Kolumne "Silicon Wadi":Medizinisches Testlabor

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Israelische Unternehmen sollen Zugriff auf medizinische Daten von fast der gesamten Bevölkerung bekommen und Lösungen entwickeln.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Israel will sich ein großes Stück von einem Markt sichern, der nach Ansicht von Premierminister Benjamin Netanjahu "noch gigantischer ist als der Transportmarkt und noch mehr Potenzial hat als der Bereich Cybersicherheit". Gemeint ist der digitale Gesundheitsbereich. Israel will zum medizinischen Testlabor werden. Israelische Ärzte haben Patienteninformationen schon seit zwanzig Jahren zusammengetragen und können auf Daten von sieben Millionen Menschen, also einem Großteil der Bevölkerung, zurückgreifen. Die meisten Informationen sind bereits auf digitalen Plattformen gespeichert.

Die Regierung ermuntert die Bevölkerung, aktiv zum Datenpool beizutragen. Dazu gehören medizinische Daten, aber auch solche über die Fitness, die von Armbändern oder Handys aufgezeichnet werden. Datenschutzbedenken werden mit dem Argument beiseitegeschoben, dass es um eine nationale Aufgabe geht. So soll eine riesige Infrastruktur für medizinische Daten aufgebaut werden und Psefas, eine Datenbank, die genetische und andere Informationen enthält.

Die israelische Regierung investiert insgesamt rund 300 Millionen US-Dollar in das Vorhaben, Israel zum "digitalen Gesundheitshub" zu machen. Die Entwicklung vom Datensammeln zur Datenanalyse und damit zu digital unterstützten Gesundheitsdiagnosen soll mit staatlicher Unterstützung massiv vorangetrieben werden.

Bisher war Israel dafür bekannt, eine Vielzahl an Start-ups zu haben, die sich mit der Lösung medizinischer Probleme auseinandersetzen. Der Staat will nun die Verbindung zwischen der riesigen Datenmenge und Unternehmen fördern. Mit Unternehmen sind nicht nur Start-ups gemeint, sondern auch Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen, Versicherungen oder Telekomkonzerne. Auch internationale Konzerne werden einbezogen. So haben das Sheba Medical Center, das größte Gesundheitszentrum Israels, und das Jerusalemer Hadassah Krankenhaus jeweils Innovationscenter eröffnet, für die sie Partnerschaften mit Amazon Webservice und Google eingegangen sind. Die Datenbasis von Maccabi, der zweitgrößten israelischen Gesundheitsorganisation, steht Forschern weltweit zur Verfügung, die mithelfen sollen, Algorithmen zu entwickeln, die Entwicklungen prognostizieren können.

Dabei wird stark auf künstliche Intelligenz gesetzt. Jedes dritte israelische Unternehmen im Gesundheitsbereich nutzt bereits diese Möglichkeiten - Tendenz stark steigend. Konkret stellen Unternehmen Krankenhäusern oder Gesundheitszentren Analysewerkzeuge zur Verfügung, im Gegenzug bekommen sie Daten und Erfahrungsberichte. Die Krankenhäuser erwarten sich durch den Einsatz digitaler Diagnosehilfen oder die Verbesserung von Arbeitsabläufen Kosteneinsparungen. Dem Patienten werden zielgerichtete und rasche Behandlungsmöglichkeiten versprochen. Der Staat fördert Partnerschaften zwischen Start-ups und Unternehmen im Gesundheitssektor sowie Innovationslabs, die Lösungen für medizinische Probleme suchen.

Knapp über 500 Start-ups beschäftigen sich mit dem Thema Gesundheit im weitesten Sinne: Die Bandbreite reicht vom Datensammeln und -analysieren über die Verbesserung von Abläufen in Kliniken bis zu konkreten Hilfestellungen nach Verletzungen oder Erkrankungen. Ein Beispiel dafür ist Orcam, das mit Hilfe künstlicher Intelligenz tragbare Sichtgeräte entwickelt hat, mit denen sehbehinderte Personen Text verstehen und Objekte anhand von Audio-Feedback identifizieren können. 80 Millionen US-Dollar Kapital wurden dem Start-up zur Verfügung gestellt.

Israel will durch die Kombination von Cybersicherheit und Gesundheit profitieren

Weil es gerade im Gesundheitsbereich um sensible Daten geht, gibt es zwischen diesem Sektor und dem Cybersicherheitsbereich immer mehr Verbindungen. Es konnten sich mit Medigate, Cynerio und Duality Technologies Unternehmen etablieren, die Datenschutz bei Gesundheitsinformationen etwa über Verschlüsselungstechnologien garantieren. Auch die Blockchain-Technologie wird seit 2017 in Israels Gesundheitssystem immer häufiger eingesetzt. Insgesamt gibt es 80 Unternehmen in Israel, die auf Blockchain setzen. Israel hofft, durch die Kombination der beiden starken Sektoren Cybersicherheit und Gesundheit im weltweiten Wettbewerb profitieren zu können.

In den digitalen Gesundheitsbereich wurden laut Start-up Nation Central 2017 in Israel insgesamt 333 Millionen US-Dollar investiert - ein Anstieg um 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im ersten Halbjahr 2018 waren es bereits 270 Millionen. Der Großteil der Investitionen ging in Start-ups, die sich mit der Verbesserung von Diagnosemöglichkeiten beschäftigen.

Bei 75 Prozent der Transaktionen waren ausländische Investoren involviert, aber immer mehr Israelis interessieren sich für diesen Sektor. Der vom legendären israelischen Investor Marius Nacht gegründete Fonds aMoon hat gerade mehr als 750 Millionen US-Dollar an Kapital für Investitionen im Gesundheitssektor eingesammelt - mehr als die angepeilten 500 Millionen.

Die israelische Regierung hat sich jedenfalls das Ziel gesetzt, die Transformationsprozesse aktiv voranzutreiben. Israel will nicht nur länger als jene Start-up-Nation bekannt sein, die technologische Lösungen für Gesundheitsprobleme anbietet. Vielmehr will sich das Land als Testfeld profilieren, in dem die medizinischen Daten der Bevölkerung mit Hilfe künstlicher Intelligenz analysiert werden und Datenschutz durch Methoden aus dem Cybersicherheitsbereich gewährleistet sein soll. Aus europäischer Perspektive unvorstellbar: Aber Proteste der Israelis gegen das Experimentieren mit ihren Daten gibt es nicht.

© SZ vom 27.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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