Kolumne: Lex Digitalis:Regulieren, aber richtig

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An dieser Stelle schreiben jeden Mittwoch Marc Beise, Helmut Martin-Jung (München) und Jürgen Schmieder (Los Angeles) im Wechsel. (Foto: N/A)

Hassrede, intransparente Algorithmen: Die Europäische Union sucht nach Regeln für Plattformen.

Von Karoline Meta Beisel

Zuletzt konnte man den Eindruck gewinnen, in der Politik gehe es nur noch um die Corona-Pandemie, auch in Brüssel war das so. Aber ungefähr gleichzeitig mit den Kindern in den Kitas kehren nun auf die Tagesordnung im EU-Parlament andere Themen zurück. Eine der ersten Fragen, die dort jetzt heftig diskutiert werden, ist die nach neuen Regeln für Internet-Plattformen.

Kein Wunder: Andere Themen mögen gerade dringender sein. Aber kaum ein Gesetzesvorhaben der EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen ist so vielseitig und kompliziert: Wie sollen Plattformen reagieren, wenn Nutzer dort illegale Inhalte posten? Wie transparent sollen Facebooks Algorithmen sein? Und wer soll überwachen, ob die neuen Regeln eingehalten werden?

Gut möglich, dass die EU-Gesetzgeber den ganzen Rest der Legislaturperiode bis 2024 brauchen werden, um die Sache auszuhandeln, wenn nicht länger. Früh anzufangen ist darum umso wichtiger. Gleich mehrere Parlamentsausschüsse haben darum begonnen, eigene Vorschläge für das Paket zu formulieren. "Wir haben eine Menge Arbeit vor uns", sagte Margrethe Vestager kürzlich in einer Sitzung des Ausschusses für den Binnenmarkt, einem der Ausschüsse, die mit dem Thema gerade befasst sind. Dabei hatte die Vizepräsidentin der EU-Kommission, die unter anderem für Digitalisierungsthemen zuständig ist, dort nur über einen einzigen Aspekt des Großvorhabens gesprochen: den Wettbewerb.

Zum einen will die EU-Kommission Digitalkonzernen mit marktbeherrschender Stellung neue Regeln geben, um sie zu fairen Bedingungen auf ihren Plattformen zu zwingen. Sie will ihnen etwa untersagen, eigene Produkte oder Dienstleistungen zu bevorzugen. "Ein Beispiel dafür könnte der erste Google-Fall sein", sagt Vestager: 2017 hatte die EU-Kommission Google eine Geldstrafe in Höhe von 2,42 Milliarden Euro aufgebrummt, weil die Firma in ihren Suchergebnissen eigene Preisvergleiche denen anderer Anbieter vorzog. Ein Mitarbeiter der EU-Kommission nennt noch ein anderes Beispiel: "Ist es ok, wenn Amazon die Daten, die es von Dritten sammelt, dazu nutzt, die eigenen Dienste zu begünstigen?"

Die Kommission erwägt aber auch neue wettbewerbsrechtliche Instrumente. Sie sollen von vorneherein verhindern, dass Märkte für digitale Dienstleistungen "kippen", wie Vestager es nennt. Denn wenn ein Markt einmal gekippt ist, sei es oft schon zu spät, um noch einzugreifen, und den Effekt umzukehren. Wie aber soll das gehen? Die Frage ist so schwierig, dass auch die EU-Kommission mit ihren Tausenden Beamten sie nicht alleine beantworten will. Gerade hat sie eine umfassende Studie in Auftrag gegeben. Gleichzeitig soll in den kommenden Tagen das öffentliche Konsultationsverfahren starten, das jedem Gesetzesvorschlag der EU-Kommission vorgeschaltet ist. Darin wird es auch um die "klassischen" Probleme der Plattformregulierung gehen, etwa, wie die Konzerne mit illegalen Inhalten umgehen sollen, zum Beispiel mit Hate Speech. In einigen Ländern gibt es bereits Gesetze gegen Hassrede, etwa in Deutschland. Frankreich hat ein Gesetz erlassen, das zwar die gleichen Ziele verfolgt - aber nicht mit den gleichen rechtlichen Mitteln. Für den digitalen Binnenmarkt ist das schlecht: Denn nur große Plattformen können es sich leisten, auf 27 verschiedene Rechtsordnungen zu reagieren. "Unser Ziel ist es, dass auch kleine, innovative Dienste eine Chance haben, in der EU zu wachsen", sagt der Kommissionsmitarbeiter.

Also sollen bald einheitliche Regeln gelten. Zwar nicht für die Frage, was das eigentlich sein soll - ein "illegaler" Inhalt. Die Antwort darauf kann nach nationalem Recht durchaus unterschiedlich sein, und auch bleiben. Aber doch für die Verfahren. An dem geltenden Grundsatz, dass Plattformen erst aktiv werden müssen, wenn sie von so einem Inhalt erfahren, will die EU-Kommission festhalten. Aber: Die Verfahren für die Entfernung solcher Inhalte sollen vereinheitlicht werden, auch für die Überprüfung der Entscheidung, einen Inhalt von der Seite zu löschen oder eben nicht. Bis jetzt sind solche Entscheidungen für Nutzer oft nicht nachvollziehbar und schwer rückgängig zu machen.

Der EU-Abgeordnete Tiemo Wölken (SPD) wünscht sich für das neue Gesetz aber noch ein weiteres Element: Strengere Regeln für personalisierte Werbung, weil die bei Plattformen wie Facebook oder Youtube dazu führt, dass dort Inhalte besonders häufig angezeigt werden, die beim Nutzer Emotionen erzeugen - und zur Radikalisierung beitragen können. Eine der "schädlichsten Praktiken in der digitalen Gesellschaft" nennt Wölken das in seinem Bericht für den Rechtsausschuss des Parlaments. "Ich würde mir darum wünschen, dass es für den Nutzer klarer wird, warum ihm welche Inhalte angezeigt werden. Dazu müsste auch die Option gehören, ganz aus der personalisierten Werbung auszusteigen."

Für Plattformen, aber auch für Verlage dürfte das nach einer Drohung klingen. In einem dritten Parlamentsausschuss, dem Bürgerrechtsausschuss, wird gar über ein völliges Verbot solch maßgeschneiderter Werbung diskutiert. In Brüssel rechnet jedenfalls jeder damit, dass das Gesetzgebungsverfahren zu einer großen Lobbyschlacht wird.

Für umso wichtiger hält man es in der Kommission, dass schon der erste Aufschlag für den Gesetzesentwurf sitzt. Der Vorschlag soll planmäßig bis Ende des Jahres fertigsein. Viel Zeit für das Parlament, Verbände und andere Interessensgruppen, für ihre Anliegen Stimmung zu machen.

© SZ vom 27.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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