Kannegiesser im Interview:"Keine Zeit für Gesichtskosmetik"

Lesezeit: 5 min

Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser über die Auswirkungen des Börsenbebens und die Zukunft der Tarifpolitik.

D. Esslinger, S. Haas

Der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Martin Kannegiesser, 66, hat Maßhalten in den Tarifverhandlungen gefordert. Auch in der Metall- und Elektroindustrie sei die Finanzkrise bereits spürbar, indem Kredite schwieriger und teurer würden. Einen Dammbruch erwarte er aber nicht, sagte Kannegiesser.

Der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Martin Kannegiesser, fordert die Versachlichung von Tarifverhandlungen. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Die niedersächsischen und nordrhein-westfälischen Arbeitgeber haben wegen der Finanzkrise vorgeschlagen, die Tarifrunde bis Januar auszusetzen. Was versprechen Sie sich davon?

Martin Kannegiesser: Wir steuern auf eine Nebelwand zu, niemand weiß, wie dramatisch die Kombination aus Abschwung und Finanzkrise sein wird. Hinter dem Vorstoß steht also die Hoffnung, dass die Sicht in zwei bis drei Monaten klarer sein wird. Diese Empfindung ist sicherlich nicht abwegig.

SZ: Es ist also ein Vorschlag, hinter dem die Arbeitgeber insgesamt stehen?

Kannegiesser: Nein, und es könnte sein, dass dieser Weg Unsicherheiten noch verstärkt. Niemand kann im Augenblick sagen, wann der Nebel weg ist und unter welchen Bedingungen wir danach verhandeln würden.

SZ: Also Augen auf und durch?

Kannegiesser: Die IG Metall sagt: Weihnachten muss ein Ergebnis unterm Baum liegen. Wir sagen: aber nicht um den Preis, dass Belastungen durchgedrückt werden, die der veränderten Lage nicht gerecht werden.

SZ: IG-Metall-Chef Berthold Huber hat bereits Kompromissbereitschaft signalisiert. Er beharrt zwar auf den geforderten acht Prozent, schlägt aber nun vor, der Tarifvertrag solle im Gegenzug nicht zwölf, sondern mindestens 20 Monate laufen. Kann das eine Lösung sein?

Kannegiesser: Eine Lösungsformel für diese Tarifrunde wird vermutlich aus mehreren Elementen bestehen, dazu gehört sicher auch die Laufzeit. Allerdings kommt es auf das Gesamtpaket an.

SZ: Wie könnte das aussehen?

Kannegiesser: Es muss eine Kombination aus Einmalzahlung sowie prozentualer Lohnerhöhung sein. Die acht Prozent sind Illusion. Es ist zwar verständlich, wenn die Beschäftigten über die Teuerung klagen. Aber wir sagen ihnen: Wenn durch höhere Öl- und Gaspreise Kaufkraft ins Ausland abwandert, könnt ihr euch das nicht alles über eure Betriebe zurückholen. Bedauerlich, ist aber leider so. Die Unternehmen leiden unter den gestiegenen Preisen ja ebenso. Wir werden bald ein Angebot machen.

SZ: Ihrer Branche geht es weiterhin gut, anders als der Finanzbranche. Warum sträuben Sie sich so sehr gegen die Forderung der Gewerkschaft?

Kannegiesser: Die Finanzbranche kann nun wirklich kein Maßstab sein. Dort ist eine Krise ausgebrochen wie seit 50 oder 80 Jahren nicht mehr. Die Metall- und Elektro-Industrie hingegen hat sich nun drei, vier Jahre lang gut entwickelt. In dem relativ kurzen Aufschwung haben sich die Betriebe vorbildlich verhalten. Sie haben die Investitionen in Deutschland ausgeweitet. Sie haben in den vergangenen zwei Jahren 250.000 Arbeitsplätze geschaffen. Zudem haben wir in jeder Tarifrunde die Löhne erhöht, und zwar meist um das Zwei- bis Dreifache des Bundesdurchschnitts. Und wir haben etwas gemacht, was uns dringend nahe gelegt worden war: Eigenkapital erhöht. Wir haben zwar noch nicht das internationale Niveau erreicht, aber wir kommen nun finanziell stärker und stabiler in den Abschwung hinein als vergangenes Mal.

SZ: Sie haben also einen großen Teil Ihrer Gewinne genutzt, um mehr Eigenkapital zu bilden?

Kannegiesser: Unsere Branche lebt zu 80 Prozent von Investitionsgütern...

SZ: ...also von Firmenkunden, und nicht von Endverbrauchern...

Kannegiesser: ...sowie zu 70 Prozent vom Export. Das heißt zum einen, dass wir einen großen Teil unserer Aufträge nur bekommen, wenn wir den Kunden eine Kreditfinanzierung organisieren können. Wenn wir aber als Hersteller mit den Banken ein Kreditpaket schnüren, heißt dies, dass wir mit für diesen Kredit haften müssen. Darüber hinaus brauchen wir genügend Mittel, um die Zeit zwischen Lieferung und Bezahlung zu überbrücken. Bei Auslandskunden müssen Sie zwei- bis dreimal solange auf Ihr Geld warten wie bei inländischen.

