Italien:So viele rote Ampeln

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Ob Kloschüsseln oder Fliesen: Bei steinerner Einrichtung ist Italien eigentlich führend. Doch weil Straßen fehlen, kriegen sie die Ware nicht abtransportiert.

Von Ulrike Sauer, Bologna

Der Dichter Sir John Harington, ein Freund der Königin Elisabeth I., war seiner Zeit voraus. Er erfand 1596 in Großbritannien das Wasserklosett. Die Idee setzte sich nicht durch. Knapp zwei Jahrhunderte vergingen, bevor 1775 ein Schotte das Patent für diese Toiletten-Gattung erwarb. Eine wahrlich zivilisatorische Errungenschaft. Aber eine, die zu viel Ressourcen verschwendet, findet Augusto Ciarrocchi und hat das WC auf einen neuen Stand gebracht. Goclean nannte der Chef des Sanitärherstellers Flaminia eine Innovation, die das Badezimmer nachhaltiger machen soll: Vor fünf Jahren ließ man den Spülrand in den Klos weg und entfernte damit die versteckten, schwer zu reinigende Zonen in der Keramikschüssel. Gleichzeitig entwickelten die Techniker einen kontrollierten Wasserstrudel, der die glatte Oberfläche besser reinigt. "Das spart Wasser und Reinigungsmittel", sagt Ciarrocchi.

Auf der Keramikmesse in Bologna präsentiert das Unternehmen diese Woche seine Designkollektionen in einer Art Regenwald. Über einen Holzsteg geht es an Waschbecken, Wannen und Bidets vorbei, die zwischen Pflanzen und fließenden Gewässern in Szene gesetzt sind. Das soll der grünen Botschaft des Unternehmens Nachdruck verleihen. Doch solange in den Badezimmern noch alte Toilettengenerationen ihren Dienst tun, gehen mit jeder Klospülung zwölf Liter Trinkwasser den Abfluss runter. Die zeitgemäßen Varianten brauchen hingegen nur drei bis sechs Liter. Jetzt sei die Politik am Zug, meint der drahtige Unternehmer. Wenn der Staat den Eunbau solcher Klos fördert, könnte der Wasserverbrauch schlagartig sinken. "Wir haben überall vorgesprochen, aber uns hört ja niemand an", sagt Ciarrocchi.

Das Klagelied stimmen Italiens Industrielle auf jedem Treffen an. Der Kontrast zwischen zupackenden Unternehmern und oft lähmenden Politikern prägt kein anderes Land in Europa so stark wie Italien. In Bologna laufen die Weltmarktführer der Fliesen- und Sanitärbranche dieser Tage zu Hochform auf. Sie haben seit dem Jahr 2015 zwei Milliarden Euro in Umwelttechnologien und in die Digitalisierung ihrer Fabriken gesteckt. Und erzählen den aus Rom angereisten Politikern deutlich von dem Gefälle. Wobei sich die Besetzung geändert hat: Vor einem Monat erst ist die neue Regierung geformt worden.

An Fliesen denkt hier wohl kaum noch jemand. (Foto: Fabrizio Ceccardi)

Die "Cersaie" ist traditionell eine Leistungsschau der Italiener, die den Markt für innovatives und ästhetisch hochwertiges Steinzeug dominieren. Ihr Umsatz ging 2018 leicht zurück auf 5,3 Milliarden Euro. Die Handelskonflikte belasten das Geschäft der Unternehmen, die 85 Prozent ihrer Produktion exportieren. Die 137 Hersteller brennen im Jahr 415 Millionen Quadratkilometer Steinplatten. Mehr als vier Fünftel der Produktion stammt aus der Gegend um Sassuolo in der Emilia Romagna, wo entlang einer 19 Kilometer langen Straße zwischen der Ferrari-Heimat Maranello und Scandiano das Herz der italienischen Fliesenherstellung schlägt.

Emilio Mussini, Chef von Panariagroup mit 1700 Beschäftigten, ist einer, der diese sehr klassisch wirkende Industrie ein wenig revolutioniert: Seine Öfen in neuen computergesteuerten Fabriken schaffen Unglaubliches: Drei Meter lang, aber nur drei Millimeter dünn sind manche Steinplatten. So nobel kommen solche Oberflächen daher, dass sie auch als Wand- oder Fassadenbeschichtung eingesetzt werden. Und zu schönen Versprechen reizen: "Wir kleiden Architektur in eine dauerhafte, nachhaltige Hülle", sagt Mussini.

