Je mehr Fläche, desto mehr Geld:Millionen für ein paar Körner

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Die Reisbauern in der Camargue sind die größten Nutznießer von EU-Subventionen in Frankreich - und ein Musterbeispiel für den Brüsseler Prämien-Irrsinn.

Michael Kläsgen

Vorne verschlingt das grüne Ungetüm die Ähren, hinten stößt es mit einem Luftwirbel die Spreu aus. Gefolgt wird es von einem Schwarm Reiher, der in dem aufgewühlten Matsch nach Fröschen pickt. Noch eine Runde, dann stoppt der Mähdrescher am Ackerrand, fährt seinen Rüssel aus und spuckt die Körner in einen Container. Reisernte unter dem strahlend blauen Himmel der Camargue, Südfrankreich. In Kürze wird der Bioreis in deutschen Reformhäusern angeboten.

"Selbst in Frankreich weiß kaum einer, dass wir hier Reis anbauen", sagt Michel Gautier. Der Chef des größten französischen Reisanbaubetriebs, Fermes Françaises, sitzt am Steuer eines Geländewagens, der durch den Naturpark im Rhône-Delta schaukelt. Mit der Unkenntnis konnte der graumelierte 55-Jährige gut leben - bis das Landwirtschaftsministerium im fernen Paris auf Druck von Verbraucherschützern, Grünen und der EU eine Liste der größten Nutznießer der EU-Subventionen veröffentlichte.

Gautiers 14-Mann-Betrieb stand mit 872 108 Euro ganz oben auf der französischen Empfängerliste. Sechs weitere Reisbauern in der Nachbarschaft folgten dicht dahinter. Gautier zuckt mit den Schultern: "Das liegt allein an der Hektarzahl." Tatsächlich ist sein Betrieb ein Profiteur der 2003 reformierten EU-Agrarpolitik. Seither gilt der Grundsatz: je mehr Fläche, umso mehr Geld.

"Das ist Protektionismus"

"Reis hat in Europa einfach nichts zu suchen. Das ist ein Skandal", sagt Rudolf Buntzel, Beauftragter für Welternährungsfragen vom Evangelischen Entwicklungsdienst (EED). "Würde der Markt liberalisiert, verschwände das alles. Natürlich ist das Protektionismus." In Frankreich möchte sich so klar kein Experte zu den Reisbauern im Urlaubsgebiet äußern. José Bové, der militante McDonald's-Bekämpfer aus dem Larzac-Gebirge unweit der Camargue, streitet zwar sonst unerbittlich für die Rechte von Kleinbauern in Entwicklungsländern. Zu den südfranzösischen Reisbauern aber sagt er: "Die Subventionen sind gerechtfertigt, solange nicht über die Grenzen der EU exportiert wird. Sonst wäre das Dumping." Auch der alternative Bauernverband Confédération Paysanne ist nur für eine Deckelung der Zuschüsse, die dann aber wieder je nach Anzahl der Beschäftigten überschritten werden kann. Nur EED-Mann Buntzel lehnt die Reis-Subventionen eindeutig ab: "Thailand, Vietnam, andere Entwicklungsländer werden damit vom europäischen Markt ferngehalten und die Löhne der Reisbauern in diesen Ländern nach unten gedrückt."

Zurück im Auto von Gautier sagt der Fermes-Chef: "Es gibt vielleicht etwas, das Sie beschäftigt?". Recht hat er. Der Versicherung Monceau aus Lille gehört das 1200 Hektar große Gut, sie ist somit der eigentliche Empfänger des EU-Geldes. Gautier beteuert, die Versicherung ziehe daraus keinen Gewinn.

Seit dem Verfall des Weltmarktpreises dümpeln Frankreichs Reisbauern in der Krise. Dieses Jahr will der Anbaubetrieb Fermes allerdings erstmals wieder ein Plus von 80 000 Euro erwirtschaften. Trotzdem insistiert die Versicherung, am Reis halte man nur fest, weil man an langfristigen Investitionen wie Immobilien, Grund und Boden interessiert sei. "Monceau wirtschaftet noch nach guter alter Väter Sitte", sagt ein Sprecher.

