten möchte.

Ernährung ist lebenswichtig und Vertrauenssache

Die großen Hersteller erfahren derzeit schmerzhaft, dass ihre Produkte austauschbar geworden sind. 2018 war auch das Jahr der Boykotte. Der Händler Edeka verbannte zeitweise einige Nestlé-Artikel aus den Regalen, weil man sich nicht über den Preis einig wurde, in der Folge traf dies auch die großen Markenhersteller Mars, Red Bull und Heineken. Kaufland listete kurz vor Weihnachten das gesamte Unilever-Sortiment aus.

All dies sind Zeichen eines Wandels, von dem Verbraucher durchaus profitieren. In Lücken, welche die Großen nicht füllen können oder wollen, stoßen andere. Das Angebot wird vielfältiger. So finden Konsumenten in einem gut sortierten Bio-Supermarkt inzwischen alles, was sie brauchen. Labels großer Lebensmittelkonzerne sind hier dagegen selten oder gar nicht zu finden. Kein Wunder also, dass die Ökobranche ein Wachstum vorweisen kann, von dem die Vorstände von Nestlé und Co. nur träumen können.

Die großen Konzerne haben es schlicht verlernt, ihren Kunden zuzuhören. Eine Stärke, die einst auch Nestlé auszeichnete. Der Konzern verdankt seinen Aufstieg zum weltweit größten Nahrungsmittelproduzenten einer bahnbrechenden Erfindung. Mit dem ersten löslichen Milchpulver für Säuglinge erleichterte der Apotheker Henri Nestlé das Leben vieler Mütter und ihrer Kinder. Doch das liegt nun gut 150 Jahre zurück.

Künftiger Erfolg lässt sich nur sichern, wenn sich traditionsreiche Unternehmen auf ihre alten Werte besinnen und die Bedürfnisse ihrer Kunden respektieren. Sie müssen an erster Stelle stehen. Ernährung ist lebenswichtig und Vertrauenssache. Kaum jemand kann heute alles selbst anbauen und zubereiten. Diese Verantwortung müssen die Hersteller ernst nehmen, Verbraucher haben einen Anspruch darauf.

© SZ vom 29.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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