Die Fliesen-Innovation ist ein gutes Beispiel dafür, dass Klimaschutz auch mit Rohstoffverbrauch zu tun hat, aber nicht zwingend Verzicht bedeuten muss. Um die gleiche Oberfläche zu bedecken, benötigen dünne Platten nur ein Drittel des Materials herkömmlicher Fliesen: Es wird weniger Tonerde aus der Ukraine oder der Türkei importiert. Der Verbrauch von Wasser und Strom sinken, die Emissionen ebenfalls. Und statt drei Containern füllen die Platten beim Abtransport nur einen. Möglich wurde das durch die Digitalisierung der Fabriken. Bei Panaria kam sie 2012 so richtig in Fahrt, mehr als 100 Millionen Euro hat Mussini seitdem investiert: "Wir arbeiten jetzt schon mit der fünften Generation."

Die Klo-Schüsseln aus Italien sehen noch aus wie stets, auch wenn sie mittlerweile viel besser und sparsamer spülen. (Foto: oh)

Damit ist er nicht allein. 2018 investierte Italiens Keramikbranche 9,4 Prozent ihres Umsatzes und festigte ihren Vorsprung. "Ohne die Digitalisierung hätten wir die heutige Keramik nicht", sagt Vittorio Borelli, Chef des Herstellers Fincibec. Computer gäben den Unternehmen auch die Möglichkeit, extrem kleine Mengen zu produzieren. Das bringt Vielfalt in das Angebot, verkürzt die Zeitspanne bis zum Verkauf der Ware und erhöht damit die Profitabilität. Ästhetisch ist die Branche dadurch ebenfalls in neue Dimension vorgestoßen. Dank digitaler Technologien drucken die Hersteller heute jede beliebige Vorlagen auf ein Blatt Tonerde. Das Ergebnis: Fliesen mit Holz-Look oder Marmor-Optik sind selbst auf den zweiten Blick oft nicht mehr vom Original zu unterscheiden. Die Maschinen imitieren die Natur fast vollkommen, auch das begrenzt den Raubbau an der Natur, sagt Borelli. "Wir erreichen ästhetische Effekte, die unvorstellbar waren", schwärmt er.

Es gibt Fliesen mit Holz-Look oder Marmor-Optik. Sie schauen aus wie die Originale

Es sind dringend nötige Innovationen, denn die Italiener müssen sich auf einem hart umkämpften Markt behaupten. Und leiden dabei unter starke Handicaps. Ihre Stromrechnungen liegen 30 Prozent über denen vieler Konkurrenten. Und die marode Infrastruktur erschwert den Transport. "Unsere Unternehmen knausern nicht mit Investitionen, aber die Institutionen zögern ungerührt unverzichtbare Bauprojekten heraus", klagt Verbandschef Giovanni Savorani zur Messeeröffnung. In Sassuolo verlassen die Hightech-Fliesen die Fabriken - die 4000 dafür notwendigen Lastwagen stecken danach an den vielen Ampeln der Provinzstraße fest. Einen Güterbahnhof gibt es nicht, eine direkte Autobahnanbindung ist seit 40 Jahren im Gespräch. 2018 schien die Zeit für den Baubeginn endlich reif zu sein, doch der damalige Verkehrsminister Danilo Toninelli von den Cinque Stelle verweigerte die letzte Unterschrift und ließ das Projekt in einer Schublade verschwinden. Schlecht waren Italiens Industrielle auch auf seinen Parteikollegen Luigi Di Maio zu sprechen, der als Wirtschaftsminister die Unternehmer vor einem Jahr als "Nehmer" beschimpft hat.

Bei dieser Messe schlägt sein Nachfolger Stefano Patuanelli nun neue Töne an, obwohl auch er den Cinque Stelle angehört: "Wir müssen die Industriepolitik überdenken und dabei Eurem Vorbild folgen", bietet er die Zusammenarbeit an. Richtigen Szenenapplaus aber kassiert die neue Verkehrsministerin Paola De Micheli. Die Sozialdemokratin verkündete, dass sie den Bau des ersehnten Autobahnzubringers genehmigt hat. "Darauf haben wir seit 40 Jahren gewartet", seufzt Savorani.

© SZ vom 27.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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