Kolumne: Silicon Future:Schwer zu kopieren

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An dieser Stelle schreiben jeden Mittwoch Marc Beise, Helmut Martin-Jung (München) und Jürgen Schmieder (Los Angeles) im Wechsel. Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

Der Transhumanismus will Grenzen der Menschheit durch Technik überwinden - und geht dabei zum Teil sehr weit.

Von Helmut Martin-Jung

Ray Kurzweil ist ein vielseitig begabter Mensch. Er hat unter anderem eine Maschine erfunden, die Texte vorlas - und zwar schon 1976. So kam er in Kontakt mit dem blinden Musiker Stevie Wonder und brachte, angespornt von Wonder, einige Jahre später einen Synthesizer heraus, also ein elektronisches Instrument, mit dem sich die Klänge akustischer Instrumente für die damalige Zeit in guter Qualität erzeugen ließen. In jüngerer Zeit erregt er aber durch etwas anderes Aufsehen.

Kurzweil - inzwischen Director of Engineering bei Google - ist einer der bekanntesten Vertreter des Transhumanismus. Er glaubt also daran, dass die Menschheit ihre Fähigkeiten durch Technik steigern solle. Ja, er glaubt sogar, dass es in nicht mehr allzu ferner Zukunft gelingen werde, den Inhalt des menschlichen Gehirns zu kopieren und zu speichern. Somit wäre der Mensch unsterblich, wenn man denn wie Kurzweil der Meinung ist, dass das Gehirn alles ist, was einen Menschen ausmacht.

Dafür scheint in der Tat einiges zu sprechen. Wer wir sind, wird wesentlich vom Gehirn bestimmt. Das sieht man am besten daran, wenn es zu Schädigungen des Denkapparates kommt und der betroffene Mensch sein Wesen komplett verändert. Trotzdem ist der Ansatz Ich-kopier-mich-einfach-und-bin-unsterblich ziemlich kurz gedacht. Sogar wenn es funktionieren würde, wogegen vieles spricht - ob das überhaupt sinnvoll und wünschenswert wäre, bleibt äußerst fraglich.

Unsere grauen Zellen sind nicht von einem Ingenieur nach streng logischen Regeln entwickelt worden, sondern in Milliarden Jahren der Evolution entstanden. Das Gehirn funktioniert keineswegs nur mit elektro-chemischen Signalen, auch Hormone und Enzyme mischen mit. Es vergisst (was übrigens eine seiner größeren Leistungen ist), nachts träumt es, nach dem Aufwachen fährt es erst mal langsam hoch, nach längerer einseitiger Belastung wird es müde - und all das soll in einem Computer stattfinden? Mal ganz abgesehen davon, dass das Gehirn ja auch dazu da ist, einen Körper zu steuern. Ein Gehirn ohne Körper - das wäre eine besondere Art von Phantomschmerz, der sich wohl kaum adäquat kompensieren ließe.

Wäre das also erstrebenswert: Der Geist eines Menschen, gefangen in einem Computer? Müsste es da nicht auch ein Back-up geben, wenn ein Systemausfall quasi den Tod eines Menschen bedeuten würde? Und wäre es moralisch vertretbar, das eine Abbild nur als Back-up zu speichern? Könnte man dann Menschen per copy & paste klonen? Fragen über Fragen, aber wahrscheinlich doch ein eher hypothetisches Problem.

Wie die Technikgeschichte zeigt, erfüllen sich zwar viele Theorien und Prophezeiungen; ein Konstrukt wie das Internet etwa wurde theoretisch schon in der 1940er-Jahren beschrieben, von dem US-Ingenieur und Computer-Pionier Vannevar Bush in seinem berühmten Aufsatz "As we may think" ("Wie wir denken könnten") von 1945. Vieles aber kam ganz anders, erwies sich als wesentlich schwieriger als gedacht oder war schlicht Blödsinn.

Alex Lewyt, Chef eines US-Staubsaugerherstellers, sagte 1955 vorher, dass es womöglich schon in zehn Jahren atombetriebene Staubsauger zu kaufen gebe. Zum Glück ist es anders gekommen. Die Besserwisser, die das elektrische Licht oder das Internet als vorübergehende Erscheinung abtaten, behielten ebenfalls nicht recht.

Von einer allgemeinen künstlichen Intelligenz sind wir noch weit entfernt

Besonders aber was die künstliche Intelligenz (KI) angeht, haben viele Propheten ganz schön danebengehauen. Marvin Minsky etwa, 2016 gestorbener Miterfinder des Begriffs KI, glaubte 1967, in zehn Jahren werde das Problem, eine künstliche Intelligenz zu erschaffen, im Wesentlichen gelöst sein. Heute schmückt sich zwar jedes zweite Start-up mit den beiden magischen Buchstaben. Doch gemeint ist eine sogenannte schwache KI, eine, die nur für Spezialaufgaben taugt, darin auch oft besser ist als Menschen. Von einer allgemeinen künstlichen Intelligenz aber ist man noch genauso weit entfernt wie zu Zeiten von Minskys Prophezeiung.

Gerade weil das so ist, wird der Einfluss dieser Technologie auf die Arbeitswelt aller Voraussicht nach zwar groß sein, aber wohl (Achtung: Prophezeiung!) nicht so groß wie oftmals befürchtet. Das gilt auch für die Automatisierung. Sollen etwa Lager automatisiert werden, muss man sie auch so bauen, und das heißt möglichst gleichförmig. Wenn es aber wie etwa beim Versandhändler Amazon darum geht, mal einen Karton, mal eine Plastiktüte und dann wieder einen Tennisschläger zu greifen, zeigt sich schnell: Das ist eine unmögliche Herausforderung für heutige Roboter.

Die wohl dümmste Reaktion auf diese Feststellungen wäre es nun zu sagen: Na prima, dann läuft halt alles wie bisher. Das tut es nämlich nicht. Die künstlich intelligenten Maschinen - die man sich übrigens mehr als Computersoftware vorstellen sollte denn als menschenähnliche Roboter - können die Produktivität in Unternehmen steigern, indem sie den Mitarbeitern langweilige Jobs abnehmen und ihnen mehr Zeit für die kreativen lassen. Deshalb ist es von höchster Bedeutung, die Forschung voranzutreiben und die Bedingungen dafür zu schaffen, dass die Ergebnisse auch in konkrete Projekte und/oder Firmen umgesetzt werden. In den USA pumpen die Risikokapitalgeber Unsummen in KI-Start-ups, in China ist es vor allem der Staat. Europa fällt stark ab, und auch Deutschland läuft Gefahr, nach verpatztem Netzausbau eine weitere Spitzentechnologie zu versemmeln. Obwohl das Potenzial vorhanden wäre, gute Forschung gibt es hier genug. Dazu wäre aber auch wichtig, an neuen Entwicklungen wie künstlicher Intelligenz nicht immer zuvörderst das Negative zu sehen.

© SZ vom 18.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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