Der grüne Landwirt Hannes Lorenzen muss am Telefon laut auflachen, als er das hört. "Auch RWE verdient jetzt an der Agrarpolitik, weil sie so viel Land in Nordrhein-Westfalen besitzen", sagt der Europaabgeordnete. Neben dem Energiekonzern profitieren auch die Queen und Fürst Albert II. von Monaco davon.

"Das ist doch Irrsinn", meint Lorenzen. Leider gehen die wahren Eigentümer aus den auf der Internetseite www.farmsubsidy.org veröffentlichten Empfängerlisten nicht hervor. Deutschland und Österreich verweigern übrigens selbst deren Bekanntgabe. Michel Gautier hat nichts gegen die Veröffentlichung der Empfängernamen. "Aber man darf nicht einfach nur die Zahlen in die Welt setzen. Überlegen Sie mal, wir könnten doch einfach die Gesellschaft in drei teilen und wären sofort von der Liste verschwunden. Andere machen das." Stattdessen müsse man den wirtschaftlichen Hintergrund erklären, sagt er. "Sonst hat das was Schockierendes." Er fährt über eine Holzbrücke auf eine Insel im Delta, auf der die Fermes Bioreis anbauen. Äste und Schilf gleiten über die Windschutzscheibe. Aus der Nähe betrachtet sieht der Reis aus wie Weizen. "Auf diese Insel müssen wir zum Beispiel die Erntemaschinen mit einer Fähre übersetzen." Außerdem sind allein vier Angestellte damit beschäftigt, den Wasserpegel vor und nach der Saat konstant zu halten. Das funktioniert über ein Lasersystem. Der Wasserzu- und -abfluss wird über ein oberirdisches Kanalsystem aus Beton kontrolliert, das sauber gehalten werden muss. "Reis ist viel arbeitsintensiver als zum Beispiel Weizen", sagt Gautier.

Von den gut 870 000 Euro bliebe nicht viel übrig. Ein Zehntel davon ginge allein für die Grund- und Bodensteuer drauf. Weitere 300 000 würde die Bezahlung von 14 Personen kosten, die alle an verschiedenen Orten auf dem Gut leben.

Bezahlung des Mikroklimas in einem Biotop

"Vor allem aber ist der Reisanbau unerlässlich, um die Camargue vor der Versalzung zu schützen." Der Reis sorgt für eine stete Süßwasserzufuhr, die den Boden vor der Verödung bewahrt. Eine Behauptung, die von dem staatlichen Institut in agrarbiologischen Fragen Inra in Montpellier gestützt wird.

Aber muss die EU so viel Geld an eine Versicherung zahlen, um das Mikroklima in einem Biotop zu erhalten? "Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass die Region bezuschusst werden muss", sagt der Grünen-Politiker Lorenzen. "Aber man sollte die Subventionen an soziale und umweltpolitische Kriterien koppeln." Das schwebt auch Gautier vor. Noch ist man von dem Ansatz weit entfernt. Der Fermes-Chef weiß, dass Bioreis nicht die Lösung ist. Der lässt sich teurer verkaufen, der Ertrag der Ernte ist aber Jahr für Jahr ungewiss. Nicht einmal Lebensmittelskandale wie kürzlich, als US-Gen-Reis in deutschen Supermärkten gefunden wurde, belebt sein Geschäft. "In den USA werden die Reisbauern ja auch subventioniert", rechtfertigt Gautier die EU-Zahlungen. Ernährungsexperte Buntzel ahnte, dass dieses Argument kommen würde. "Die Subventionen müssen weg", beharrt er. "Dann muss die EU eben Schutzzölle erheben und einen Dumpingfall daraus machen."

© SZ vom 28.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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