Am 7. Mai 2016 passiert der erste, lange erwartete schwere Unfall. Der 40-jährige Joshua Brown aus dem US-Bundesstaat Ohio stirbt, als sein elektrobetriebener Tesla S mit einem Lkw zusammenprallt. Brown fährt mit eingeschaltetem "Autopiloten", der Kameras, Radar, Ultraschallsensoren und einen schnellen Computer nutzt, um viele Routinetätigkeiten des Fahrers zu automatisieren. Spurhalten, Geschwindigkeit anpassen, Abstand halten, Parkplätze finden, Einparken - das kann der Wagen automatisch. Doch hatten Automatik und Fahrer den weißen Lkw vor einem hellen Himmel übersehen, der von der Gegenspur kam und links abbog.
Tesla besteht darauf, dass der "Autopilot" zwar so heißt, aber nicht dazu da ist, dem Fahrer das Fahren selbst abzunehmen. Doch die Diskussion über die Sicherheit halb- und vollautonomer Fahrzeuge, ob von Tesla, Google oder Daimler, ist seitdem voll entbrannt. "Das Google-Auto fährt schlechter als die bei uns versicherten Autofahrer", sagt Angelika Christoph von der HUK-Coburg, dem größten deutschen Autoversicherer.
Der Tesla-Schaden wird nicht nur in den USA von Juristen und Versicherern genau beobachtet. Brown hatte eine normale Standard-Autoversicherung abgeschlossen, die Gesellschaft wollen seine Anwälte nicht nennen. Die dürfte für den Schaden aufkommen - aber wahrscheinlich versuchen, bei Tesla ihrerseits Ersatz einzuklagen. Hat sie Erfolg, müsste der Haftpflichtversicherer des Herstellers zahlen.
Die Versicherer haben guten Grund zur Beschäftigung mit dem Thema. Denn mittelfristig werden halbautonome und autonome Fahrzeuge eines ihrer wichtigsten Geschäftsgebiete umkrempeln - was aber viele Manager in der Branche noch nicht wahrhaben wollen. Der Umbruch kommt in einer Zeit, in der die Branche schon genug Probleme hat. Die Versicherer müssen mit viel Geld veraltete IT-Systeme umbauen und digitaler werden, spüren heftige Konkurrenz von Internetportalen und Autoherstellern und erleben in Großstädten einen Trend weg vom Privatwagen hin zu Mietsystemen wie Car2go oder Drivenow.
Und jetzt auch noch das autonome und teilautonome Fahren. "Die Schadensummen der Versicherer gehen deutlich zurück, das führt auch zu Druck auf die Prämie", sagt Stephan Maier, der sich beim Hamburger Unternehmensberater EY-Innovalue mit dem Thema befasst.
Die Beratungsfirma KPMG hat für den US-Markt deutliche Voraussagen veröffentlicht: Im Jahr 2013 mussten die Versicherer im größten Markt der Welt 145 Milliarden Dollar für Schäden aufwenden. 2040, also 27 Jahre später, dürften es nur noch 85 Milliarden Dollar sein, erwartet KPMG-Experte Jerry Albright. Entsprechend stark werden die Einnahmen zurückgehen. In der Versicherungsbranche selbst herrsche "Skepsis über den potenziellen Wandel vor", hat eine KPMG-Umfrage bei Versicherungschefs ergeben. "Die meisten glauben, dass es irgendwann in ferner Zukunft zu den Veränderungen kommen wird, wenn überhaupt."
Diese Haltung gibt es nicht nur in den USA bei Managern aus der Versicherungswirtschaft. Selbstfahrende Autos werde es hierzulande kaum geben, sie seien vielleicht für das sonnige Klima Kaliforniens geeignet, nicht für dunkle Herbsttage und Schnee in Europa, heißt es hierzulande. Und selbst ein mit Elektronik vollgestopftes Fahrzeug müsse versichert werden, denn es gibt immer noch Hagel, Diebstahl oder Vandalismus.
Das ist alles richtig. Die Frage ist aber, ob man dafür noch die heutigen Autoversicherer mit ihren hohen Kostenstrukturen braucht. Ob weiterhin 25 Milliarden Euro jährlich als Prämie für die Kfz-Versicherung an die Gesellschaften fließen - knapp 40 Prozent der gesamten Einnahmen in der für die Konzerne so wichtigen Schadenversicherung.
