Kommentar:Absturz zu Halloween

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Der wilde Brexit wird zum Alptraum der britischen Wirtschaft. Doch Boris Johnson, Favorit fürs Amt des Premiers, denkt nur an die eigene Karriere.

Von Björn Finke

Ist von Klippen und England die Rede, denken wohl die meisten an die hübschen Kreidefelsen von Dover, ein beliebtes Fotomotiv. Doch für die Manager im Königreich haben Klippen im Moment eine andere, weniger schöne Bedeutung: Unternehmensführer und Verbandsvertreter sprechen ausdauernd davon, dass sich die Firmen auf die Klippe eines ungeregelten EU-Austritts vorbereiten müssen. Sie befürchten, dass am Brexit-Datum 31. Oktober über Nacht Zölle und Kontrollen eingeführt werden. Sie bangen, dass sich ganz plötzlich, ohne Zeit zur Eingewöhnung, Hürden auftun bei Geschäften mit dem wichtigsten Handelspartner, der übrigen EU. Die Wirtschaft würde bildlich gesprochen eine Klippe herunterstürzen, in eine unsichere Zukunft.

Diese Angst lähmt, und das schlägt sich inzwischen in schnöden Zahlen nieder. Das Handelsministerium veröffentlichte nun Statistiken zu ausländischen Investitionen im Königreich. Die Zahl solcher Projekte sank auf den niedrigsten Wert seit sechs Jahren. In der exportabhängigen Auto-Industrie fiel der Wert der Investitionen in britische Standorte seit 2015 um drei Viertel. Manager verschieben Investitionen oder sagen sie ab, weil sie nicht wissen, welchen Bedingungen Handel in wenigen Monaten unterliegen wird.

Damit richtet der Brexit bereits Schaden an, obwohl das Land noch gar nicht ausgetreten ist. Und fatalerweise tut Boris Johnson, der Favorit für die Nachfolge von Premierministerin Theresa May, sein Möglichstes, um den Schaden weiter zu erhöhen. Die Mitglieder der Konservativen Partei wählen bis 22. Juli den neuen Partei- und Regierungschef; Johnson könnte also schon in gut drei Wochen an die Spitze aufrücken. Zum Entzücken der Partei behauptet der Politiker, er könne mit der EU einen besseren Austrittsvertrag verhandeln als May. Und klappt das nicht, werde er das stolze und mächtige Königreich am 31. Oktober - passenderweise ist das der Gruseltag Halloween - ohne gültiges Abkommen aus der EU führen.

Boris Johnson denkt nicht an das Wohl des Landes, sondern bloß an seine Karriere

Ohne Vertrag fällt aber die vereinbarte Übergangsphase weg, in der sich nichts ändern soll. Es würden sofort Zölle erhoben, und weil die Häfen nicht ausreichend auf Kontrollen vorbereitet sind, drohen Chaos und Staus. Die EU will das Austrittsabkommen nicht wieder aufschnüren, auf das sich London und Brüssel nach langen Verhandlungen geeinigt haben. Darum wäre ein ungeregelter Brexit schwer zu vermeiden, wenn Johnson an seinen markigen Versprechen festhält.

Früher waren die Tories, die Konservativen, die Partei der wirtschaftlichen Vernunft. Ein vernünftiger, auf das Wohl des Landes bedachter Premierminister-Kandidat würde versuchen, Firmen und Investoren die Angst zu nehmen. Er würde das Selbstverständliche sagen: dass ein Austritt ohne Vertrag wirtschaftlicher Vandalismus wäre und er ihn vermeiden wird. Doch Johnson ist nicht auf das Wohl des Landes bedacht, sondern auf seine Karriere. Er will den Brexit-Enthusiasten in seiner Partei gefallen.

Aber selbst wenn ein Absturz von der Klippe zu Halloween abgewendet wird: Die nächste Klippe wird nicht lange auf sich warten lassen. Verschiebt der neue Premier den Austritt, bedeutet das für Manager und Beschäftigte einfach nur weitere Monate voller Unsicherheit. Neue Klippen würden selbst dann drohen, wenn das Parlament endlich den Austrittsvertrag annimmt und das Königreich die EU geordnet verlässt. Denn die wirklich wichtigen Debatten haben noch gar nicht begonnen. Erst nach dem Brexit, in der Übergangsphase, wollen Brüssel und London über einen Handelsvertrag diskutieren. Da geht es um so heikle Fragen wie die, ob Großbritannien Einwanderung aus der EU kontrollieren und eigene Standards setzen darf, wenn reibungsloser Handel beibehalten werden soll.

Nach den Erfahrungen der vergangenen drei Jahre ist klar, dass diese Gespräche unglaublich schwierig werden. Es kann deswegen gut sein, dass kurz vor Ende der Übergangsphase - zwei oder drei Jahre nach dem Austritt - völlig offen sein wird, ob ein Handelsvertrag tatsächlich zustande kommt. Das wäre dann die nächste Klippe.

Die fatale Entscheidung, die EU zu verlassen, bringt der Wirtschaft also viele Jahre voller Ungewissheit. Zugleich lähmt der Streit über den richtigen Austrittskurs das Parlament; wichtige Themen werden nicht angepackt, weil der Brexit alles überschattet. Und ein Ende dieses Trauerspiels ist nicht absehbar.

Ein gespaltenes Land, eine gelähmte Politik, verunsicherte Manager: Die Briten zahlen schon jetzt einen hohen Preis für den Brexit. Und er wird noch steigen.

© SZ vom 28.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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