Kapitalismus in der Krise:"Die große Depression hat China nie erreicht"

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Wirtschaftsplaner Fang Xinghai über den Finanzplatz Shanghai und die Angst vor dem Ende des China-Booms.

J. Vougioukas

Das Geheimnis des China-Booms ist die Verbindung von Markt- und Planwirtschaft. Kein anderes Land hat es bisher geschafft, die Entwicklung der Wirtschaft so präzise und erfolgreich zu dirigieren. Doch auch China leidet unter den Folgen der Finanzkrise, 30 Jahre nach dem Beginn der Wirtschaftsreformen stockt der Aufschwung zum ersten Mal. Fang Xinghai, 44, soll Shanghai zu einem Finanzplatz von Weltniveau machen. Der Regierungsbeamte hat seinen Optimismus nicht verloren. Er glaubt, dass die Krise China sogar noch stärken könnte.

Die chinesische Regierung sei einfach schneller als die anderer Staaten - findet Fang Xinghai. (Foto: Foto: oh)

SZ: Die Regierung hat Sie damit beauftragt, Shanghai in ein weltweites Finanzzentrum zu verwandeln. Beeinflusst die Krise Ihre Pläne?

Fang: Wir arbeiten daran, auch wenn das nicht unsere einzige Aufgabe ist. Die Krise hat keinen großen Einfluss auf unsere Arbeit. Chinas Finanzsektor ist im Vergleich zum Rest der Wirtschaft immer noch sehr klein. Unsere Aufgabe ist, die Branche zu modernisieren. Wenn Asiens Bedeutung in der Weltwirtschaft weiter wächst, gibt es einen Bedarf nach einem Finanzplatz in dieser Zeitzone. Und Shanghai hat eine gute Chance, die Lücke zu füllen.

SZ: Bis wann wollen Sie Ihr Ziel erreichen?

Fang: Der Plan sieht vor, bis 2012 das Fundament dafür zu legen, dass Shanghai zu einem Finanzzentrum werden kann. 2020 soll es dann so weit sein.

SZ: Die Weltbank rechnet damit, dass Chinas Wachstum im kommenden Jahr auf 7,5 Prozent fällt. Aus europäischer Perspektive ist das immer noch sehr hoch. Warum wirkt die chinesische Regierung trotzdem so besorgt?

Fang: Wichtig ist, um wie viel sich das Wachstum verlangsamt. Wenn die Weltbank recht hat, fällt unsere Wirtschaftsleistung um 2,3 Prozent. Das ist sehr viel.

SZ: Was bedeutet das für China?

Fang: Ich weiß nicht, ob die Prognosen der Weltbank stimmen. Persönlich glaube ich, die Bank ist zu pessimistisch. Wenn wir tatsächlich auf 7,5 Prozent zurückfallen, wird das große Folgen für unser Land haben. Die Arbeitslosigkeit wird zum Problem. Jedes Jahr machen Millionen junge Studenten ihren Abschluss und suchen Arbeit. Die Steuereinnahmen werden sinken. Und daran hängt ein großer Teil unserer sozialen Sicherungssysteme.

SZ: Wo trifft die Krise China am härtesten?

Fang: Die Folgen spüren vor alle die Küstenregionen, dort brechen die Exporte ein. Viele der Arbeiter kommen aus dem Landesinneren. Einige sind bereits in ihre Heimatregionen zurückgekehrt. Ihre Einkommen werden sinken. Und natürlich kaufen die Firmen in Küstennähe viele Zwischenprodukte und Rohmaterialien aus dem Hinterland. Kohle ist ein gutes Beispiel: Vor einem halben Jahr gab es Lieferengpässe. Jetzt haben wir ein Überangebot. So wandert die Krise von der Küste ins Landesinnere.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was für Vorteile China gegenüber anderen Ländern hat.

SZ: Droht jetzt das Ende des China-Booms?

Chinas Banken zählen zu den größten der Welt. (Foto: Foto: AFP)

Fang: Ich glaube, dass China im Vergleich zu fast allen Ländern gut dasteht und die besten Aussichten hat, die Krise relativ unbeschadet zu überstehen. Natürlich spüren auch wir den Druck. Aber wir haben zwei Vorteile, die andere Länder nicht haben: Unsere Banken verwalten gewaltige Ersparnisse. Und die können wir nutzen, um Investitionen und Konsum schnell und relativ unkompliziert zu stärken. Andere Länder müssen sich das Geld dafür aus dem Ausland leihen. Der zweite große Vorteil ist, dass die Zentralregierung in Peking mit den Provinzen und Städten an einem Strang zieht. Unsere Regierung kann schnell entscheiden. Das gibt es auch nicht in vielen anderen Ländern. Sicher wird sich unser Wachstum verlangsamen, einige Fabriken werden schließen. Aber wir werden die Krise genau so meistern, wie die Probleme der Vergangenheit, zum Beispiel die Asienfinanzkrise vor zehn Jahren.

