Kommentar:Corbyn als Retter

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Die Woche wird spannend in London. Am Montag wird der Labour-Chef eine Zollunion mit der EU fordern. Und sich gegen Theresa May stellen, die ihre Vorstellungen der Handelsbeziehungen am Freitag darlegen wird.

Von Björn Finke

Nach langem Rätselraten sollen nun gleich zwei Reden mehr Klarheit schaffen: Am Freitag will Premierministerin Theresa May darlegen, wie die Handelsbeziehungen zwischen Großbritannien und der EU nach dem Austritt und einer Übergangsphase aussehen sollen. Brüssel wartet schon sehnsüchtig darauf, denn die Gespräche über ein Handelsabkommen beginnen bald. Bereits am Montag wird Labour-Chef Jeremy Corbyn die bisher recht vage Brexit-Position der größten Oppositionspartei schärfen.

In der Regel ist es bedeutsamer, was eine Regierungschefin sagt. Doch diesmal ist die Rede des Oppositionsführers wichtiger. Corbyns Worte können May einigen Ärger bereiten - und das Land auf einen sanfteren Brexit-Kurs zwingen. Das wäre gut für Großbritannien und gut für den Rest des Kontinents. Der altlinke Europa-Skeptiker wird sich dafür aussprechen, dass das Königreich in einer Zollunion mit der EU bleibt. So viel ist bereits klar.

Das klingt technisch und sperrig, hat aber schwerwiegende Folgen - sowohl für die britische Politik als auch für die künftigen Wirtschaftsbeziehungen.

Eine Zollunion geht über einen Freihandelsvertrag hinaus. Ihre Mitglieder erheben gegenüber Staaten außerhalb der Union einheitliche Zollsätze. Die EU ist eine Zollunion, weswegen es keine deutschen oder französischen Zollsätze für Rindfleisch-Importe gibt, sondern nur den von Brüssel bestimmten EU-Zoll. Einfuhren müssen nur einmal verzollt werden. Danach können sie ohne Kontrollen von Mitgliedsland zu Mitgliedsland transportiert werden - praktisch für die Unternehmen.

Allerdings können Mitglieder so einer Union keine eigenen Handelsverträge mit Staaten wie den USA abschließen, denn für Zölle und Handelspolitik ist Brüssel zuständig. Darum will May nach dem Austritt keine Zollunion mit der EU eingehen. Die Brexit-Enthusiasten im Kabinett und ihrer Konservativen Partei schwärmen davon, dass das Land schnell viele attraktive Handelsabkommen mit Wirtschaftsmächten weltweit unterzeichnen und so die Exporte ankurbeln kann. Das ist eine Fantasie von Empire-Nostalgikern, ein bloßer Traum, aber um diesem Traum hinterherrennen zu können, darf das Land nicht in einer umfassenden Zollunion sein.

Ohne diese Union müssten jedoch Zöllner in Calais und Dover - und an der inneririschen Grenze - zumindest stichprobenartig Laster kontrollieren. Das gilt selbst dann, wenn dank eines Freihandelsvertrags britische Waren zollfrei bleiben. Die Grenzer müssten verhindern, dass Produkte aus anderen Staaten, etwa den USA, via Großbritannien ungeprüft in die EU gelangen und so die EU-Zölle unterlaufen werden. Verzögerungen in den Häfen gefährden den steten Nachschub für Fabriken und Supermärkte; Unternehmer müssen sich mit Zollformularen herumschlagen; in Nordirland würde die unsichtbare Grenze wieder sichtbar und der Friedensprozess belastet: Das Königreich würde einen absurd hohen Preis für den luftigen Traum vom Export-Empire zahlen.

Im Parlament hat der Vorschlag einer Zollunion eine Mehrheit. May droht eine Niederlage

Im Parlament wollen darum Anhänger eines soften Brexit die Regierung zwingen, doch eine Zollunion anzustreben. Ein Dutzend europafreundliche Abgeordnete von Mays Konservativen unterstützt diesen Antrag. Schwört Labour-Chef Corbyn seine Partei auf diesen Kurs ein, hätten die Freunde der Zollunion eine Mehrheit im Haus. Will May keine Niederlage im Parlament riskieren - und damit das Aus für ihre Regentschaft -, muss sie einen Kompromiss suchen.

Labours Brexit-Kurs ist bisher schwammig; hiermit gleicht er dem der Regierung. Aber langsam müssen die Politiker im Land Stellung beziehen. Sie müssen aufzeigen, welche wirtschaftlichen Opfer sie in Kauf nehmen, um durch den Brexit mehr Souveränität zu erlangen. May wird dieser unbequemen Frage bei ihrer Rede am Freitag allerdings erneut ausweichen. Sie will offenbar die Vision entwerfen, dass sich manche Branchen, etwa die Pharma- oder Autoindustrie, weiter an EU-Regeln halten sollen. Für die Firmen sollen sich dann keine bürokratischen Hürden beim Handel mit dem Festland auftun. In anderen Branchen - zum Beispiel bei den Banken - will London eigene Standards setzen. Brüssel soll diese aber bitte schön als gleichwertig anerkennen und damit ungestörte Geschäfte gewährleisten.

Viele Vorteile der EU-Mitgliedschaft, wenig Nachteile: "Managed divergence", gesteuertes Abweichen vom EU-Recht, nennt die Premierministerin diese hübsche Idee. Für Brüssel klingt das schlicht nach Rosinenpickerei, der Vorschlag gilt als chancenlos. Für May kommt bald die Stunde der Wahrheit - im Parlament und bei den Gesprächen mit Brüssel.

© SZ vom 26.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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