Bei uns in Rom:Hauptsache bequem

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Warum die Post in Italien nicht klingelt? Zu mühselig! Und auch die Öffnung der Schulen ist dem Staat zu anstrengend.

Von Ulrike Sauer

Im Land, wo die Zitronen blühn, stimmte nicht alles trist an diesem kontaktlosen Fest. Zum Beispiel die Zitronen. Wie viele kleine Sonnen leuchteten die Früchte im Tiefgrün ihres Blätterkleides. Schöner als die Lichterkette am künstlichen Christbaum. Wobei das Geschmackssache sein mag. Die abgeriebene Schale der gepflückten Zitrone war mit Pistazien und getrockneten Tomaten auf dem Lachs jedenfalls ein Gedicht.

Auf das Fest der Verbote folgte ein Montag. Er war grau, kalt und nass. Man stellte sich in die Schlange vor der Post. Das ist eine der Neuheiten des Jahres 2020. Um Menschenansammlungen im Postamt zu unterbinden, wartet man in Italien seit 300 Tagen vor der Tür. In der Hand die Benachrichtigung eines Einschreibens. Die Postbotin hatte sie in den Briefkasten geworfen. Wie immer. Dabei ist gerade ganz Rom zu Hause - wo auch sonst?

Schuld daran, dass man sich das Einschreiben bei der Post abholen muss, ist keine fußlahme Briefträgerin. Auch nicht die steile Treppe mit den schiefen, in vier Jahrhunderten ausgetretenen Stufen. Dahinter steckt die Geschäftstaktik der Staatspost. "Poste Italiane bedient sich zuweilen aus Bequemlichkeit des Einwurfs der Benachrichtigung in den Briefkasten, auch wenn es möglich wäre, das Einschreiben direkt dem Empfänger auszuhändigen." So schrieb das römische Kartellamt im September, als es die Praxis ahndete. Begründung: Die Post bürde dem Kunden Zeitverlust und Kosten auf. Zudem füge sie der Justiz Schaden zu. Die verspätete Zustellung von Einschreiben verzögere die Prozesse, was zur Verjährung von Straftaten beitrage. Wegen der Häufigkeit des Verstoßes brummten die Wettbewerbshüter der Post die Höchststrafe von fünf Millionen Euro auf. Bei einem Jahresumsatz von 3,5 Milliarden Euro verfehlte das Bußgeld aber leider seine Wirkung.

In der Warteschlange vermieste einem das noch mehr die Laune. Der Wind zerzauste die Kronen der hohen Pinien und peitschte den Regen unter das vorspringende Dach, wo an die 30 Postkunden Schutz suchten. Keine Panik. Das Gedränge ist erlaubt, der Platz ist ja gut gelüftet. Statt des Virus holt man sich hier, so kalkulieren die Behörden wohl, höchstens eine Erkältung. Für das Rentnerpaar mit der zerknitterten Gasrechnung könnte zwar auch eine Bronchitis böse Folgen haben, aber so funktioniert Italien nun mal. Nach zehn Monaten Pandemie tut man so, als sei die Normalität nur kurz beurlaubt worden. Wozu das Leben anders organisieren? Es ist auch bequemer, die Jugendlichen noch ein bisschen zu Hause sitzen zu lassen. Die Oberschulen wurden am 5. März geschlossen. Sie sind es bis heute.

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