Kolumne:Von Österreich lernen

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Viele deutsche Wahlkämpfer sehen im Rentensystem des Nachbarlandes ein Vorbild. Wer allerdings genau hinschaut, stellt fest: Das System ist nicht nachhaltig.

Von Nikolaus Piper

Es gab eine Zeit, da galt Österreich als das "bessere Deutschland": mehr Wachstum, weniger Arbeitslose, bessere Sozialleistungen. Das ist eine Weile her (zuletzt machte Wien Schlagzeilen mit der Wiederholung der Präsidentenwahl), doch jetzt ist das Land dabei, wieder zum Vorbild der Deutschen zu werden, jedenfalls, wenn es nach dem Willen einiger Wahlkämpfer geht. Objekt der Bewunderung ist das österreichische Rentensystem. "Armut stoppen: Löhne rauf, Renten wie in Österreich - im Schnitt 800 Euro im Monat mehr", fordert Oskar Lafontaine. Das Wahlprogramm der Linken enthält eine regelrechte Hymne auf das Nachbarland. Bereits im vergangenen Jahr veröffentlichte die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung eine Studie über die Vorzüge des österreichischen Systems.

Liest man das Papier, ist man durchaus geneigt, neidisch zu werden auf die Pensionisten (so heißen Rentner in Österreich). Ein österreichischer Arbeitnehmer, der sein ganzes Arbeitsleben lang Beiträge gezahlt hat, bekommt, wenn er 65 ist, 1560 Euro monatlich, und das 14-mal im Jahr. In Deutschland sind es dagegen magere 1050 Euro - zwölfmal im Jahr. In Deutschland soll das Rentenniveau langfristig von derzeit 47,4 auf 44,6 Prozent des Durchschnittseinkommens sinken, in Österreich soll es bei 68 Prozent bleiben. Man möchte fast an ein Wunder glauben, schließlich sind sich Österreich und Deutschland in den für die Rente relevanten demografischen Daten ziemlich ähnlich. Die Lebenserwartung der Österreicher liegt bei 81,5 Jahren (Deutschland: 80,7), im statistischen Durchschnitt kommen auf jede Österreicherin nur 1,47 Geburten (Deutschland: 1,44). Auch in Österreich altert also die Gesellschaft, auch dort müssen immer weniger Junge für immer mehr Alte aufkommen.

Wie also schaffen die Österreicher das? Die Frage ist alles andere als akademisch in einer Zeit, in der die Deutschen zunehmend Angst vor Altersarmut haben und die Politiker von CSU, SPD und Linkspartei nach Mitteln dagegen suchen. Ein Teil der Antwort lautet: Der Beitrag zur Rentenversicherung ist mit 22,8 Prozent wesentlich höher als in Deutschland (18,7 Prozent). Zudem ist man dort erst nach 15 Jahren Einzahlung rentenberechtigt, in Deutschland nach fünf Jahren. Außerdem ist das österreichische System eine Erwerbstätigenrente, die nicht nur für Arbeitnehmer gilt, sondern auch für Selbständige, Beamte und Politiker. Dieser Tatbestand ist für viele deutsche Österreich-Fans besonders wichtig, ob er aber viel ausmacht, ist zweifelhaft. Wenn alle einzahlen müssen, wird der Topf zwar größer, es fließt aber auch mehr Geld ab, schließlich gehen auch Beamte und Politiker in Rente.

Und dann gibt es noch etwas, das heutzutage gerne vergessen wird: Österreich hatte 1990 keine Wiedervereinigung. Die Regierung in Wien musste also im Gegensatz zur Bundesregierung nicht für die Renten von Millionen Menschen aufkommen, die beim Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus arbeitslos wurden. Aber vielleicht können die Deutschen ja trotzdem aus der österreichischen Erfahrung lernen? In diesem Zusammenhang lohnt es sich, in den jüngsten Österreich-Bericht des Internationalen Währungsfonds zu schauen. Darin fordern die Ökonomen des IWF weitreichende Reformen, um die "fiskalische Nachhaltigkeit" des Landes zu sichern, denn mit dem Altern der Bevölkerung nehme der Druck auf die Haushalte zu, die Staatsschulden stiegen. Das derzeit (dank guter Konjunktur) geöffnete "Zeitfenster" sollte genutzt werden für "effizienzsteigernde Reformen" bei der Gesundheitsversorgung, dem Bildungssystem, den Subventionen für die Wirtschaft und eben den Pensionen. Mit anderen Worten: Das österreichische System ist nicht nachhaltig oder, wie man heute gerne sagt, nicht zukunftsfähig. Wenn nichts passiert, werden die Pensionskosten irgendwann die Staatsfinanzen sprengen.

Die aktive Generation muss zu hohe Lasten tragen

Warum das so ist, lässt sich am österreichischen Bundeshaushalt ablesen. Die Steuerzahler bezuschussen die Pensionsversicherung mit 14 Prozent der Gesamtausgaben (in Deutschland sind es 10,3 Prozent). Dazu kommt noch ein massiver Zuschuss an die Krankenkassen. Der erlaubt es, die Beiträge zur Krankenversicherung auf 7,65 Prozent zu senken, was die hohen Rentenbeiträge erst erträglich macht. In einer Rangliste der verlässlichsten Rentensysteme der Beratung Mercer landete Österreich im vergangenen Jahr auf dem 18. von 25 Plätzen, direkt hinter Brasilien; Deutschland kam auf Platz 12.

Deutschland sollte also tatsächlich etwas von Österreich lernen: Niemand kann aus der Logik der Demografie ausbrechen - die aktive Generation muss immer die junge und die alte unterhalten; und Österreich bürdet der derzeit aktiven Generation sehr viel auf zugunsten der derzeit alten, in Form von Beiträgen und in Form von Steuern, die nun nicht für anderes ausgegeben werden können. Auf die Dauer geht das nicht gut. Die Befürworter in Deutschland sagen: Wenn die Prämien und die Subventionen für die Riester-Rente entfallen würden, dann wäre das mit den Beiträgen gar nicht so schlimm. Der Verzicht auf die staatlich geförderte private Vorsorge - ein wichtiges Ziel der Linken - wäre aber fatal. Mit Riester oder anderen Kapitalanlagen entkommt man zwar nicht dem Generationenvertrag, man kann aber die Gemeinschaft der Beitragszahler entlasten und man bildet Vermögen.

So wie es aussieht, werden Österreich und Deutschland erneut ihre Systeme der Altersversorgung reformieren. Die Themen werden ähnlich sein: Wie verhindert man Altersarmut, ohne die aktive Generation zu überlasten? Wie macht man die Förderung der privaten Vorsorge effizienter? Österreich und Deutschland haben doch einiges gemeinsam.

© SZ vom 21.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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