In Wirklichkeit hat die Veränderung schon lange begonnen. "Autonome und teilautonome Fahrzeuge werden dazu führen, dass es weniger Unfälle geben wird", sagt Stefan Schulz vom Rückversicherer Munich Re. Schon heute würden viele Unfälle durch technische Hilfsmittel wie Spurassistenten verhindert. Allerdings müssten die Systeme sich noch in der Praxis bewähren. So funktionieren manche Radarsensoren bei Regen oder Schneefall schlecht oder gar nicht. Aber das wird sich geben. Auch die Allianz erwartet sinkende Unfallzahlen. "Mit der zunehmenden Automatisierung gibt es eine deutliche Zunahme der Sicherheit auf den Straßen", sagt Martin Wehner, der bei der Münchener Gesellschaft den Bereich private Kfz-Versicherung leitet. "Das wird auf lange Sicht auch Auswirkungen auf die Versicherungsprämie haben."
Ein Autopilot senkt auf Bundes- und Landstraßen die Unfallzahlen um 27 Prozent, auf Autobahnen bis 45 Prozent, hat der weltweit größte Rückversicherer Swiss Re herausgefunden. "Die Versicherungsprämien werden nicht einfach steil abstürzen", sagt Sebastiaan Bongers, Chef der Abteilung Automotive bei Swiss Re. "Es wird auch weiter Autos geben, die nicht autonom fahren." Doch werden die Prämien pro Fahrzeug schon in den nächsten zehn Jahren spürbar sinken.
"Wir geben nicht beliebig Preisnachlässe", heisst es beim Autoversicherer
Bislang geben deutsche Versicherer nicht direkt Rabatt, wenn Fahrzeuge mit teilautonomen Systemen wie Spurhaltesystem, Abstandhalter oder Einparkhilfe ausgestattet sind. "Wir geben nicht beliebig Preisnachlässe", sagt Angelika Christoph von der HUK-Coburg. Die Allianz verweist auf die bestehenden Systeme. Wenn durch ein System der Schadenaufwand sinkt, werde das bei der Typklasseneinstufung der Fahrzeuge indirekt berücksichtigt. Bei dieser Zurückhaltung wird es nicht bleiben, glaubt Berater Maier. "Diese Rabatte werden relativ schnell kommen, dafür sorgt der Druck im Markt." Der Verbraucher könne sich entspannt zurücklehnen. "Die Prämien gehen runter."
Dennoch stellen sich viele Fragen. Muss ein Fahrer sich auch künftig individuell versichern? Oder versichert sich nur der Hersteller eines autonomen Fahrzeugs gegen Ansprüche aus der Produkthaftpflicht? "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Apple ein selbstfahrendes Fahrzeug herausbringt und dann noch die Kunden nach einer Versicherung suchen lässt", sagt Maier. Stattdessen werde die Hersteller-Haftpflicht entscheidend.
Doch Allianz-Manager Wehner setzt sich energisch für das Fortbestehen des bisherigen Haftungssystems in Deutschland ein. "In Deutschland haftet stets auch der Halter des Fahrzeugs, unabhängig davon, ob der Fehler bei ihm oder beim Fahrzeug liegt", sagt er. "Kann bei einem Unfall ein Produktfehler nachgewiesen werden, werden wir Regress beim Hersteller nehmen." Auch die HUK-Coburg will das jetzige System erhalten. "Wir sind verantwortlich und haben den Auftrag, im Sinne des Verkehrsopfers Schäden zu zahlen." Gibt es Indizien für einen Fehler des Herstellers, will die Gesellschaft Regress - also Schadenersatzansprüche - gegen ihn prüfen.
Auch ein teilautonomes Fahrzeug muss versichert werden, glaubt Innovalue-Experte Maier. Trotzdem - wie bisher wird es nicht bleiben. "Es wird zu einer starken Konsolidierung im Markt kommen", prognostiziert er. Vor allem kleine Versicherer werden verschwinden. "Wir erwarten einen Rückgang von 20 Prozent bis 25 Prozent bei der Zahl der Anbieter in den kommenden zehn Jahren", sagt er. "In dem Tempo wird es dann weitergehen."