SZ: Spüren Sie die Finanzkrise schon?

Kannegiesser: Kredite werden schwieriger und teurer. Zugleich wollen immer mehr Kunden nur noch kaufen, wenn wir ihnen auch den Kredit besorgen können. Ich komme gerade aus Frankreich zurück, da habe ich dies selbst erlebt. Das gab es in Frankreich bisher nie. Und das gesamte Russland-Geschäft läuft ohnehin nur so. Ich erwarte durch die Finanzkrise aber keinen Dammbruch.

SZ: Warum?

Kannegiesser: Weil das eine Katastrophe wäre.

SZ: Trotzdem kann die kommen.

Kannegiesser: Ich als Unternehmer werde mein Investitionsverhalten so fortsetzen wie bisher. Das geht aber nur, weil ich unser Eigenkapital gestärkt habe. Ich kann als Unternehmer auf fremde Einflüsse nur mit den Mitteln reagieren, die mir in die Hand gegeben sind. Deshalb ist der Vergleich der IG Metall so falsch, der die Kosten einer Lohnerhöhung zur Hilfe des Bundes für die Hypo Real Estate in Bezug gesetzt hat. Beides hat nichts miteinander zu tun.

SZ: Huber drückt das allgemeine Empfinden von Menschen aus, die glauben, sie müssten in der Tarifrunde für eine Krise büßen, für die sie nichts können.

Kannegiesser: Mir geht es nicht anders. Wir Unternehmer büßen dafür genauso, aber ich muss darauf reagieren. Wenn also mein Absatz zurückgeht, zum Beispiel weil Kredite schwieriger werden, dann bleibt mir kurzfristig keine andere Möglichkeit, als die Kosten zu senken. Und der größte Kostenblock sind nun mal die Personalkosten.

SZ: Aber die Forderung der IG Metall steht.

Kannegiesser: Natürlich. Ein Teil unserer Arbeitnehmer ist mit Erwartungen in die Tarifrunde gegangen, die noch aus dem Frühjahr stammen. Diese Erwartung muss neu justiert werden. Oder es kommt zum Abbau von Arbeitsplätzen.

SZ: Sie drohen?

Kannegiesser: Das sind zwangsläufige Zusammenhänge, und keine Drohgebärden. Unser Ziel ist es aber, die 250.000 neu geschaffenen Arbeitsplätze über das konjunkturelle Tal zu bringen. Denn angesichts des Fachkräftemangels werden wir in den kommenden Jahren über jeden qualifizierten Mitarbeiter froh sein.

SZ: Da die IG Metall mehr fordert als 2007, muss sie auch mehr erzielen, wenn deren Vertreter ihr Gesicht wahren wollen.

Kannegiesser: Was heißt hier Gesicht wahren? Wir erleben derzeit alle eine Phase, in der es um Kopf und Kragen gehen kann. Wenn sich die Bedingungen ändern, muss sich ein Unternehmen anpassen; nichts anderes gilt für Tarifparteien. Für Gesichtskosmetik und Rituale ist jetzt nicht die Zeit.

SZ: Haben Sie darüber mal mit der IG Metall gesprochen?

Kannegiesser: Wir reden seit längerem über Straffung und Versachlichung. Das Instrument Arbeitskampf taugt überhaupt nicht mehr. Jeder Streik hat das Ziel, dem Betrieb Schaden zuzufügen.

SZ: Das war nie anders.

Kannegiesser: Aber wer ist denn der Betrieb? Eigentümer, Management und Belegschaften. Die alle müssen es ausbaden, wenn Kunden verloren gehen.

SZ: Ein anderes Druckmittel haben die Gewerkschaften aber nicht.

Kannegiesser: Doch. Wir könnten vereinbaren, die Verhandlungen einem Schlichter zu überlassen, falls wir uns bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht einigen. Das wäre ein starkes Druckmittel. Welche Organisation will schon ihre Kern-Aufgabe aus der Hand geben?

SZ: Dieser Druck bestünde aber nur, wenn der Schlichterspruch für beide Seiten bindend wäre. Das ist in der Regel aber anders.

Kannegiesser: Es ließe sich eine Kaskade einbauen: Falls eine Seite den ersten Schiedsspruch nicht akzeptiert, müssen beide Seiten erneut innerhalb einer Frist eine Lösung suchen. Gelingt auch dies nicht, würde ein zweiter Schiedsspruch verbindlich. Dies ließe allen genügend Spielraum. In der laufenden Tarifrunde wird es jedoch nicht möglich sein, diesen neuen Weg zu beschreiten.

© SZ vom 13.10.2008/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: