Kolumne Silicon Valley:Wer Werte schafft

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An dieser Stelle schreiben jeden Mittwoch Malte Conradi (San Francisco), Alexandra Föderl-Schmid (Tel Aviv), Christoph Giesen (Peking) und Marc Beise (München) im Wechsel. (Foto: N/A)

120 Milliarden Dollar soll der Fahrdienstleister Uber wert sein, der nun an die Börse drängt. Aber wer profitiert davon? Jedenfalls nicht die Fahrer, die den Erfolg erst möglich machen.

Von Malte Conradi

Das Warenangebot unüberschaubar, jeden Tag Zehntausende Bestellungen aus allen Winkeln des Landes, Politiker, die sich um die kleinen Einzelhändler sorgen, Hersteller, die sich Preise diktieren lassen müssen: Heute denkt man dabei an Amazon, die Rede ist aber von Sears, dem Handelskonzern aus Chicago, der bis zum Beginn der Neunzigerjahre so unüberwindbar erschien, wie der Internetversandhändler aus Seattle heute. Mitte Oktober meldete Sears Insolvenz an.

Dass darüber im kurzatmigen Silicon Valley auch drei Wochen später noch geredet wird, zeigt, wie präsent das vollkommen undigitale Sears in der Jugend der Silicon-Valley-Menschen war - sofern sie nicht zwanzigjährige Gründer sind. Oft schwingt in den Gesprächen reichlich Nostalgie mit: Diese Romantik des Einkaufens vor dem Internet! Das Blättern im faustdicken Katalog!

Für Jahrzehnte sah es so aus, als gelinge Sears alles. Das damals höchste Gebäude der Welt wurde Anfang der Siebzigerjahre im Auftrag von Sears gebaut - dem damals natürlich größten Einzelhändler der Welt. Mit dem Katalog, Tausenden eigenen Läden und zahlreichen Tochterunternehmen von Baumärkten bis Supermärkten machte Sears Geschäfte mit so gut wie jedem Amerikaner. In den Achtzigerjahren führte der Konzern dann nicht eine einfache Kundenkarte ein, wie alle anderen, sondern gleich eine eigene Kreditkarte.

Aber Sears veränderte nicht nur den Konsum von Millionen Amerikanern, es brachte auch Hunderttausenden Sicherheit und Wohlstand: Jeder Mitarbeiter, egal ob Kassierer, Marktleiter oder Manager erhielt als Teil des Lohns regelmäßig Aktien. Schon in den Fünfzigerjahren gehörte ein Viertel des Unternehmens den Mitarbeitern. Die Höhe der Beteiligung richtete sich dabei nach Jahren der Betriebszugehörigkeit, nicht nach Karrierestufe.

Darüber hinaus sorgte Sears für eine großzügige Altersvorsorge. Zusammengenommen kam ein typischer Kassierer bei Rentenbeginn auf Aktien und Altersvorsorge im Wert von mehr als einer Million heutiger Dollar, wie die New York Times kürzlich vorrechnete.

Und Sears war damit nicht allein. Der Gedanke, dass Arbeiter und Verkäufer, also die Menschen, die mit ihren Händen Werte und Umsatz schaffen, für den Unternehmenserfolg mindestens genauso wichtig seien wie die Manager, war bis in die frühen Achtzigerjahre selbstverständlich.

Wie grundlegend sich die Welt seither gewandelt hat, wird deutlich angesichts des zweiten großen Gesprächsthemas dieser Wochen im Silicon Valley: Irgendwann im kommenden Jahr will der Fahrdienstleister Uber an die Börse gehen. Sein Wert wird aktuell auf 120 Milliarden Dollar geschätzt, aber diese Zahl kann in ein paar Monaten schon wieder gestiegen sein.

In seinen besten Tagen war Sears etwa ein Viertel dessen wert und hatte rund 300 000 Mitarbeiter. Uber nennt eine Zahl von 12 000 Angestellten. Ein Unternehmenswert von 120 Milliarden Dollar bei gerade einmal 12 000 Angestellten - jeder Uber-Angestellte steht also für einen Unternehmenswert von zehn Millionen Dollar. Klar, dass Uber diesen Menschen eine gute Altersvorsorge bietet, sicher eine bessere, als Sears es jemals tat. Aber was ist mit den Menschen, die bei Uber mit ihren Händen für Umsatz sorgen, was ist mit den etwa zwei Millionen Fahrern? Sie sind keine Uber-Angestellten, sondern Selbständige. Wollen sie eine Rentenvorsorge, müssen sie sich selbst darum kümmern. Ob das möglich ist mit den etwa 20 bis 30 Dollar Einnahmen pro Stunde (vor Kosten), ist eine andere Frage.

Früher wurde Wohlstand verteilt, heute wird er konzentriert

Das Beispiel zeigt, in welchem Ausmaß die Unternehmen der Stunde noch vor ein, zwei Generationen die Menschen an den geschaffenen Werten teilhaben ließen. Heute sind die Wohlstandsgewinne viel stärker konzentriert. Uber ist nicht auf weniger arbeitende Menschen angewiesen als Sears sondern auf knapp sieben Mal so viele. Aber das Unternehmen beteiligt diese Menschen nicht an seinem rapiden Wertzuwachs. Vielmehr ließ der damalige Uber-Chef Travis Kalanick die Fahrer vor einigen Jahren unverblümt wissen, Uber tue alles, um beim autonomen Fahren voranzukommen und "den Typen hinterm Steuer" endlich loszuwerden.

Würde man die zwei Millionen Fahrer mitzählen, käme auf jeden Uber-Angestellten nur noch ein Unternehmenswert von 60 000 Dollar. Weitaus weniger, als die 100 000 Dollar je Angestelltem, die Sears in seinen besten Tagen schaffte.

Sears und Uber sind keine Extrembeispiele. Dass Unternehmen den Wohlstand immer mehr konzentrieren statt ihn zu verteilen, ließe sich etwa auch an Procter&Gamble und Amazon demonstrieren.

Es ist also nur folgerichtig, dass der Milliardär Eddie Lampert, der zehn Jahre lang versuchte, Sears gesundzusparen, in seiner letzten Stellungnahme vor der Pleite vor allem die Pensionskosten für ehemalige Angestellte für die Misere verantwortlich machte.

Man könnte nun argumentieren, dass die neuen Superstars der Wirtschaft die Menschen auf einem anderen Weg, als durch gute Löhne und Pensionen für Hunderttausende an den von ihnen geschaffenen Werten teilhaben lassen. Nämlich durch ihre Aktiengewinne. Tatsächlich haben Google, Amazon, Facebook und die anderen durch ihren Erfolg an der Börse Millionen Amerikanern die Rente oder ihren Kindern den Uni-Besuch gesichert. Die viel weniger lukrativen Aktien von Sears oder Procter&Gamble konnten das nur in einem weitaus kleineren Ausmaß.

Trotzdem bleibt die Frage, ob es sich die Uber-Fahrer werden leisten können, Aktien der Firma zu kaufen, die sie erst wertvoll gemacht haben.

© SZ vom 07.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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