Kommentar:Bedingt krisenfest

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Bis Montag müssen die Versicherer mit Quoten zeigen, wie gesund sie sind. Vielen von ihnen gefällt das nicht, sie bemängeln die fehlende Vergleichbarkeit. Doch die Versicherer sollten stattdessen lieber ihre Geschäftsmodelle transparenter machen.

Von Herbert Fromme

So nervös waren die Vorstände von Versicherungsunternehmen schon lange nicht mehr. Denn an diesem Montag werden in der gesamten Europäischen Union Zensuren verteilt. Alle Versicherer müssen spätestens am 22. Mai 2017 zum ersten Mal ihre Solvenzquoten unter den 2016 eingeführten Vorschriften Solvency II vorlegen. Sie messen, wie gesund die Unternehmen sind, wer eigentlich pleite ist und wer trotz niedriger Zinsen gut dasteht. 100 Prozent ist das Minimum, wer weit mehr als 100 Prozent hat, steht gut da, wer nur knapp darüber liegt, schlechter.

Es gehört zu den Lebenslügen der Versicherungswirtschaft, dass die Gesellschaften angeblich prinzipiell sicher sind, jedenfalls sicherer als Banken und Fonds. Die Solvency-Zahlen decken auf, dass eine ganze Reihe von Anbietern ziemlich schwach auf der Brust sind.

Den Damen und Herren in den Vorstandsetagen vieler Gesellschaften ist das gar nicht recht. Seit Monaten trommelt deshalb der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), eigentlich könne man mit den Zahlen nichts anfangen. Die Ausgangslage sei zu unterschiedlich, ein Vergleich der Quoten deshalb wenig aussagekräftig. Verbraucherschützer und Presse sollten sie am besten nicht verwenden.

Jetzt ist die Gelegenheit, das Geschäftsmodell endlich transparenter zu machen

Mit dem Argument haben schon Generationen von Schülern und Studenten versucht, schlechte Noten zu begründen. Die Mutter des Mitschülers ist Engländerin, kein Wunder, dass er in Englisch besser ist. Wer als Studentin für den Lebensunterhalt arbeiten muss, kann nun mal keine so gute Noten erzielen wie andere, die ausreichend Geld von den Eltern erhalten. Das alles sind bedenkenswerte Einwände. Doch Schulen und Hochschulen hindert das nicht daran, alle Schüler und Studenten brutal zu vergleichen.

Versicherer tun sich keinen Gefallen mit dem Versuch, die Bedeutung der Solvenzquoten herunterzuspielen. Sie sollten stattdessen die Gelegenheit nutzen, ihr Geschäftsmodell endlich transparenter zu machen. Das ist dringend nötig. Nur so kann die Branche verloren gegangenes Vertrauen wiedergewinnen.

Die Kunden können mit den neuen Quoten etwas besser einschätzen, wie es Gesellschaften geht. Aber es wäre ein Fehler, in Panik zu verfallen, sollte ihr Lebensversicherer schlechte Quoten aufweisen. Es ist ebenso falsch, nur wegen der guten Solvenzzahlen einen Anbieter zu wählen. Die Finanzaufsicht Bafin argumentiert ähnlich wie die Versicherer: Die Zahlen seien nicht vergleichbar. Von der Bafin wünscht man sich, dass sie mehr über die Probleme der Branche unterrichtet, statt die Solvenzzahlen kleinzureden. Die Aufsicht hat eine Heidenangst davor, dass schlechte Werte einige ohnehin angeschlagene Unternehmen vollends in die Krise stürzen. Dabei soll Solvency II die Versicherer krisenfester machen. Das Prinzip: Jedes Unternehmen muss berechnen, wie hoch die Versicherungsrisiken und die Risiken aus Kapitalanlagen sind, und dann feststellen, ob es genug Eigenmittel hat.

Wer Reihenhäuser in einer Kleinstadt gegen Feuer versichert, braucht dafür weniger Kapital als für die Abdeckung der Haftpflichtrisiken eines Flugzeugherstellers. Wer nur kurzfristigen Schutz gegen Unfälle anbietet, kann das mit weniger Kapital tun als Lebensversicherer, die auf Jahrzehnte festgeschriebene Garantiezinsen versprochen haben. Anbieter, die viel in Aktien anlegen, benötigen mehr Kapital als Rivalen, die vor allem Staatsanleihen kaufen. Der gesamte Kapitalbedarf wird dann zusammengezählt und mit den Eigenmitteln verglichen. Wer zehn Milliarden Euro Risikokapital braucht und 15 Milliarden Euro hat, kommt auf eine Solvenzquote von 150 Prozent.

Was so einfach klingt, ist im Detail sehr komplex. Da gibt es Standard-Risikomodelle, selbst entwickelte interne Modelle und viele Ausnahmeregeln. Sie gelten vor allem für die Lebensversicherer. Denn nach harter Lobbyarbeit der Branche hat die EU ihnen eine Übergangsfrist von 16 Jahren eingeräumt, wenn sie es wünschen. Deshalb veröffentlichen viele Lebensversicherer heute zwei Solvenzquoten: eine Zahl ohne die Nutzung von Übergangsmaßnahmen und eine meist erheblich bessere Zahl mit deren Nutzung.

Die Transparenz wird also erst einmal mit Unklarheiten erkauft. Aber Versicherer und Kunden können lernen, die Daten vernünftig zu nutzen. Die GDV-Argumente gegen die Verwendung der Quoten haben etwas Heuchlerisches: denn es sind vor allem die Versicherer mit guten Werten, die schon heute damit im Wettbewerb arbeiten und die schwächere Konkurrenz schlechtreden. Das kann die Branche ganz allein, dafür braucht sie weder Verbraucherschützer noch Medien.

© SZ vom 22.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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