Kommentar:Auf zur Waffengleichheit

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Gegen Konzerne haben Verbraucher, wenn es darauf ankommt, kaum eine Chance. Eine Sammelklage kann helfen. Ein Thema für die Jamaika-Verhandler.

Von Marc Beise

Kistenweise liegen die Akten jetzt im Landgericht Braunschweig herum und warten auf Bearbeitung. Mehr als 15 000 VW-Kunden wollen Geld zurück vom einstigen Autokonzern ihres Vertrauens, der ihnen Dieselfahrzeuge mit manipulierten Schadstoffwerten verkauft hatte. Die Autobesitzer sind begehrlich geworden durch Berichte aus den Vereinigten Staaten. Dort hat VW bereits Schadenersatz insgesamt in Milliardenhöhe zahlen müssen - warum nicht auch hier in Deutschland? Die Antwort ist einfach: weil es für den Verbraucher in Deutschland unendlich schwieriger ist als in den USA, sich sein Recht zu holen.

Wenn ein Kunde sich überhaupt zum Anwalt und dann vor Gericht wagt, verliert er häufig in der ersten Instanz. Den Gang in die zweite Instanz, in der er eher Erfolg haben könnte, schenkt er sich meist. Wenn er ihn ausnahmsweise doch geht, dann lenkt der Konzern sogar häufig ein, weil er ein Grundatzurteil fürchtet, und vergleicht sich. Das freut den betroffenen Autobesitzer, aber es hilft keinem anderen.

Verbraucher haben gegen Konzerne kaum eine Chance. Das muss sich ändern

Noch schwieriger wird es, wenn der Kunde indirekt geschädigt worden ist, beispielsweise wenn Produzenten sich zu verbotenen Kartellen zusammengetan und die Preise künstlich hoch gehalten haben. Wenn es für die Rechtsordnung gut läuft, kommt das Bundeskartellamt oder die Europäische Kommission den Tätern auf die Spur, die dann eine Kartellstrafe zahlen müssen. Das Geld geht an den Staat, der Verbraucher aber bleibt auf seinem Schaden sitzen; er wird ihn häufig nicht einmal bemerkt haben - wie denn auch?

So hat sich über die Jahrzehnte das Kräfteverhältnis zwischen Verkäufer und Käufer verschoben. Hier der Produzent, der immer größere Mengen genormt herstellen kann. Dort der Kunde, der angesichts der wachsenden Kompliziertheit der Waren und Dienstleistungen immer weniger vom Produktionsprozess verstehen kann. Von Waffengleichheit, wenn es sie denn jemals gab, kann seit Langem nicht mehr die Rede sein.

Seit vielen Jahren wird das Thema diskutiert, die EU-Kommission hat den Mitgliedstaaten im Jahr 2013 empfohlen, neues kollektives Recht zu schaffen, in Deutschland scheiterten die Grünen mit einem Gesetzesvorstoß am Widerstand der Wirtschaft. Erst jetzt, mit dem massenhaften Dieselbetrug, ist das Thema wieder da. Und es ist kein Zufall, dass ausgerechnet US-Kanzleien sich den Weg in die deutschen Gerichte bahnen. Sie arbeiten dabei mit einer deutschen Firma zusammen, die sich wiederum von den VW-Kunden deren Ansprüche hat abtreten lassen und diese nun allesamt in einer einzigen, eigenen Klage geltend macht. Die amerikanischen Anwälte riskieren eigenes Geld, aber es winkt ihnen auch ein großer Gewinn. Sollten sie Erfolg haben, stehen ihnen sagenhafte 35 Prozent des erstrittenen Schadenersatzes zu - daran schon sieht man, dass hier etwas nicht in Ordnung sein kann.

Würde dieses Modell Schule machen, dann könnte, so die Befürchtung, in Deutschland eine ähnliche Klage-Industrie entstehen wie in den USA, wo Anwälte sich und ihren Mandanten irrsinnige Summen erstreiten oder erhandeln können. Es ist diese Furcht vor amerikanischen Verhältnissen, die nun die FDP auf den Plan gerufen hat. Sie will im Rahmen der Jamaika-Koalitions-Verhandlungen sogenannte Sammelklagen in Deutschland möglich machen (obwohl die Liberalen das Thema im Wahlkampf ebenso wie die Union noch gar nicht entdeckt hatten).

Eine Sammelklage im deutschen Recht ist überfällig. Wie das im Einzelnen ausformuliert werden kann, ist juristisch kompliziert. Viel spricht für die Ausgestaltung als Musterfeststellungsklage. Ein kompliziertes, aber selbsterklärendes Wort: Beispielsweise könnte eine Verbraucherzentrale einen (Muster-)Fall grundsätzlich vorentscheiden lassen. Potenziellen Klägern erspart das nicht den Gang zu Gericht, aber es erleichtert die Kalkulation der Erfolgsaussichten. In der Summe profitieren von der Etablierung eines regelrechten Verbraucherklagerechts nicht nur die Kunden, sondern sogar auch die Unternehmen: Sie haben den sehr konkreten Anreiz, ordentlich zu wirtschaften.

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version dieses Kommentars hieß es: "Dass namentlich FDP-Parteivize Wolfgang Kubicki sich dieses Themas angenommen hat, hat Chuzpe. Er hat als Anwalt schon spektakulär für VW gearbeitet, weshalb man unterstellen könnte, dass es ihm vor allem darum geht, seinen Mandanten zu schützen. Das bestreitet Kubicki entschieden, er wolle vielmehr das deutsche Rechtssystem vor der Übernahme durch amerikanische Kanzleien schützen - auch ein (Vorsicht, Ironie!) gutes Argument für einen deutschen Anwalt. Trotzdem hat Kubicki in der Sache recht."

Diese Darstellung ist falsch. Kubicki hat nach eigenen Angaben bisher nur Mandate gehabt, "bei denen VW der Gegner war/ist". VW sei noch nie sein Mandant gewesen. In der Rotlicht-Affäre bei Volkswagen hatte Kubicki als Anwalt entscheidend dazu beigetragen, dass klar wurde: Es ging nicht um Verfehlungen einzelner, sondern um ein kriminelles System VW (Schmieren von Betriebsräten), das bis in die Konzernspitze reichte.

Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

© SZ vom 08.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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