John Cryan:Der Verlässliche

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Der neue Chef der Deutschen Bank, John Cryan, geißelt die hohen Kosten und will sparen. (Foto: Christian Hartmann/Reuters)

Nach Anshu Jain rückt nun John Cryan an die Spitze der Deutschen Bank. Losgelegt hat er schon, sein Büro hat er schon bezogen.

Von Meike Schreiber und Charlotte Theile, Frankfurt/Zürich

Eigentlich hätte er noch ein paar Tage freinehmen können, bevor er seine neue Stelle antritt. Immerhin ist es einer der schwierigsten Jobs in der deutschen Wirtschaft. Doch John Cryan, von Mittwoch an neuer Vorstandschef der Deutschen Bank, hat schon längst Stellung bezogen. Zumindest an seinem Arbeitsplatz, den er sich in der 32. Etage im A-Turm der Frankfurter Doppeltürme eingerichtet hat. Es ist das Büro von Anshu Jain. Cryans Vorgänger hatte dort das Foto eines Tigers aufhängt, großformatig, vor allem aber selbst geschossen auf einer Safari in Indien. Es stand für Jains Liebe zu den gefährlichen Raubkatzen, aber ebenso für den Wagemut des Investmentbankers. Jain wird es wohl mitnehmen, wenn er die Bank in den kommenden Monaten nach 20 Jahren verlässt.

Oberste Priorität hat die Bilderfrage nicht. Dafür hat Cryan - 54 Jahre alt, Brite, schütteres Haar, freundliches Lächeln - zu viel damit zu tun, sich mit der Bank und ihren Eigenheiten vertraut zu machen. Bislang kannte er den laufenden Betrieb nur als Aufsichtsrat. Seit 2013 ist er dabei.

Seit Anfang Juni ist klar, dass er Jains Nachfolge antreten wird, und seitdem stürzt er sich ins Tagesgeschäft. Trifft Konzern- und Bereichsvorstände, besucht Mitarbeitermeetings und macht, was der Kalender vorgibt. Nebenher lässt er in Frankfurt nach einem Domizil suchen für sich und seine Frau, damit das Paar von London umziehen kann. Dort haben sie ein Haus im vornehmen Stadtteil Kensington.

Der Ruf des Instituts hat gelitten, operative Fortschritte werden kaum wahrgenommen

Cryan wird nicht nur von Frankfurts Immobilienmaklern sehnsüchtig erwartet. Vor allem viele Mitarbeiter hoffen auf einen Neuanfang. Schließlich waren die vergangenen drei Jahre unter Jain und seinem Co-Partner Jürgen Fitschen von einer einzigartigen Skandalserie und mauen Geschäftszahlen geprägt. Der Ruf der Bank ist schwer angeschlagen, operative Fortschritte werden kaum wahrgenommen.

Die größten Erwartungen haben die Aktionäre, die Jain und Fitschen aus ihren Ämtern gejagt haben und sich nun fragen, welche Impulse der neue Chef setzt. Die alte Führungsspitze war dazu nicht mehr in der Lage. Das wurde auch dem Letzten klar, als die Aktionäre auf der Hauptversammlung Ende Mai erst ihre neue "Strategie 2020" in der Luft zerrissen und dann Jain und Fitschen mit einem desaströsen Abstimmungsergebnis den Rest gaben.

Zwei Wochen später trat Jain zurück. Fitschen soll noch bis Mai 2016 den Übergang moderieren und Cryan einarbeiten. Und einen ehrenvolleren Abgang bekommen als Jain, der für all die Tricksereien stand, die die Deutsche Bank Milliarden an Strafen gekostet haben. Auch wenn ihm persönlich nie die direkte Verantwortung nachgewiesen werden konnte.

Cryan hat mit diesem Kapitel nichts zu tun. Er hat die vergangenen Jahre als Europachef des singapurischen Staatsfonds Temasek zugebracht, 2008 bis 2011 war er Finanzvorstand der UBS. Zuvor hatte er für den Schweizer Finanzkonzern jahrelang als Fusionsberater gewirkt, mit Skandalen ist sein Name allerdings nicht verbunden. Nach bisherigem Kenntnisstand ist sein Leumund einwandfrei.

