Kaufhof und Karstadt:Operation 50/50

Lesezeit: 5 min

In den Verkaufsverhandlungen durchleuchten die Beteiligten nun jede einzelne Kaufhof-Filiale. Auch wenn die 96 Läden sehr unterschiedlich sind: Das Ziel ist ein fairer Schnitt.

Von Michael Kläsgen

Dieser eine Kilometer in der Münchner Innenstadt ist der Gegenbeweis: Es geht, Warenhäuser können überleben, sie müssen nicht untergehen. Der Kaufhof am Marienplatz ist die umsatzstärkste aller 96 Filialen der Kette bundesweit. 500 Meter weiter in Richtung Stachus: das Kaufhaus Oberpollinger mit vielen Luxusmarken und daneben Karstadt Sports, beide mit passablen Geschäftszahlen. Am Stachus dann eine weitere Kaufhof-Filiale, die zu den zehn größten Umsatz- und Gewinnbringern des Konzerns gehört. Und am Bahnhof schließlich eine architektonische Rarität und eine der größten Karstadt-Filialen überhaupt. Über 220 Meter zieht sich der fünfgeschossige Bau. Die Front zieren Treppentürme, Giebel und Gauben.

Klar, München ist eine Ausnahme. Viele Menschen haben hier viel Geld, die Arbeitslosigkeit ist gering, der Einzugskreis groß. Dennoch kann man in München und speziell am Beispiel Karstadt am Hauptbahnhof zwei Dinge über die deutsche Warenhaus-Geschichte und ihre mögliche Zukunft lernen: Wie die Häuser sich wandelten und wie es trotz aller Schwierigkeiten weitergehen könnte.

In dem historischen Bau am Bahnhof eröffnete Hermann Tietz, der Hertie-Gründer, vor mehr als 110 Jahren eines seiner Warenhäuser, die den Einzelhandel damals so veränderten, wie es heute Amazon tut. Sie bescherten den Menschen ein neues Einkaufsgefühl. Hier fanden sie alles unter einem Dach, darunter Exotisches und Exklusives, damals waren es Tomaten. Die Artikel waren für alle zugänglich, und alles hatte einen festen und oft günstigen Preis.

Seit 2017 gehört die in den Siebzigerjahren erweiterte Immobilie vollständig zu Karstadt oder besser: zur österreichischen Signa Holding und deren Eigentümer René Benko. Er führt ehemalige Hertie-Warenhäuser fort und das, was Rudolf Karstadt 1881 in Wismar gründete. Allein diese beiden Marken erlebten wie die gesamte Warenhausbranche in fast 140 Jahren Aufstieg und Fall. Hertie ging in Karstadt auf, Karstadt in Karstadt-Quelle und später in Arcandor, der US-Investor Nicolas Berggruen übernahm das Geschäft, bis Signa kam.

Nun will Benko auch Kaufhof übernehmen. Es ist nicht sein erster Versuch. Sollte es ihm diesmal gelingen, würden viele Warenhäuser der Großfamilie Tietz vereint. Auch Kaufhof geht wie Hertie auf die Familie Tietz zurück. Der Onkel von Hertie-Gründer Hermann Tietz, Leonhard Tietz, hatte 1891 in Köln in der Hohen Straße eines seiner ersten Warenhäuser in Deutschland eröffnet. Heute ist es nach den Filialen am Marienplatz in München und am Alexanderplatz in Berlin die drittumsatzstärkste Kaufhof-Filiale.

Aus Hertie wurde Karstadt, aus den Kaufhäusern von Leonhard Tietz Kaufhof

Weil die Familie Tietz jüdischer Abstammung war, pressten die Nazis ihr das Eigentum ab und zwangen sie zur Flucht. Aus den Warenhäusern von Leonhard Tietz wurde im sogenannten Dritten Reich Kaufhof. Auch Hermann Tietz' Familie wurde enteignet. Von den "arisierten" Filialen übernahm unter anderen auch Horten welche. Horten stieg zeitweilig zur viertgrößten deutschen Warenhauskette in der Nachkriegszeit auf, bis sie ebenfalls teilweise im Kaufhof-Konzern aufging.

Einige Häuser sind durchaus profitabel: etwa der Kaufhof am Münchner Marienplatz. (Foto: Sonja Marzoner)

Heute machen die möglichen Fusionskandidaten Karstadt und Kaufhof zusammen zwischen vier und fünf Milliarden Euro Umsatz. Das sind nur knapp drei Prozent des gesamten Einzelhandelsumsatzes in Deutschland. In den Siebzigerjahren hatten Warenhäuser noch einen Anteil von 14 Prozent. Der Niedergang scheint unaufhaltsam zu sein.

Kann ihn ein Zusammenschluss stoppen? Der Trend spricht dagegen. Der Onlinehandel wächst schnell. Die Warenhäuser müssen hingegen um jeden Kunden kämpfen.

