Kommentar:Den Schmu durchschaut

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Kurz vor der Wahl entdeckt plötzlich auch die CDU die Verbraucher. Angeblich will sie sich für den Schutz regionaler Produkte einsetzen - wieder einmal eine Mogelpackung.

Von Michael Kläsgen

Die Unionsparteien im Bundestag wollen erreichen, dass in den Lebensmitteln, die als "regional" gekennzeichnet sind, auch wirklich ein Produkt aus der Region steckt. Tatsächlich ist das bislang nicht der Fall. "Regionalität" ist für den Handel ein Verkaufstrick, der ziemlich gut funktioniert. Der Verbraucher greift zu diesen Produkten, weil er irrtümlich glaubt, dass sie aus der unmittelbaren Region stammen. Er zahlt sogar willentlich mehr dafür. Er meint, auf diese Weise ökologisch nachhaltig einzukaufen, was ja auch zutreffen würde, wenn die Transportwege tatsächlich kurz und die Bauern aus der Umgebung wirklich unterstützt würden. Genau das suggerieren ihm die suggestiven Claims der Händler wie "Ein Herz für Erzeuger" (Netto" oder "Ein gutes Stück Heimat" (Lidl).

Doch der Handel ist da nicht ganz ehrlich zum Verbraucher, und bislang wird er von der Politik auch nicht dazu angehalten, es zu sein. Was regional ist, darf die Industrie weitgehend selbst bestimmen. Für Rewe beispielsweise reicht es, wenn das Produkt aus dem gleichen Bundesland kommt. Bei großen Bundesländern wie Bayern oder Nordrhein-Westfalen sind nach dieser Definition große Entfernungen zwischen Supermarkt und Erzeuger kein Problem. Regional kann demnach auch ein Produkt sein, das mehr als 300 Kilometer entfernt hergestellt oder geerntet worden ist.

Eine so große Entfernung entspricht jedoch nicht dem, was sich der Verbraucher unter "regional" vorstellt. Deswegen wäre es tatsächlich sinnvoll, wenn der Gesetzgeber hier klare Vorgaben machen würde. Entlarvend ist aber der Zeitpunkt, zu dem die Union den Vorschlag macht. So kurz vor der Bundestagswahl darf man bezweifeln, dass die Union es ernst meint. Erstens ist nicht sicher, ob die Wortführer von heute in zwei Wochen noch im Parlament vertreten sind. Zweitens steht auch dann nicht fest, ob sich nach der Wahl noch jemand an den Vorschlag erinnert.

Denn der Vorstoß läuft auf Streit mit der Industrie hinaus. Ob die Unionsparteien sich ernsthaft mit Handel und Erzeugern anlegen wollen, ist fraglich. Bislang fielen sie eher dadurch auf, dass sie industriefreundliche Lösungen suchten, und zwar in fast allen Branchen, vom Diesel bis zur Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel. Es könnte daher sein, dass der Verbraucher in Sachen Regionalität gleich zweimal veräppelt werden soll. Einmal vom Handel, der mit dem Label Schmu betreibt, und ein zweites Mal von Politikern, die nur des Verbrauchers Stimme einheimsen, aber nichts wirklich daran ändern wollen, dass der Handel selbst definieren kann, was er für regional hält.

Zum Glück hat der Verbraucher die Sache längst durchschaut. Die Politik regiert nur auf das sich verändernde Verbraucherverhalten, wenn auch viel zu zaghaft, aber immerhin. Den meisten Verbrauchern ist völlig klar, dass es ein Widerspruch ist, wenn Konzerne, die im Wettbewerb nur bestehen können, weil sie über eine große Einkaufsmacht verfügen, plötzlich ihr Herz für den Kleinbauern in der Nähe des jeweiligen Supermarkts entdecken. Das geht ebenso wenig zusammen wie die Schlagworte Regionalität und Eigenmarke. Das eine schließt das andere aus. Eigenmarken setzen Massenproduktion voraus, Regionalität bedingt kleine Mengen, es sei denn, neben dem Supermarkt befindet sich eine Obstplantage oder eine Schweinefarm.

Kleine Händler werden sich durchsetzen, die den Verbraucher nicht beschwindeln

Für international agierende Lebensmittelkonzerne ist der logistische Aufwand viel zu groß, lokale Produkte in den jeweiligen Supermarkt einzuspeisen. Sie sind selber aus Fusionen mit kleinen Händlern entstanden und so groß geworden. Sie müssten ihren Zentraleinkauf, der ihre große Stärke ist, entgegen allen betriebswirtschaftlichen Regeln entmachten. Damit würden sie ihr eigenes Geschäftsmodell beschneiden, wozu sie keine Veranlassung haben. Ihre Einkaufsmacht, die große Stärke der Konzerne, entpuppt sich insofern als Schwäche.

Kleine Händler werden sie nutzen. Der Trend zu regionalen Lebensmitteln ist ungebrochen, vorausgesetzt, es handelt sich tatsächlich um solche. In Österreich kann man das bereits beobachten. Kleine Supermarktketten bieten dort ein Sortiment, das zu 40 Prozent und mehr aus regionalen Produkten besteht, die von Erzeugern stammen, die kaum mehr als 50 Kilometer entfernt sind. Wahre Regionalität wird sich auch in Deutschland ihren Weg bahnen. Dafür werden die Verbraucher sorgen.

© SZ vom 12.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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