Italien:Das dicke Ende kommt noch

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Proteste im italienischen Abgeordnetenhaus. Die rechte Regierung stößt mit ihrer Etat-Planung auf großen Widerstand. (Foto: Fabio Frustaci/ANSA via AP)

Italien hat sich mit der EU-Kommission geeinigt, doch der Eil-Haushalt steckt voller Risiken - Ökonomen halten den Etat "für eine Zeitbombe".

Von Ulrike Sauer, Rom

Anfangs verhieß der Staatshaushalt dem Volk ein großes Gefühl: Glück. "Mich interessieren Zahlen nicht, mich interessiert das Glück der Italiener", sagte Luigi Di Maio, Italiens Vize-Premier. Mit diesem Vorsatz zog der Chef der Koalitionspartei Cinque Stelle vor drei Monaten in den Kampf gegen die EU-Kommission. Er wollte dem Land 37 Milliarden Euro neue Schulden aufbürden. Die Herausforderung kam dem Land teuer zu stehen. Sie verunsicherte die ohnehin schwächelnde Wirtschaft und kostet die Italiener nun wegen der sprunghaft gestiegenen Zinsen Milliarden. Kurz vor Weihnachten gab die Regierung dann schließlich nach und unterwarf sich den Zahlenvorgaben Brüssels. 30 Stunden vor dem Jahreswechsel nickten die Abgeordneten den Last-Minute-Etat für 2019 mit einer Begrenzung der Neuverschuldung auf 2,0 Prozent ab. Nicht um das Glück der Italiener war es den Populisten in Wahrheit gegangen, sondern um die Gunst der Wähler und die Festigung ihrer Macht.

Und nun? Nun geht die Partie in die nächste Runde. Italien ist mit der Umkehr der Regierung einem Defizitverfahren entronnen. Doch wenn etwas schieflaufe, könne man die Angelegenheit im Januar neu beurteilen, warnte Valdis Dombrovskis, Vize-Präsident der EU-Kommission. Das bedeutet: Hält sich Rom nicht an die Abmachungen, meldet sich der lettische Hardliner zurück, um Europa vor einer Schuldenkrise Italiens zu schützen. Die Kommission sorgte nur für eine Deckelung des Defizits. Die Haushaltsmaßnahmen wurden in Rom entschieden und sind das Gegenteil dessen, was internationale Institutionen empfehlen.

Da liegt nun das Problem. Während Di Maio den Italienern vorgaukelte, ihr Glück im Sinn zu haben, versprach sein Koalitionsrivale, der Lega-Chef Matteo Salvini, "einen expansiven Haushalt im Zeichen des Wachstums". Auch dieser Vorsatz wurde verraten. Die gefährlichste Schwäche des Etats liegt in der Verweigerung jeglicher Bemühungen, die Wettbewerbsfähigkeit der italienischen Unternehmen zu fördern. "Das Hauptproblem Italiens ist das schwache Wachstum infolge der niedrigen Produktivität. Der Haushalt ignoriert das völlig", rügt der amerikanische Großinvestor Blackrock.

Statt Geld für die Jugend oder die Produktivität auszugeben, schiebt man es Frührentnern zu

Die unabhängigen Budgetprüfer des römischen Parlaments gehen aber noch weiter. Sie bescheinigen dem Haushalt eine "rezessive Wirkung". Damit wäre er Gift für ein Land, das nach Ansicht der Konjunkturforscher zu Beginn des Jahres in die dritte Rezession seit 2008 abrutschen wird. Nach drei Jahren brach der Aufschwung im dritten Quartal 2018 abrupt ab. Den versprochenen Schuldenabbau kann man im Fall einer Rezession wohl vergessen, meinen Experten.

Besonders riskant ist die Flaute vor dem Hintergrund des Endes der Stützungskäufe der EZB, einer erlahmenden Weltkonjunktur, der Sorgen vor einer Welthandelskrise und diffusen politischen Unsicherheiten. Was sich Italien mit 2,3 Billionen Euro Schulden nicht leisten kann, ist das Schüren der Nervosität an den Finanzmärkten.

