Kommentar:Arbeiter und Lufthanseaten

Lesezeit: 3 min

Bei Lufthansa wurde gerade der angekündigte Streik abgesagt, bei Amazon läuft die Auseinandersetzung schon seit zwei Jahren. Doch Streik ist nicht gleich Streik - und das hat Auswirkungen auf die Erfolgsaussichten.

Von Detlef Esslinger

Der eine Streik ist abgesagt, der andere durchgezogen worden. Die eine Firma hat beschlossen, nun auf ihre Mitarbeiter zuzugehen; die andere denkt nicht einmal daran, mit ihnen zu verhandeln. Die eine muss Streiks fürchten, die andere schert sich nicht drum. Damit wären die Unterschiede zwischen Lufthansa und Amazon benannt.

Seit Ostern befindet sich die Gewerkschaft Verdi in einer Auseinandersetzung mit dem Internetkonzern; seit Ostern 2013 allerdings. Verdi will dort einen Tarifvertrag erzwingen, der im Idealfall an die Regelungen im Einzel- und im Versandhandel angelehnt ist. Amazon will überhaupt keinen Tarifvertrag. In der amerikanischen Führungskultur des Konzerns ist diese Form von Mitbestimmung nicht vorgesehen. Stattdessen wollen die Manager alleine festlegen, welcher Mitarbeiter von ihnen welche Summe bekommt.

Wie die Gefechtslage in der Auseinandersetzung ist, wurde am Mittwoch in zwei Äußerungen der Kontrahenten erkennbar. Verdi-Vorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger behauptete, Amazon habe es "in der Hand, Beschäftigten und Kunden ein reibungsloses Weihnachtsgeschäft zu ermöglichen". Woraus man schließen soll, dass auf die Streiks an fünf der acht Standorte vom Mittwoch sehr bald weitere folgen werden. Dem Deutschland-Chef von Amazon, Ralf Kleber, fiel dazu der Satz ein: "Die Arbeitsniederlegungen haben keinen Einfluss auf die Einhaltung unseres Lieferversprechens." Mit anderen Worten, es ist ihm absolut egal, ob Verdi streikt oder nicht. Die Gewerkschaft darf gerne wieder ein bisschen rumtoben. Und falls ihr Ostern 2017 immer noch danach sein sollte - auch recht.

Eine ganz andere Situation herrscht bei der Lufthansa. Die Arbeitsniederlegungen mal der Piloten, mal der Flugbegleiter haben enormen Einfluss auf die Einhaltung ihres Flugversprechens (wie der Mann von Amazon wohl sagen würde). Insgesamt 14 Streikrunden hat es inzwischen gegeben, der Schaden wird für die Fluggesellschaft zur ernsthaften Bedrohung. Ohne Pilot und ohne Flugbegleiter hebt nun mal kein Flugzeug ab; anders als Amazon-Arbeiter in Bad Hersfeld sind sie auch kaum zu ersetzen. Und weil so viele Piloten und Flugbegleiter Mitglieder der Gewerkschaften Cockpit und UFO sind, bedeutet jeder Streik, dass ein großer Teil der Lufthansa-Flotte nicht fliegen kann.

Den Protest der Piloten und der Flugbegleiter kriegt jeder mit - den Protest bei Amazon keiner

Was eine Gewerkschaft einem Arbeitgeber abringen kann, das hängt nicht unbedingt davon ab, wie gut oder wie schlecht es ihm geht. Schon gar nicht hängt es davon ab, wie "berechtigt" die Forderungen sind. Was jeweils berechtigt oder unberechtigt ist, kann ja nur jede Seite für sich entscheiden, je nach Perspektive und Interessen. Der Erfolg einer Gewerkschaft hängt letztlich immer davon ab, wie stark sie ist, also über wie viele streikbereite Mitglieder sie die Verfügungsmacht hat. Bei der Lufthansa: über viele. Bei Amazon: immer noch nicht über viele genug. Also geht es Cockpit und Ufo darum, die Lufthansa endlich zu Zugeständnissen zu zwingen. Also kann es Verdi bei Amazon immer nur darum gehen, mit jedem Streik und jeder Kundgebung ein paar weitere Beschäftigte für die Gewerkschaft zu werben. Bis die Firma eines fernen Tages vielleicht doch noch ihr Lieferversprechen in Gefahr sieht.

In der Sache ist der Lufthansa-Konflikt viel komplizierter als der bei Amazon. Letztlich geht es bei dem Internetkonzern um einen gewöhnlichen Tarifvertrag. Die Lufthansa hingegen hat nicht nur die Positionen von drei Gewerkschaften gegeneinander abzuwägen (neben Cockpit und Ufo gibt es dort ebenfalls noch Verdi, fürs Bodenpersonal). Und sie ist auch nicht nur viel widrigeren Märkten ausgesetzt als Amazon: Sie kämpft um ihre Stellung, während Amazon wächst und wächst.

Besonders kompliziert ist der Lufthansa-Konflikt deshalb, weil der Vorstand auch dessen kulturelle Dimension lange unterschätzt hat. Jahrzehntelang durften sich die Mitarbeiter als Teil und als Kapital des Unternehmens verstehen; ein jeder war nicht Angestellter, sondern Lufthanseat. Als der Konzern in Probleme geriet, wurde peu à peu die Zeichensprache umgestellt: Die Lufthanseaten fühlten sich plötzlich nur noch als Angestellte, wenn nicht als Kostgänger wahrgenommen. Folglich beschlossen sie: Unverschämt sein können wir auch. So kam es zu all den Streiks, in denen jede Gruppe nur noch an sich und keine mehr an alle dachte. Nun wollen sich der Vorstand und alle drei Gewerkschaften zusammensetzen und gemeinsam beraten. Ein Anfang, mehr noch nicht. Und trotzdem ein Zeichen für eine Kultur, von der die Kommandeure bei Amazon möglicherweise nicht einmal wissen, dass es so etwas gibt.

© SZ vom 26.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: