Karlsruhe korrigiert Kirchhof:Verfassungsgericht weicht Grenze für Steuerbelastung auf

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Die Gesamtbelastung von Bürgern mit Einkommen- und Gewerbesteuern darf laut Bundesverfassungsgericht mehr als 50 Prozent betragen. Karlsruhe kassiert mit diesem Urteil die "Halbteilungs-Rechtsprechung" aus der Ära des früheren Verfassungsrichters Paul Kirchhof.

Marc Beise und Helmut Kerscher

Der Grundsatzbeschluss des Zweiten Senats geht auf die Verfassungsbeschwerde eines Gewerbetreibenden aus Nordrhein-Westfalen zurück (Aktenzeichen: 2 BvR 2194/99).

Zusammen mit seiner Ehefrau sollte er auf der Grundlage eines Einkommens von rund 630.000 Mark im Jahr 1994 etwa 260.000 Mark an Einkommensteuer bezahlen. Hinzu kam eine von der Gemeinde festgesetzte Gewerbesteuerschuld in Höhe von mehr als 110.000 Mark.

Die Eheleute errechneten für sich eine steuerliche Gesamtbelastung von fast 60 Prozent durch Einkommen- und Gewerbesteuer und machten einen Verstoß gegen den "Halbteilungsgrundsatz" des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1995 geltend.

Erfolglos

Ihre Klagen blieben sowohl vor dem Finanzgericht und dem Bundesfinanzhof (BFH) als auch jetzt in Karlsruhe erfolglos.

Schon der BFH in München hatte 1999 die Klage des Gewerbetreibenden auf Herabsetzung der Steuer mit dem Argument zurückgewiesen, durch die höhere Belastung sei er nicht in seinem Eigentumsgrundrecht verletzt. Ihm bleibe genügend Einkommen, sein wirtschaftlicher Erfolg sei nicht gefährdet, argumentierten die Richter.

Zumutbar

Im konkreten Fall sei nicht erkennbar, dass eine verfassungsrechtliche Obergrenze zumutbarer Steuerbelastung erreicht wäre, argumentierte jetzt auch der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts. Generell sei das Einkommen- und Gewerbesteuerrecht derzeit nicht so ausgestaltet, dass eine übermäßige Steuerbelastung und damit eine Verletzung der Eigentumsgarantie festgestellt werden könnte.

In seiner Begründung kippte Karlsruhe den Halbteilungsgrundsatz und erweiterte den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der steuerlichen Gesamtbelastung von Bürgern. Deren Höhe sei nicht durch einen bestimmten Satz von beispielsweise 50 Prozent, sondern nur durch die allgemeinen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit begrenzt.

Nicht nur der Steuersatz zählt

Danach sei die Intensität der Steuerbelastung nicht nur durch den Steuersatz bestimmt, sondern auch durch den Umfang von möglichen Subventionen und Abzügen. Je breiter die Bemessungsgrundlage sei, desto belastender wirke sich ein Steuersatz aus.

Die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich zu niedrigeren Einkommen ist Karlsruhe zufolge "angemessen auszugestalten". Aus der Verfassung folge zwar "keine zahlenmäßig zu konkretisierende allgemeine Obergrenze der Besteuerung". Die Belastung auch höherer Einkommen dürfe aber für den Regelfall nicht so weit gehen, "dass der wirtschaftliche Erfolg grundsätzlich beeinträchtigt wird und damit nicht mehr angemessen zum Ausdruck kommt".

Der viel zitierte "Halbteilungsgrundsatz", den der frühere Verfassungsrichter Paul Kirchhof in der Entscheidung zur Vermögensteuer untergebracht hatte und der seitdem in Politik und Wissenschaft umstritten war, wurde vom Gericht nicht angewandt.

Keine Bindungswirkung

Zum einen sei es damals nur um die Gesamtbelastung des Vermögens durch eine zusätzliche Vermögensteuer gegangen, hieß es. Zum andern komme den damaligen Ausführungen zum Halbteilungsgrundsatz keine Bindungswirkung zu, weil sie für das Ergebnis nicht ursächlich gewesen seien.

Kirchhof hatte die maßgeblich von ihm als Steuerberichterstatter des Gerichts durchgesetzte Rechtsprechung als Teil eines Prozesses verstanden, mit dem das Gericht der Steuergestaltung durch den Gesetzgeber Grenzen anlegen sollte.

Er fand dafür damals die Mehrheit seiner Richterkollegen, stieß aber auch auf Widerspruch. Die neue Entscheidung ist geprägt durch Kirchhofs Nachfolgerin für den Bereich Steuerrecht, die Frankfurter Juraprofessorin Lerke Osterloh.

"Haltlos"

Das Bundesfinanzministerium begrüßte die Entscheidung ebenso wie der stellvertretende SPD-Fraktionschef Joachim Poß. "Das Gerede vom Halbteilungsgrundsatz, der dem Staat verbietet, höhere Einkommen stärker zu belasten, erweist sich nach dieser Entscheidung als haltlos", sagte Poß.

Damit gäbe es dieses von Kirchhof "erfundene" Gebot nicht. Zudem habe das Gericht deutlich gemacht, dass speziell bei der Einkommensteuer nicht allein der Steuersatz, sondern das Verhältnis von Steuersatz und -bemessungsgrundlage beachtet werden müsse. Das Gericht habe indirekt auch die von Kirchhof verfochtene Einheitsbesteuerung (flat-tax) verfassungsrechtlich in Zweifel gezogen, interpretierte Poß.

© SZ vom 17.03.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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