Weder Kaufhof noch Karstadt geht es gut, die Umsätze sinken. Kaufhof steht finanziell unter einem noch größeren Druck als Karstadt. Kaufhof machte zuletzt 100 Millionen Euro Verlust, Karstadt hingegen einen bescheidenen Gewinn. Karstadt hat bereits eine harte Sanierung hinter sich, Kaufhof und den Mitarbeitern steht sie offenbar noch bevor. Der kanadische Eigentümer HBC will aus dem Flächentarifvertrag aussteigen und die Löhne kürzen. Karstadt hat das schon getan und zahlt seinen nur noch etwa 12 500 Mitarbeitern in den verbliebenen 82 Filialen weniger Lohn und Gehalt als Kaufhof seinen nominell etwa 21 000 Beschäftigten, von denen ein Großteil keine Vollzeitkräfte sind.

Bei Kaufhof kommt hinzu, dass auch der börsennotierte kanadische Eigentümer selber finanziell angeschlagen ist. In Nordamerika läuft der stationäre Einzelhandel mindestens so schlecht wie in Deutschland. Probleme also überall. Der gängige Spruch von Handelsexperten lautet: Legt man das Geschäft von zwei schwachen Unternehmen zusammen, entsteht daraus noch lange kein starkes.

Viele prophezeien den sicheren Tod vieler Filialen. Gemäß der häufigsten Prognose überleben von den insgesamt 180 Standorten mittelfristig vielleicht 120. Aber muss es wirklich so kommen? Das ist nicht sicher. Ohnehin würde das Schrumpfen Jahre dauern. Für den Eigentümer rechnet es sich nicht, vorzeitig aus Mietverträgen auszusteigen und teure Sozialpläne, Abschreibungen und sonstige Verpflichtungen zu schultern. Das kann teurer sein, als die Filiale weiter zu betreiben.

Entscheidend ist für den Fortbestand, wie jede einzelne Filiale läuft, wie hoch der Gewinn beziehungsweise Verlust ist. Vor allem: wie hoch die Miete ist, wo das Kaufhaus liegt und welches Potenzial es hat. Das gilt auch für die etwa 20 Städte, in denen Filialen von Karstadt und Kaufhof unmittelbar gegenüberliegen. "Wenn das eine aufgegeben wird, wird das andere dadurch nicht besser", sagt Gerd Hessert, Handelsexperte der Universität Leipzig. Noch unsinniger wäre es, eine von zwei relativ gut laufenden Filialen wie etwa in der Mönckebergstraße in Hamburg aufzugeben, nur weil sie nahe beieinanderliegen.

Die Schwierigkeit in den Verhandlungen liegt eher darin, die goldene Mitte zu finden. In den Gesprächen geht es nicht darum, wer welche von den 96 Filialen beziehungsweise Immobilien ergattert. Es geht nicht um München versus Hamburg. Die Kontrahenten versuchen vielmehr, den Mittelwert jeder einzelnen Filiale zu berechnen, um anschließend das Gesamte finanziell fair aufteilen zu können. Es geht um den für beide Seiten akzeptablen Schnitt in zwei Hälften. Alle 96 Kaufhof-Immobilien sollen von beiden zu gleichen Teilen gehalten werden.

Die Aufteilung wird dadurch erschwert, dass die 96 Filialen sehr unterschiedlich sind

Diese Operation 50/50 gilt für die 41 Kaufhof-Immobilien, die in dem Immobilienpaket HBS Global Properties zusammengefasst sind, und für ein zweites Immobilienpaket Deutschland.

Das Warenhausgeschäft soll nach dem Willen von Signa zu 51/49 Prozent zugunsten von Karstadt aufgeteilt werden. Der jetzige Karstadt-Chef Stephan Fanderl soll die Leitung übernehmen. Er hat Karstadt über Jahre hinweg Schritt für Schritt zurück in die schwarzen Zahlen geführt.

Erschwert wird die Aufteilung dadurch, dass die 96 Kaufhof-Filialen sehr unterschiedlich sind. Etwa zehn von ihnen sollen mehr als 100 Millionen Euro Umsatz im Jahr machen, also grob etwa ein Drittel des Umsatzes. Gleichzeitig sollen sie aber offenbar zwei Drittel des Ertrags erwirtschaften. Die Frage ist, welche Kennziffer für die Teilung herangezogen wird, Umsatz oder Gewinn? Letzterer ist maßgeblich auch von der Höhe der Miete abhängig. Die kann die einzelne Filiale aber kaum beeinflussen. Ein hoher Umsatz muss daher nicht unbedingt einen hohen Gewinn bedeuten. Ist der Umsatz also doch die bessere Kennziffer?

Falls es zu einem Gemeinschaftsunternehmen kommen sollte, brächte das voraussichtlich bessere Konditionen beim Einkauf und wohl zumindest zeitweise Preisnachlässe bei Lieferanten. Die IT und die Logistik könnten kostensparend vereinheitlicht werden; Investitionen in den Onlinehandel würden sich eher rentieren, und Eigenmarken ließen sich leichter aufbauen, weil sie durch ein gemeinsames Marketing flankiert werden könnten.

Allerdings müsste zunächst einmal das Kartellamt zustimmen. Gerade für München könnte das noch interessant werden.

© SZ vom 20.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: