Japan in der Krise:Planlos in Tokio

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Japans Regierung hat versagt. So verschlechtert sich die Wirtschaftslage stetig - doch die Unternehmen stecken das weg.

Christoph Neidhart

Japans Zukunft liegt in Asien. Besonders in der wirtschaftlichen Orientierung nach Asien. Im abgelaufenen Quartal haben die fünfzig größten Hersteller Japans erstmals mehr Geld mit dem Export nach China, Indien und in die anderen Schwellenländer verdient, als ihnen Geschäfte mit Europa und den USA eingebracht haben, wie der Nikkei am Montag berichtete.

Trübe Aussichten für Japans Wirtschaft: Die auf Machterhalt fixierte Regierungspartei LDP hat es verpasst, das Land auf die Zukunft vorzubereiten. (Foto: Foto: AFP)

Die Profite aus Exporten in die Schwellenländer haben sich in vier Jahren verdoppelt, jene aus dem Export nach Europa und in die USA sind massiv zurückgegangen.

Für Japan ist das eine gute Nachricht. Eine gewisse Entkoppelung findet statt - zumindest in der produzierenden Industrie. Selbst die acht Autobauer zusammen haben, vor allem dank Hondas Erfolg mit benzinsparenden Modellen in China und Thailand, in den Schwellenländern erstmals mehr verdient als in Nordamerika.

Die japanische Industrie hat die Verschiebung der globalen Gewichte erkannt, sie reagiert. Die Abhängigkeit der Exportnation Japan vom Westen nimmt langsam ab. Japans beste Kunden sitzen in Asien, heute schon und mit jedem Quartal mehr.

Vorsichtiger Ausgleich mit China

Ist Japan auf diese Zukunft vorbereitet? Während seine Industrie aggressiv nach China, Vietnam, Indien und in weitere Länder Asiens expandiert, hat es die Politik - vor allem Junichiro Koizumi, der von 2001 bis 2006 Regierungschef war - versäumt, der wirtschaftlichen Integration Japans bei seinen Nachbarn einen politischen Rahmen zu schaffen und ihr damit zu Stabilität zu verhelfen.

Japan hat damit wichtige Jahre verloren. Erst der im September angetretene Premier Yasuo Fukuda hat begonnen, den Ausgleich mit China zu suchen, um das Versäumte nachzuholen. Allerdings nur zaghaft. Und wer weiß, ob diese Öffnung nach Fukudas allfälligem Rücktritt weitergeführt wird.

In der regierenden liberaldemokratischen Partei LDP sitzen viele Gegner Chinas. Sie trauern dem alten imperialen Japan nach. Um so profane Dinge wie Wirtschaft kümmern sie sich nicht.

Dabei hätte Japan umso bessere Karten, je früher es sich um die Schaffung eines institutionellen Rahmens für die Zusammenarbeit in Ostasien bemühte. Nur: Ist Japan überhaupt auf eine Zukunft vorbereitet? Nach der angeblich längsten Wachstumsphase der japanischen Wirtschaft, die nun zu Ende zu gehen scheint, sitzt Tokio auf einem enormen Schuldenberg, der 150 Prozent des Bruttonationalprodukts umfasst.

Die LDP-geführte Regierung hat es versäumt, die Staatsfinanzen zu sanieren; zugleich hat sie zugelassen, dass ein Drittel aller jungen Leute und viele Bewohner der Provinz keine ordentlichen Jobs mehr finden, sondern als Manövriermasse der Wirtschaft zu Mindestlöhnen arbeiten.

Diese Menschen können für sich keine bessere wirtschaftliche Zukunft erkennen. Dabei verdankt Japan ihnen und dem Aufstieg Chinas sein Wachstum der letzten Jahre; nicht etwa der Politik oder jenen angeblichen Reformen, von denen Premier Junichiro Koizumi fünf Jahre lang redete, aber fast nichts tat. Derweil kann die Zentralbank ihre Leitzinsen nicht senken, weil sie diese seit Jahren zwischen null und einem halben Prozent gehalten hat.

Nostalgischer Blick auf die Vergangenheit

Japans Regierungspartei LDP fürchtet, abgewählt zu werden. Das drohte ihr schon 2005. Nur Koizumis Starappeal hatte ihr die Macht erhalten. Und die Opposition, die keine Alternative bot. Die LDP-Regierung hat deshalb lange nur den Status quo verwaltet, sie wollte ja nichts machen, was ihre Wahlchancen weiter reduzieren könnte, also beispielsweise die Steuern erhöhen. So ist der japanische Staat, anders als seine Wirtschaft, absolut nicht auf die Zukunft vorbereitet.

Ohnehin starren, statt eine Zukunft zu entwerfen, viele in der LDP nostalgisch auf die Vergangenheit. Und mit ihnen weite Teile der Bevölkerung. Ohne jede Vision von einer Zukunft indes kann es keine Wirtschaftspolitik geben, die sich per se an der Zukunft orientieren muss. Und Japans wirtschaftliche Abhängigkeit vom Westen reduziert sich nicht dank der Politik, sondern trotz ihr. Und dank der Weitsicht der Wirtschaft.

© SZ vom 19.08.2008/jpm/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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