Kolumne "Das deutsche Valley":Sich schlau machen

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Die deutsche Politik entdeckt gerade mit Macht das Zukunftsthema "Künstliche Intelligenz". Namhafte Experten beraten die Politik. Sie glauben: Deutschland hat da sehr gute Chancen. Aber die Regierung muss diese auch beherzt ergreifen wollen.

Von Ulrich Schäfer

Früher ist Chris Boos häufig ins Silicon Valley gereist; heute reist er oft nach Berlin. Früher hat er in Kalifornien ergründet, was es an neuen Entwicklungen in der künstlichen Intelligenz gibt; heute berät er die Bundesregierung auf diesem zukunftsträchtigen Feld. Boos gilt als Koryphäe im Bereich der KI, seine Frankfurter Firma Arago liefert eine selbstlernende Software, die die Prozesse von Unternehmen automatisiert.

Auch Jürgen Schmidhuber ist sehr oft in der Hauptstadt unterwegs. Wenn man den deutschen Professor, der am Schweizer Institut IDSIA in Lugano lehrt und forscht, zu erreichen versucht, eilt er nicht selten von Termin zu Termin in der Hauptstadt. "War gerade im Kanzleramt. Ein sehr spannender Austausch", erzählt er dann am Telefon. Oder schreibt: "Viele Grüße aus Berlin (wegen der CDU/CSU-Klausurtagung)."

Die deutsche Politik entdeckt gerade mit Macht das die künstliche Intelligenz. Schon im Koalitionsvertrag, den Union und SPD im Februar abgeschlossen haben, tauchte KI an vielen Stellen auf, die Regierung setzte sich das ehrgeizige Ziel, Deutschland zu einem der weltweit führenden Standorte für künstliche Intelligenz zu machen. Weil es sich hierbei allerdings größtenteils um politisches Neuland handelt, sucht die Politik seit ein, zwei Jahren den Rat von jenen Experten, die Deutschland zu bieten hat, dazu zählen nicht zuletzt auch Chris Boos und Jürgen Schmidhuber. Boos spricht von einer "großen Offenheit und einem großen Interesse, und zwar quer durch alle Parteien".

So gehört Boos auch dem neuen Digitalrat der Bundesregierung an, einem kleinen, feinen Gremium, das Kanzleramtsminister Helge Braun zusammengestellt hat. Dessen Mitglieder sind deutsche Wissenschaftler, die an Elite-Unis wie Stanford oder Oxford arbeiten, aber auch Gründer von High-Tech-Firmen; sie sollen der Regierung dabei helfen, mit Gesetzen und Initiativen die Digitalisierung hierzulande zu fördern. Wenn man mit Boos über die vielen Anfragen aus Berlin spricht, merkt man: Der Computer-Nerd, der gern in Motorradkluft daher kommt, trifft auf eine für ihn fremde Welt. Er wisse auch nicht, warum man ihn ausgewählt habe, sagt er dann bescheiden; in seiner Firma habe man erst nicht glauben wollen, dass wirklich das Kanzleramt am Telefon sei und ihn sprechen wolle. Als im Mai 2017 eine Einladung zum Dinner mit Barack Obama kam, der in Berlin weilte, löschte Boos diese gar eigenhändig aus seinem Mail-Postfach, weil er an einen Scherz glaubte; war es aber nicht, und so ging er dann doch hin.

Die Arbeit für die Regierung sei sehr viel intensiver als erwartet, sagt Boos, die Mitglieder des Digitalrats tauschten sich nahezu täglich aus. Sein wichtigstes Thema, na klar, ist es, die Entwicklung von KI hierzulande zu fördern. Boos versucht das Bewusstsein dafür zu schärfen, wie gewaltig die Veränderungen sein werden: "Unsere Büros werden durch KI in den nächsten Jahren genauso automatisiert wie schon unsere Fabriken."

Zugleich ist er davon überzeugt, dass kaum ein Land derart gute Voraussetzungen hat, um KI für seine Wirtschaft nutzbar zu machen. "Anders als in China oder den USA verfügen wir in Deutschland über die gesamte Wertschöpfungskette der Industrie und damit über enormes Wissen. Es kommt nun darauf an, dieses Wissen für die KI einzusetzen und mit deren Hilfe Produkte zu verbessern und Produktionsprozesse zu automatisieren." Gerade große Unternehmen täten sich damit noch schwer, weil die Strukturen verkrustet sind oder sie nicht die richtigen KI-Experten haben, da diese lieber zu Google und Co. gehen. Der Arago-Gründer sieht dagegen große Chancen im Mittelstand und bei Start-ups - vorausgesetzt, die Finanzierung stimmt. Er wünscht sich deshalb, dass die Regierung viel Geld in die Hand nimmt und die Anwendung von künstlicher Intelligenz fördert, damit "die Unternehmen nicht irgendwelche Innovations-Labs in Berlin gründen, sondern ganz konkret mit der Automatisierung durch KI anfangen".

An dieser Stelle schreiben jeden Mittwoch Malte Conradi (San Francisco), Alexandra Föderl-Schmid (Tel Aviv), Christoph Giesen (Peking) und Ulrich Schäfer (München) im Wechsel. (Foto: OH)

In eine ähnliche Richtung zielen die Vorschläge, die Jürgen Schmidhuber Anfang September auf der Klausurtagung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion präsentierte. Die Welt der Maschinen werde jetzt intelligent, und sehr viele dieser Maschinen würden eben seit jeher in Deutschland produziert, oft von Mittelständlern, erklärte er den Abgeordneten. Nun gelte es, diesen Vorsprung zu halten. Schmidhuber warb deshalb dafür, in München oder Berlin einen großen Campus für künstliche Intelligenz zu schaffen, wo Firmen und Grundlagenforscher eng zusammenarbeiten. Um mit den Internetkonzernen in den USA und China mitzuhalten, müsse in der Industriepolitik jetzt "geklotzt werden", Deutschland müsse, so Schmidhuber, mindestens so viel investieren, wie Peking gerade in seinen KI-Park steckt: also zwei Milliarden Euro. Ziel müsse es sein, "schnell die Umsetzung von Grundlagenforschung in die Wirtschaft zu ermöglichen".

Die Politik in Berlin hat sich also schlau gemacht. Nun kommt es darauf an, dass die Regierung auch tatsächlich handelt - und sie Experten wie Books oder Schmidhuber nicht bloß zuhört, sondern ihren Rat auch ernst nimmt.

© SZ vom 10.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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