Jahreswirtschaftsbericht:Gute Zeiten, noch

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Die Bundesregierung schwelgt im soliden Wachstum - und mahnt. Vor allem die digitale Infrastruktur müsse ausgebaut und Wagniskapital ermöglicht werden.

Von M. Bauchmüller, Ber lin

Sie sind schon jetzt ein Fall für die Geschichtsbücher, die ersten Zeilen des Jahreswirtschaftsberichts. Satz 1: "Deutschland befindet sich auf einem soliden Wachstumskurs." Zwei Zeilen weiter: "Die Arbeitslosigkeit befindet sich auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung." Gleich danach: "Die höchsten Zuwächse seit mehr als zwei Jahrzehnten" bei den Bruttolöhnen. Der Staatshaushalt "im vierten Jahr in Folge annähernd ausgeglichen". Wer später mal wissen will, wie gute Zeiten so aussehen, der muss nur diesen ersten Abschnitt des Berichts lesen. "Der Rest Europas und große Teile der Welt beneiden uns", sagt Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Was wiederum für die Exportnation Deutschland auch schlechte Nachrichten birgt: Wenn es großen Teilen der Welt schlechter geht, interessieren sich auch große Teile der Welt weniger für die deutschen Produkte und Dienstleistungen.

Die ersten Zeilen des Berichts sind deshalb nur ein Teil der Wahrheit. "Es geht uns gut", sagt Gabriel, "aber damit das so bleibt, müssen wir mehr investieren." Vor allem die digitale Infrastruktur müsse das Land ausbauen, mahnt der Bericht. Unternehmen müssten in Zeiten der Digitalisierung Geschäftsmodelle hinterfragen und neue entwickeln. "Ich mache mir Sorgen, ob wir in den nächsten zehn Jahren ausreichend gerüstet sind, um diesen wirtschaftlichen Erfolg fortschreiben zu können", sagt Gabriel. Die Sorge äußert der Minister derzeit bei jeder Gelegenheit. Erst am Dienstag hatte er einen "Modernisierungspakt für Deutschland 2025" geschlossen, mit Parteifreunden, die Wirtschaftsminister in den Ländern sind. "In guten Zeiten, wie wir sie derzeit haben, müssen wir investieren", heißt es darin. Nur so lasse sich der Erfolgskurs halten. Einer der Schwerpunkte auch hier: die Digitalisierung.

Der Jahreswirtschaftsbericht ist immer auch ein Konvolut wirtschaftspolitischer Vorhaben. Der Breitbandausbau findet sich darin, die "Hightech-Strategie" der Bundesregierung, die Pläne für besseren Zugang zu Wagniskapital. Er ist damit auch eine Art Rechenschaftsbericht des Bundeswirtschaftsministers. Der aber zeigt sich nur bedingt zufrieden mit den Aussichten. 1,7 Prozent Wachstum erwartet die Bundesregierung für das laufende Jahr. Doch angesichts niedriger Ölpreise, günstiger Finanzierungsbedingungen und Wechselkurse könne diese Prognose "für eine Exportnation wie Deutschland nicht als überschäumend gut bezeichnet werden", mahnt Gabriel. Allerdings sei die Prognose auch "vorsichtig".

Der Industrieverband BDI geht da weiter, er prognostiziert 1,9 Prozent Wachstum, auch das mit einem Aber. "Nachhaltig ist dieses Wachstum nicht", sagt BDI-Chef Markus Kerber. Die Bundesregierung habe bisher zu wenig getan, um das Land wirtschaftlich stärker zu machen. "Wir erwarten von der Bundesregierung eine Politik für mehr öffentliche und private Investitionen", verlangt Kerber.

Tatsächlich gehen die guten Zahlen vor allem auf den Konsum zurück. Während die Exporte zuletzt zurückgingen, legte die Inlandsnachfrage kontinuierlich zu. Der Regierungsprognose zufolge soll das auch in diesem Jahr so bleiben. Das wiederum deckt sich mit dem jüngsten Barometer der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK): Das Konsumklima bleibt stabil. "Damit trotzt es den zuletzt gestiegenen Risiken", sagte GfK-Experte Rolf Bürkl. Es stabilisiere sich "auf einem insgesamt betrachtet hohen Niveau".

Auch das am Mittwoch vorgelegte Konjunkturbarometer des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) belegt eine Unwucht. Zwar zeichne sich auch im Winterhalbjahr einige Dynamik ab. "Die Entwicklung beruht allerdings nicht auf einem Wachstum in allen Bereichen der Wirtschaft", sagt DIW-Konjunkturchef Ferdinand Fichtner. "Konsumnahe Dienstleistungsbereiche" legten weiter zu, und auch die Zuwanderung von Flüchtlingen mitsamt milliardenschwerer Hilfe belebe die Konjunktur. Die Industrie aber werde die Entwicklung eher dämpfen. Und das führt dann wiederum in den neidischen Rest der Welt: Vor allem die Abkühlung in den Schwellenländern hinterlasse Spuren - vorübergehend.

© SZ vom 28.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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