Kommentar:Dabeisein ist alles

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Der Prozess von 16 000 Aktionären gegen die Telekom ist erneut vertagt worden. Seit zwölf Jahren warten sie auf Schadenersatz. Es ist ein Lehrstück für alle Anleger.

Von Harald Freiberger

Einer der größten Anlegerprozesse, die es in Deutschland je gab, findet kein Ende: An diesem Donnerstag vertagte das Oberlandesgericht Frankfurt die Klagen von 16 000 Aktionären gegen die Telekom erneut. Mehr als zwölf Jahre dauert der Prozess bereits, in dem es um Schadenersatz von rund 80 Millionen Euro geht. Der Musterkläger, ein Pensionär aus Schwaben, ist inzwischen verstorben. Ein Anlegeranwalt warnt davor, dass dieses Schicksal auch andere Kläger treffen könnte, wenn das Gericht nicht bald zu einem Urteil komme.

Dies soll aber keine Richterschelte sein. Der Fall liegt kompliziert. Es geht darum, ob die Telekom bei ihrem dritten Börsengang im Jahr 2000 die Anleger im Börsenprospekt über eine US-amerikanische Tochter falsch informiert hat. Die Angelegenheit ging mehrmals zwischen den Instanzen hin und her. Noch immer ist offen, ob die Kläger je Geld sehen werden.

Interessant ist der Fall auch deshalb, weil nicht nur die T-Aktionäre Lehren daraus ziehen können, sondern alle Bürger.

Aktien sind keine Zockerpapiere, sondern das Beste, was die Wirtschaft zu bieten hat

Es läuft im Land einiges falsch in Sachen Geldanlage. Die Telekom, die 1996 an die Börse ging, ist daran nicht unschuldig. Sie spielte bei dem Hype mit Technologie-Aktien um die Jahrtausendwende eine maßgebliche Rolle. Ihr Kurs stieg von ursprünglich 15 Euro auf über 100 Euro und dümpelt seit 15 Jahren wieder bei 15 Euro. Ob dabei gegen Gesetze verstoßen wurde, ist wichtig für die Kläger, die teilweise fünfstellige Beträge verloren haben. Für die Masse der Privatanleger aber ist etwas anderes wichtig: Dass sie sich von der Telekom und anderen Fehlinvestitionen um die Jahrtausendwende zu sehr vom Aktienmarkt haben abschrecken lassen.

Der Anteil derjenigen, die Aktien oder Aktienfonds besitzen, ist nach dem Platzen der Technologie-Blase stark gefallen und seitdem kaum gestiegen. Einerseits ist das verständlich, weil die Aktienkultur in Deutschland vorher kaum entwickelt war. In dem Moment aber, wo sich eine Mehrheit der Bürger für die Anlageform zu interessieren begann, kam es zum Crash. Viele verloren dadurch Geld. Und so entstand bei ihnen der Eindruck, dass es sich bei Aktien um Zockerpapiere handelt, von denen man besser die Finger lassen sollte.

Das aber ist ein völlig falscher Gedanke. In Wirklichkeit handelt es sich bei Aktien nämlich um das Beste und das Wichtigste, was die Wirtschaftswelt zu bieten hat. Aktiengesellschaften repräsentieren einen Großteil der Unternehmen in Industrie- und Schwellenländern. Wer auf die Aktienmärkte setzt, setzt darauf, dass es mit Weltwirtschaft auf Dauer aufwärts gehen wird. Diese Ansicht kann so falsch nicht sein, wenn man die langfristige Entwicklung betrachtet. Sie haben sogar ein Jahrhundertereignis wie die Finanzkrise nach 2008 weggesteckt; die Kurse notieren heute deutlich höher als davor.

Entscheidend für Privatanleger ist es aber, nicht auf einzelne Unternehmen zu setzen. Diesen Fehler haben viele T-Aktionäre gemacht, mit dem Ergebnis, dass sie einen großen Teil ihres Ersparten verloren.

Einzelne Unternehmen können Pleite gehen, der gesamte Aktienmarkt kann auch über Jahre schlecht laufen, doch auf Dauer kannte die weltweite Wirtschaft immer nur eine Richtung: nach oben. Es gibt keine Garantie, dass dies immer so bleibt, aber die Wahrscheinlichkeit ist doch groß.

Anleger, die die Chancen der Aktienmärkte nicht nutzen, berauben sich der höheren Renditechancen, welche die Weltwirtschaft bietet. In Zeiten, da es für Sparprodukte bei der Bank und für sichere Staatsanleihen keine Zinsen mehr gibt, ist das umso schmerzlicher. Die Vermögensbildung der Bundesbürger hat in den vergangenen Jahrzehnten schwer gelitten - und dies vor dem Hintergrund, dass die gesetzliche Rente künftig niedriger ausfallen wird.

Es gibt auch eine gute Nachricht: Für Privatanleger ist es seit einiger Zeit leichter, breit in den Aktienmarkt zu investieren. Mit Indexfonds, zum Beispiel auf den weltweiten Index MSCI World, lässt sich die Entwicklung von mehr als 1600 Aktien weltweit abbilden. Eine gute Möglichkeit, gerade für die jüngere Generation, ist es, dies über einen Sparplan zu tun, bei dem jeden Monat eine feste Summe in einen Indexfonds fließt.

16 000 Telekom-Aktionäre warten seit mehr als zwölf Jahren darauf, für ihre Verluste entschädigt zu werden. Der Vorgang hat etwas Lähmendes. Währenddessen sind die Kurse vieler anderer Unternehmen weltweit immer weiter gestiegen. Die Mehrheit der Bundesbürger muss aufpassen, dass diese Entwicklung nicht auch in Zukunft ohne sie stattfindet.

© SZ vom 28.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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