Immer wieder lief er in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten Paul Achleitner über den Weg, Aufsichtsratschef der Deutschen Bank, zuvor Finanzvorstand der Allianz und Deutschlandchef von Goldman Sachs. Die beiden kannten sich also schon seit Ewigkeiten, als Achleitner Cryan 2013 in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank holte. Zunächst um die Expertise des Gremiums zu verbessern. Dann aber muss in Achleitner der Plan gereift sein, ihn als Ersatzkandidaten für die Spitze aufzubauen, falls er die Führung des Instituts opfern muss. Achleitner jedenfalls schätzt an Cryan vor allem dessen "ruhige Art, die tiefe Analysefähigkeit und seine kundenzentrierten Werte", wie zu hören ist.

Insofern dürfte sich Cryan leicht von Jain absetzen können. Denn letztlich geht es darum, verloren gegangene Kardinaltugenden wie Verlässlichkeit und Seriosität wieder mit Leben zu füllen, um den Ruf der Bank wiederherzustellen. Das fängt schon im Kleinen an. Cryan spricht passabel Deutsch, ein Erbe seiner UBS-Zeit. Jain dagegen hatte zwar stets versprochen, die Sprache zu lernen, es aber nie geschafft. Die Dosis Cryan wirkt bereits, wie ein Insider sagt: "Cryan arbeitet anders als Jain. Alles ist es jetzt ruhiger, verlässlicher."

Cryan, so sagen viele in seinem Umfeld, bringt einiges mit von dem, was es braucht, um die Bank zu führen. Strategisches Denken etwa hat er sich in seiner Zeit als Fusionsberater angeeignet. Sein prominentester Mandant war 2006 die niederländische ABN Amro, die erst freundlich mit der britischen Barclays fusionieren wollte, um dann filetiert zu werden.

Der Neue wird die Strategie nicht ändern können, er hat sie selbst mitgenehmigt

Die Zeit als Finanzvorstand hat sein Verständnis für Zahlen und Kosten geschärft - eine Tugend, die er benötigen wird, wenn die Deutsche Bank ihre Kosten in den Griff bekommen will. Und als Temasek-Europachef bringt Cryan die Erfahrung mit, wie es ist, selbst Investor zu sein. Sein Erfahrungsschatz ist groß, und er wird ihn heben müssen. Bis Ende Juli hatten Jain und Fitschen versprochen, Details zu der am 27. April vorgestellten "Strategie 2020" zu nennen. Von der ist bisher nur bekannt, dass die Postbank verkauft und das Investmentbanking gestutzt werden soll. Zu wenig, um die Aktionäre zu beruhigen: Seit der Strategiepräsentation tritt der Aktienkurs auf der Stelle.

Grundlegend ändern kann Cryan die Strategie nicht, schließlich hat er sie als Aufsichtsrat genehmigt. Im Detail freilich kann er Akzente setzen, allen voran beim Stellenabbau. Daher müssen sich die Aktionäre darauf einstellen, dass es länger dauern kann, bis die Bank ihre Strategie mit Leben füllt, womöglich bis nach der Sommerpause. "Cryan will sich nicht treiben lassen", heißt es in seinem Umfeld. Immerhin haben die Investoren den Neuen an der Bankspitze mit einem Vertrauensvorschuss begrüßt. Seit Cryans Ernennung hat die Aktie die Kursverluste wettgemacht, die sie nach dem 27. April erlitten hatte. Aber sie verlangen Antworten auf die Fragen, die sich neben dem Kosten- und Stellenabbau am drängendsten stellen: Was wird aus dem wachstumsschwachen Privatkundengeschäft? Muss das Investmentbanking stärker gestutzt werden? Und hält die Deutsche Bank daran fest, ihren Investmentbankern mehr an Boni zu zahlen als den Aktionären an Dividenden? "Er muss zeigen, dass die Bank ihre Gewinne nicht nur als Boni ausschüttet", sagt der Ex-Chef einer anderen Bank. "Doch das werden die, die davon profitieren, zu verhindern versuchen." "Die", das sind die Mitglieder von "Anshu's Army", jene Investmentbanker, die Jain geholt hat und die ihm stets ergeben waren. Zugleich hängt die Deutsche Bank mangels Alternativen stark vom Investmentbanking ab - und damit auch von "Anshu's Army".

Cryan wird den Spagat zwischen harten Personalentscheidungen und der Stärkung der Ertragskraft meistern müssen. Dass er dabei auch noch Bescheidenheit vorleben und den Kulturwandel vollenden soll, macht die Aufgabe nicht leichter. Irgendwann nämlich werden auch Cryans Vorschusslorbeeren verwelkt sein.

© SZ vom 27.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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