Kommentar:Der Brexit überschattet alles

Lesezeit: 3 min

Der britische Wirtschaftsminister kann einem leid tun: Er legt seine lange angekündigte Industriestrategie vor, doch niemand interessiert sich dafür. Der Brexit stellt alles in den Schatten.

Von Björn Finke

Der britische Wirtschaftsminister kann einem leid tun. Am Montag stellte Greg Clark die lange angekündigte Industriestrategie vor. Die Regierung will mehr Geld in Forschung, Bildung und Infrastruktur stecken und heimischen Firmen helfen, bei Zukunftsthemen wie Elektroautos und künstlicher Intelligenz vorne mitzuspielen. Doch im Frühstücksfernsehen ritten die Moderatoren vor allem auf der Frage herum, ob Clark den Brexit für eine gute Idee halte. Der Konservative, der vor dem EU-Referendum für den Verbleib geworben hatte, verweigerte kunstvoll eine klare Antwort.

Der EU-Austritt der Briten im März 2019 überlagert sämtliche politischen Initiativen im Land. Das gilt besonders für Wirtschaftspolitik. Die Vorhaben der Regierung, das Umfeld für Unternehmen zu verbessern, sind löblich. Und dass London mit dieser Industriestrategie unrealistische Ziele verknüpft, ist Werbegeklingel, das nicht ernst genommen werden muss, aber auch nicht schadet. So soll das Königreich bis 2030 zum innovativsten Staat des Planeten aufsteigen. Hui.

Die beste Industrie-Politik ist ein sanfter Austritt. Doch danach sieht es nicht aus

Mehr Geld für Mathelehrer und Elektro-Ladesäulen hilft allerdings nicht dabei, die drängendste Sorge der Unternehmer zu zerstreuen: Sie fürchten, dass der Brexit den Zugang zum wichtigsten Exportmarkt, den anderen EU-Staaten, erschwert. Und die Regierung von Premierministerin Theresa May hat einiges dafür getan, diese Sorgen noch zu vergrößern. Hätten sie die Wahl, würden die meisten Chefs wohl gerne auf die Industriestrategie verzichten, wenn May im Austausch eine stimmige und wirtschaftsfreundliche Brexit-Strategie präsentierte.

Denn die beste Industrie-Politik ist ein sanfter Austritt, der wenig Hürden errichtet. Jedes andere Verhandlungsergebnis mit Brüssel würde britische Firmen massiv belasten - und im Übrigen auch viele Betriebe auf dem Festland. Eine hübsche Ideensammlung namens Industriestrategie würde den Schock eines harten Brexit nicht erträglicher machen. Wer auf das Gegenteil hofft, ist rührend naiv.

Die Unsicherheit über die künftigen Handelsbeziehungen schmälert bereits die Investitionen. In der stark exportabhängigen Autoindustrie deuten Zahlen für die ersten sechs Monate darauf hin, dass die Manager 2017 dreiviertel weniger investieren als noch vor zwei Jahren. Das ist fatal, schließlich leidet die britische Wirtschaft ohnehin seit Langem unter einem Mangel an Investments. Im Vergleich zu anderen reichen Staaten sind Investitionen und Forschungsausgaben gering in Großbritannien. Eine Folge davon ist, dass britische Arbeiter verglichen mit Kollegen in anderen Industrieländern wenig produktiv sind. Was abstrakt klingt, bedeutet, dass Briten im Durchschnitt erst bis Freitag schaffen, was Arbeiter in Deutschland bis Donnerstag erledigen.

Zudem verbessert sich die Produktivität nur sehr gemächlich. Das ist ein wichtiger Grund dafür, dass die Löhne im Königreich in vielen Jahren langsamer steigen als die Preise. Briten können sich heute weniger leisten als vor einem Jahrzehnt.

Die Industriestrategie geht diese Probleme zwar an. Die Regierung wird jedoch kaum die nötigen zukunftsweisenden Milliarden-Investments in Fabriken sichern können, wenn bürokratische Hürden oder gar Zölle Exporte in die EU erschweren. Und die Gefahr eines solchen harten Brexit ist jetzt größer als bei Mays Amtsantritt vor anderthalb Jahren. Ihre Konservative Partei und das Kabinett sind über den Austritts-Kurs zerstritten, und May fehlt nach dem desolaten Wahlergebnis im Juni die Autorität, Minister und Abgeordnete auf Linie zu zwingen.

Unter diesen Umständen muss es schon als Riesenleistung gelten, dass sich das Kabinett darauf geeinigt hat, eine zweijährige Übergangsphase nach dem Brexit anzustreben. In dieser Zeit soll sich für Geschäfte über den Ärmelkanal nichts ändern. Aber was danach kommt, ist völlig unklar. Soll Handel mit der EU weiter ohne Grenzkontrollen und andere Hemmnisse ablaufen, sind Zugeständnisse nötig. Großbritannien wird sich dann weiter an manche Regeln und Standards aus Brüssel halten müssen; wahrscheinlich wird das Königreich keine eigenen Handelsverträge abschließen können.

Ob für so einen wirtschaftsfreundlichen Kurs eine Mehrheit in Kabinett und Partei existiert, weiß niemand, nicht einmal May. Es ist durchaus möglich, dass sich die Hardliner durchsetzen. Diese Rechtgläubigen sehen Nachteile für Firmen als akzeptablen Preis an für maximale Unabhängigkeit. Vielleicht zerbricht auch die Regierung über den Streit, und es gibt Neuwahlen kurz vor dem Austritt.

Für Unternehmer ist das alles sehr beunruhigend. Die gut gemeinte Industriestrategie bietet nur wenig Trost.

© SZ vom 28.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: