Keynes und die Krise:Der letzte Schuss

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Schon früher war der beherzte staatliche Eingriff en vogue. Wenn Unternehmen, Banken und Verbraucher ihr Geld horten, muss der letzte verbliebene Spieler in der Wirtschaft einspringen: der Staat.

Ulrich Schäfer

Es ist ein Satz für die Geschichtsbücher, den Richard Nixon, der 37. Präsident der Vereinigten Staaten, im Januar 1971 von sich gab: "We are all Keynesians now" - Wir sind jetzt alle Keynesianer. Wir: Damit meinte Nixon die führenden Industrienationen.

Plötzlich ist der beherzte Eingriff des Staates wieder in. (Foto: Foto: dpa)

Sie alle folgten Anfang der 70er Jahre den Lehren des britischen Nationalökonomen John Maynard Keynes; sie alle versuchten, die Konjunktur mit öffentlichen Ausgaben anzuschieben. In Deutschland führte SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller virtuos vor, wie diese "Globalsteuerung" funktioniert. Nur ein paar Jahre später, als die Staaten in Schulden versanken, verschwand die Begeisterung für Keynes.

Doch in der jetzigen Krise ist der beherzte Eingriff des Staats wieder en vogue. Erneut könnten die Regierungen in Berlin und Washington, Paris und London, in Tokio und, ja, selbst in Peking behaupten: Wir sind jetzt alle Keynesianer. Die Politiker haben jene Überzeugung über Bord geworfen, dass ein sparsamer, möglichst ausgeglichener Etat die entscheidende Voraussetzung ist für mehr Wachstum und mehr Jobs.

Nicht Fehler der 30er wiederholen

Denn in der schwersten Rezession seit acht Jahrzehnten, in dieser zweiten Weltwirtschaftskrise, wollen sie nicht die Fehler wiederholen, die in den 30er Jahren begangen wurden. Damals beschleunigten zahlreiche Regierungen - allen voran die deutsche - in ihrem Sparwahn den Niedergang.

Und so pumpt die Politik nun Summen in die Wirtschaft, die vor kurzem als unvorstellbar galten: Bis zu 1,3 Billionen Dollar will Barack Obama in sein Konjunkturpaket stecken, 460 Milliarden Dollar nimmt China in die Hand, ein Programm über 50 Milliarden Euro wird die Bundesregierung an diesem Montag beschließen. Denn wenn sich überall Angst breit macht, wenn Unternehmen, Banken und Verbraucher ihr Geld horten, muss der letzte verbliebene Spieler in der Wirtschaft einspringen - der Staat.

Doch anders als in den 60er und 70er Jahren folgen die Regierungen den Lehren von Keynes nicht aus Überzeugung, sondern aus der Not heraus. Sie haben keine Wahl, weil alle anderen Versuche, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, gescheitert sind. Die gigantischen Rettungspakete für die Banken haben wenig bewirkt. Die historischen Zinssenkungen der Notenbanken sind verpufft. Also sind die Billionen für die Konjunktur der letzte Schuss. Denn die Wirtschaft stürzt in atemberaubendem Tempo ab; in Deutschland wird sie dieses Jahr wohl um drei Prozent schrumpfen.

Anders als vor vier Jahrzehnten bekennt sich kaum ein Politiker offen zu Keynes. Gerade konservative Vertreter tun sich immer noch schwer damit, dass sie in dieser Krise - entgegen ihrer Überzeugung - auf einen starken Staat setzen müssen. Dabei hätte gerade die große Koalition ein Vorbild: Karl Schiller und sein wichtigster Mitstreiter, CSU-Finanzminister Franz Josef Strauß.

Gemeinsam boxten "Plisch und Plum" 1967 die ersten beiden Konjunkturprogramme der bundesdeutschen Geschichte durch. Die erste Große Koalition investierte mehrere Milliarden Mark in Schulen oder Straßen und trug so dazu bei, dass die Wirtschaft bald wieder um über sieben bis acht Prozent wuchs. Der Volkswirtschaftsprofessor Schiller verstand es zudem, den Bürgern die Politik à la Keynes mit viel Sachverstand zu erklären.

Keine "Plisch und Plum"

Die zweite große Koalition versucht ohne solch einen gedanklichen Überbau auszukommen, und in ihren Reihen gibt es auch keine "Plisch und Plum". Union und SPD verlieren sich im Hickhack der Parteipolitik. Heraus kommen wird ein Konjunkturpaket, das allen etwas bietet, weil jede Partei ihre eigene Klientel bedienen will.

So wird die Regierung zu viel Geld darauf verwenden, die Krankenkassenbeiträge ein wenig zu senken (SPD-Wunsch) oder den Steuertarif zu ändern (Unions-Wunsch). Beides bringt wenig, weil die meisten Bürger es kaum spüren werden oder, wenn sie es merken, die Gefahr groß ist, dass sie das Geld für schlechtere Zeiten beiseite legen.

Zugleich steckt die Koalition zu wenig Geld in Investitionen, also in Schulen, Universitäten, Straßen oder Breitbandnetze, was eigentlich die sinnvollste Maßnahme wäre. Denn dies bringt eine doppelte Dividende: Investitionen kurbeln jetzt das Wachstum an - und erlauben es der Wirtschaft, auch später schneller zu wachsen. Gleichwohl wird das Paket der Regierung, anders als das erste, viel zu kleine aus dem November, seine Wirkung entfalten. 50 Milliarden Euro reichen, um den Abschwung abzudämpfen; abwenden kann ihn kein noch so großes Paket, nicht einmal das amerikanische.

Eines darf bei der momentanen Begeisterung für Konjunkturpakete allerdings nicht vergessen werden: Die dafür notwendigen Schulden müssen im nächsten Aufschwung wieder abgetragen werden. So hat es Keynes gefordert, und so hat es Karl Schiller vorgemacht: Als die deutsche Wirtschaft wieder florierte, hob der SPD-Minister die Steuern an - und verlangte einen "Konjunkturzuschlag".

Allen Beteiligten muss klar sein: Das Experiment mit Keynes darf nicht so enden wie in den 70er Jahren, als die Schuldenberge ins Unermessliche stiegen und dies den Staat auf Jahrzehnte lähmte. Erst wenn die Schulden des Jahres 2009 wieder abgetragen sind, ist die jetzige Krise wirklich ausgestanden.

© SZ vom 12.01.2009/dmo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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