Kommentar:Das Land ist besser als sein Ruf

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Die deutsche Wirtschaft steht nicht so schlecht da, wie gemeinhin angenommen wird. Außerhalb der Grenzen wird das zuerst erkannt.

Nikolaus Piper

Kaum eine Nation beschäftigt sich so sehr wie die der Deutschen mit der Frage: Wie sehen uns die anderen? Lieben sie uns, achten sie uns, trauen sie uns was zu?

Am Montag setzten Bundeskanzler Gerhard Schröder (Mitte), der Vorstand von GlaxoSmithKline (GSK), Jean-Pierre Garnier (links), und der Deutschland-Chef von GSK, Thomas Werner, zum ersten Spatenstich für den Erweiterungsbau des Dresdner Werkes für Grippeimpfstoffe an. (Foto: Foto: dpa)

So ist es kein Wunder, dass der Bundeskanzler eine optimistische Titelgeschichte aus dem Economist bereits zu einem Zeitpunkt bei Maybrit Illner im ZDF zitierte, als das Heft noch gar nicht auf dem Markt war.

Wenn die Engländer Deutschland wieder toll finden, dann muss es ja stimmen.

Tatsächlich hat es Symbolkraft, wenn das streng marktwirtschaftlich orientierte Wirtschaftsmagazin aus der Finanzmetropole London die deutsche Wirtschaft eine "positive Überraschung" nennt.

Schließlich hatten gerade in der britischen und amerikanischen Tradition stehende Investmentbanken und Ökonomen das deutsche Modell während der vergangenen Jahre immer besonders kritisch gesehen.

Wer allerdings in jüngster Zeit die Wirtschaftsteile der Zeitungen aufmerksam las, dem dämmerte, dass sich die Dinge in Deutschland zum Besseren wenden könnten. Vor allem ein klares Signal gab es: Ausländer investieren wieder massiv in Deutschland.

Einiges spricht für Deutschland

Die Bilanz der Direktinvestitionen ist positiv, der Deutsche Aktienindex stieg stärker als andere Börsenindizes. Und auch das Interesse von Beteiligungsgesellschaften - den von Franz Müntefering so apostrophierten "Heuschrecken" - an deutschen Unternehmen spricht für das Land.

Dabei schien es zuletzt, als wären nur ausländische Investoren bereit, die Risiken in der Frühphase eines Aufschwungs zu übernehmen, während die deutschen ängstlich ihr Geld zusammenhielten. Es bedurfte des Amerikaners Haim Saban, um Leo Kirchs große Fernsehsender aus dessen Insolvenzmasse aufzukaufen.

Für Deutschland sprechen ein paar Fakten, die im Lande selbst oft noch kritisch gesehen werden. Zum Beispiel die maßvolle Lohnpolitik, die dazu geführt hat, dass die im Wettbewerb entscheidenden Lohnstückkosten gesunken sind. Vor allem gegenüber den großen kontinentaleuropäischen Staaten Frankreich, Italien und Spanien hat sich so die Wettbewerbsposition verbessert.

Das Vetrauen steigt

Positiv ist die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche in vielen Betrieben, positiv sind schließlich die hohen Gewinne der großen Konzerne. All dies sind Voraussetzungen dafür, dass im Inland wieder Vertrauen entsteht, dass mehr investiert und konsumiert wird. So argumentieren die Autoren des Economist im Einklang mit den meisten internationalen Ökonomen.

Das zeigt aber auch: Die Stimmungsumkehr in der internationalen Wirtschaftsszene lässt sich nur bedingt politisch ausbeuten. Die entscheidenden Schritte haben nicht die Politiker, sondern die Unternehmen getan - mit zum Teil brutalen Maßnahmen. Betriebsräte und Gewerkschaften haben den Kurs - allen bösen Worten zum Trotz - flankiert.

Die Regierung hat zwar erste Reformschritte eingeleitet, doch wirken sich diese erst nach und nach aus. Allerdings war es Gerhard Schröder, der mit der Agenda2010 einen geistigen Wandel in Deutschland einleitete. Dessen Folgen werden ihn nun voraussichtlich die Macht kosten, dennoch könnte in der Arbeitsmarktreform aus historischer Sicht das größte Verdienst des Kanzlers liegen.

Die Politik muss ihre Hausaufgaben machen

Klar ist allerdings auch: Die Wirtschaft diesseits und jenseits der deutschen Grenzen setzt auf den Machtwechsel in Berlin - bei aller Skepsis Angela Merkel und ihrem bisherigen Kurs gegenüber.

Das Interesse und die Investitionen sind Indizien für einen nahen Aufschwung in Deutschland, aber noch lange nicht der Aufschwung selbst.

Damit der kommt, müssen die dringenden politischen Aufgaben gelöst werden: Begrenzung der Sozialkosten, Sanierung der Staatsfinanzen, mehr Geld und Qualität für die Bildung, flexiblere Arbeitsmärkte. Anderenfalls könnte doch noch alles vermasselt werden, wie der Economist zu Recht schreibt.

© SZ vom 20.08.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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