SZ: Welche Möglichkeiten hat Ihre Regierung ganz konkret?

Fang: Man muss in Krisenzeiten schnell und massiv einschreiten. Unser Vier-Billionen-Yuan-Konjunkturprogramm hat bereits gezeigt, dass wir schnell handeln können. Und wenn das Geld nicht ausreicht, werden wir zusätzliche Programme auflegen. Es ist eine konzertierte Aktion.

SZ: Westliche Regierungen haben ähnliche Rettungspakete beschlossen...

Fang: Wir sind bei der Ausführung unserer Projekte schneller. Ein Beispiel: Atomkraftwerke - andere Länder brauchen Jahrzehnte, um ein einziges Kraftwerk zu bauen. Wir können das recht zügig durchziehen.

SZ: Viele der prächtigsten Kolonialbauten in Shanghai wurden gebaut, als die Welt ihre schlimmste Wirtschaftskrise erlebte, in den zwanziger und dreißiger Jahren. Und Chinas Boom gewann richtig an Fahrt, als im Westen gerade die New-Economy-Blase platzte. Wie kommt es, dass China bisher von Krisen immer profitiert hat?

Fang: Es stimmt, dass die große Depression China nie erreicht hat. Interessanterweise begann da unsere Goldene Dekade. Warum habe ich ehrlich gesagt nie verstanden.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wieso Chinas Banken zu den größten der Welt gehören und die Kreditkrise fast unbeschadet überstanden haben.

SZ: Wird das jetzt wieder passieren?

Fang: Durchaus möglich. Wenn man sich in der Welt umschaut, ist China immer noch der beste Platz, um zu investieren. Und wenn wir uns weiter öffnen, können wir immer noch viel Kapital und Talent aus dem Ausland anziehen.

SZ: Wird die Regierung in Peking die Krise also nutzen, um den Reformprozess voranzutreiben?

Fang: Ich hoffe doch sehr. Eine Krise hat auch Vorteile. In guten Zeiten, wenn alles wächst, übersieht man die Schwächen des eigenen Systems leicht. Bei einer Krise werden die Schwächen sichtbar, und der Zeitpunkt ist gut, um Probleme zu reparieren.

SZ: Chinas Banken gehören inzwischen zu den größten der Welt. Wie kommt es eigentlich, dass sie die Kreditkrise fast unbeschadet überstanden haben?

Fang: Im Moment sind die chinesischen Banken wohl die am besten kapitalisierten der Welt. Die Kreditqualität hat sich verbessert. Und weil es unserer Wirtschaft in den vergangenen Jahren so gut ging, sind auch die Profite schnell gewachsen. In Zukunft werden ihre Profite wohl sinken, auch die Zahl der faulen Kredite wird steigen. Doch das Geld wird den Banken wohl nicht ausgehen.

SZ: Können westliche Banken vom chinesischen Modell lernen?

Fang: Ich glaube, Banken sollten konservativ sein. Die chinesischen Banken folgen strengen Richtlinien. Sie dürfen zum Beispiel nicht auf dem Aktienmarkt spekulieren. Das hat ihr Risiko schon einmal dramatisch reduziert.

SZ: Welche Lehren zieht Ihre Regierung aus den vergangenen Wochen?

Fang: Chinas Finanzsystem hat sich lange auf den Dollar verlassen, sowohl bei den eigenen Währungsreserven, als auch bei der Abwicklung des Außenhandels. Die Finanzkrise hat uns gezeigt, dass man nicht auf den Dollar bauen kann und dass der Wert des Dollars mit vielen Unsicherheiten verbunden ist. Jetzt stellt sich die Frage, welche Währung wir in Zukunft benutzen wollen. Könnte es nicht auch sein, dass der chinesische Renminbi in Zukunft eine Währung für den internationalen Handel wird? Im Handel mit unseren Nachbarländern Vietnam und Thailand ist der Renminbi schon jetzt die dominante Währung. In der Krise kann man über solche Fragen nachdenken.

© SZ vom 03.12.2008/ld - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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