Kolumne: Silicon Future:Klick und weg

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An dieser Stelle schreiben jeden Mittwoch Marc Beise, Helmut Martin-Jung (München) und Jürgen Schmieder (Los Angeles) im Wechsel. Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

Am Beispiel der Fotografie lässt sich sehen, was passiert, wenn sich die Digitalisierung einer Branche bemächtigt. Für eine ganze Industrie hieß es: anpassen oder sterben.

Von Helmut Martin-Jung

Bloß nicht bewegen! Stillhalten, Kind! In den Anfangszeiten der Fotografie arbeiteten Lichtbildner mit Platten, die lange belichtet und anschließend kompliziert entwickelt werden mussten. Die Kameras waren Ungetüme auf Stativen, die Fotografen mussten unter eine schwarze Decke schlüpfen, um auf der Mattscheibe etwas erkennen zu können.

Erst allmählich entwickelte sich die Technik weiter, die Kleinbildkamera, erfunden Anfang des 20. Jahrhunderts von dem deutschen Feinmechaniker Oskar Barnack, und als Leica berühmt geworden, machte das Fotografieren mobiler, legte sogar den Grundstein für den modernen Bildjournalismus. Bis zum Ende des Jahrtausends und darüber hinaus blieb es aber dabei: Erst abdrücken, dann entwickeln, dann Abzüge herstellen - oder, im Falle von Dias, schneiden und rahmen. Erst dann wusste man, ob eine Aufnahme "etwas geworden" war oder nicht.

Schwarz-weiß-Abzüge hoher Qualität auf Barytpapier herzustellen, das erforderte schon ein gewisses Maß an Handwerkskunst. Wenn's schnell gehen musste, tat es auch das kunststoffbeschichtete Fotopapier, das man zum Trocknen nicht eigens einspannen musste. Aufhängen genügte, auch föhnen vertrug es. Doch all das hat sich in eine kleine Nische zurückgezogen. Der Massenmarkt ist wie so vieles andere digital geworden. Die ersten digitalen Kameras brachten nur grob gerasterte Bildchen zustande, die Auslöseverzögerung war groß, die Lichtempfindlichkeit der gar nicht so kleinen Kameras schlecht.

Was aber dann geschah, mag als Lehrbeispiel dafür dienen, was geschieht, wenn sich die Digitalisierung einer Branche oder einer Technologie bemächtigt. Fortschritte, die bei den ersten Kameras Jahrzehnte gedauert hatten, vollzogen sich beinahe in Monaten. Bereits Anfang der 2000er-Jahre gab es digitale Kompaktkameras, die von der Bildqualität vielleicht noch nicht ganz mit ihren analogen Pendants mithalten konnten, doch ihre Vorteile waren einfach unschlagbar.

Auf ihren kleinen Monitoren konnte man das Ergebnis sofort sehen, ihre Speicherkarten ließen sich sehr einfach in einem PC auslesen, die Bilder dann zum Beispiel per Mail verschicken. So wurden die kleinen Knipsen zu Verkaufsschlagern. Und auch das war neu: Anstatt im Labor herumzufummeln, konnte man die Bilder nun am Computer auch bearbeiten - die Kreativen, aber auch die Fälscher haben es seither leichter als je zuvor.

Doch auch den Kleinknipsen war nur eine kurze Zeitspanne vergönnt, dann kamen die Smartphones. Schon einfache Handys hatten Kameras, aber die Technik stand noch am Anfang, zu mehr als einem gelegentlichen Schnappschuss taugte sie noch nicht. Schon wenn man die Bilder auf den Computer übertrug, fiel ihre grottenschlechte Qualität sofort auf. Doch mit den Smartphones nahm die Technik der Miniaturkameras und der dazugehörigen Bildsensoren einen rasend schnellen Aufstieg.

Warum sollte jemand ein Gerät mitnehmen, das nicht mehr kann als eine Handykamera?

Die Kameramodule, die in den heutigen Topmodellen der Herstellern verbaut sind, liefern eine außergewöhnlich gute Qualität - immer gemessen daran, dass es hier um eine Handykamera geht, nicht um eine Spiegelreflex. Nahezu alle Anbieter stellen in der Werbung die Leistungsfähigkeit der Kameras - es werden inzwischen mehrere eingebaut - besonders heraus.

Sogar für ein Problem wurde eine Lösung gefunden, das eigentlich unlösbar schien. Für ein Teleobjektiv, das Entferntes näher heranholt, müssten die Linsen eigentlich ein ganzes Stück aus dem Smartphone herausragen, doch man baute sie einfach liegend ein und lenkt das Licht über einen Spiegel darauf - ähnlich wie bei einem Periskop. So können Apple, Samsung und Co. doch noch ein paar Argumente vorbringen, warum die Nutzer ihr noch gut funktionierendes Smartphone durch ein neues ersetzen sollen. Kompaktkameras dagegen werden kaum noch verkauft - warum auch sollte jemand ein zweites Gerät mitnehmen, das nicht mehr kann als eine gute Handykamera? Und das Handy ist schließlich immer dabei.

Klar: Mit einer Kamera, die nur eine Kamera ist, fotografiert sich's besser - wenn man mit dem Gerät umgehen kann. Eine Handykamera aber kann jeder bedienen, und den meisten kommt es nicht auf Qualität oder gar künstlerische Gestaltung an. Sie wollen wichtige Augenblicke festhalten. Was das auslösen kann, zeigt sich an den Protesten nach dem Tod von George Floyd durch Polizeigewalt.

Die altehrwürdigen Kamerahersteller aber haben Probleme. Der Massenmarkt der Kompakten ist ihnen weggebrochen, bleibt der etwas nischigere für Spiegelreflex- und verwandte Kameras wie etwa die spiegellosen Systemkameras - das sind Kameras ohne Spiegel, aber mit größeren Sensoren als Kompaktkameras und mit Bajonett zum Wechseln der Objektive. Fast nicht größer als Kompaktkameras, hat sich diese Kategorie viele Freunde erworben. Manche davon eignen sich auch sehr gut als Videokameras. Auch die Kinos werden zunehmend digital - Filmriss und wohliges Knattern des Projektors adé.

Jedenfalls: Binnen kürzester Zeit verschwinden ganze Kategorien von Geräten fast völlig, davor war schon die Welt der Analog-Fotohersteller - Filme, Chemikalien, Papier - stark zusammengeschnurrt. Und alles, weil die digitale Technik es letztlich besser kann - auch wenn ihr, wie man durchaus beklagen kann, manchmal die Wärme des Analogen fehlt. Analoge Bilder hatten früher ihren Preis, nicht jedes Bild wurde was, das schränkte das Fotografieren für Laien ein. Weil Bilder aber heute praktisch nichts mehr kosten, wird auch geknipst, was das Zeug hält. Fragt sich nur, wann die Leute sich das dann eigentlich mal ansehen.

© SZ vom 24.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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