Drei Monate lang richtete sich die Aufmerksamkeit im Haushaltsstreit zwischen Italien und Brüssel auf das Verhandlungs-Pingpong um die erlaubte Defizithöhe. Leiden wird das Land 2019 unter einer Politik, der die Zukunft gleichgültig ist.

Nur ein Zehntel der Finanzmittel fließt in Investitionen. Die unproduktiven Ausgaben steigen weiter. Statt Geld für die Jugend oder die Produktivität auszugeben, schiebt man es Frührentnern zu. Statt die Unternehmen wie versprochen mit Steuersenkungen zu entlasten, hebt die Regierung die Abgaben um 6,1 Milliarden Euro an. Besonders hart trifft es die Banken, deren Kredite die Konjunktur ankurbeln sollten. Die Investitionen in den Infrastrukturausbau werden um eine Milliarde Euro weiter gekappt. Derzeit sind landesweit 27 Großprojekte blockiert. Ihre Freigabe würde 400 000 Jobs schaffen.

Für Bildung, Forschung und Entwicklung gibt Italien vier Prozentpunkte seiner Wirtschaftskraft weniger aus als die anderen OECD-Industrieländer. Die Regierung spart nun bei den Schulen weitere vier Milliarden Euro. Zukunftsvergessen ist auch der Rückgriff auf die altbeliebten Amnestien für Steuerhinterzieher und Bausünder. Sie sind eine Ohrfeige für ehrliche Bürger und ein Bumerang im Kampf gegen eine italienische Geißel: die Steuerhinterziehung. Dem hoch verschuldeten Staat entgehen im Jahr 108 Milliarden Euro.

Die Regierung hat sich verpflichtet, die Mehrwertsteuer zu erhöhen

Durch die Beilegung des Haushaltsstreits wurde das Schlimmste vorerst verhindert. Doch das dicke Ende kommt noch. "Wir gewinnen mit der Einigung zwischen der EU-Kommission und der Regierung nur etwas Zeit", sagt der Wirtschaftsprofessor Guido Tabellini. Ein Aufschub sei es, aber keine Wende. Der Ökonom Mario Seminerio drückt es drastischer aus: "Das Etatgesetz ist eine Zeitbombe, deren Zündung für 2020 programmiert ist".

Dafür spricht einiges. Zwar senkte die Regierung ihre Wachstumsprognose für 2019 von irrealen 1,5 auf 1,0 Prozent ab. Auch das gilt aber noch als optimistisch. Sie zerstörte zudem die Basis der zurückgewonnenen Glaubwürdigkeit Italiens. Dank der drakonischen Sanierungsmaßnahmen nach der Beinahe-Pleite 2011 wuchsen die laufenden Staatsausgaben zwischen 2013 und 2017 um weniger als ein Prozent im Jahr.

Nun droht ein alarmierender Anstieg. Die Populisten haben das Gros der Finanzierung ihrer beiden Vorzeige-Projekte, dem Aufweichen der Rentenreform und der Einführung des Grundeinkommens, im Verhandlungspoker mit der EU in das Jahr 2019 geschoben. Ein Aufflammen des Streits und neue Turbulenzen auf den Finanzmärkten sind damit vorhersehbar. Die Regierung verpflichtete sich, die Löcher 2020 mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer um 24 Milliarden Euro zu stopfen. Das ist eine bleierne Hypothek.

Gegen die Mogelpolitik regt sich in Italien Widerstand. Nach den Protesten der Unternehmer machen nun die Gewerkschaften, die gemeinnützigen Wohlfahrtsorganisationen, Ärzte, Rentner und die Baubranche mobil. Das Verfassungsgericht wird sich an diesem Mittwoch auf Anrufung von 38 Senatoren der Opposition mit der Frage befassen, ob die Regierung mit dem Erzwingen der Eil-Verabschiedung des Haushalts das Parlament zum Schweigen gebracht und die Demokratie ausgehöhlt hat. Die Abgeordneten stimmten dem 270 Seiten umfassenden Etatgesetz ungelesen und ohne Debatte zu. Vom Glück der Italiener war da längst nicht mehr die Rede.

© SZ vom 08.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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