Italien:Alle gegen einen

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Das Finanzministerium in Rom: Die Beamten sollen Geld für Konsum locker machen statt zu sparen. (Foto: Victor Sokolowicz/Bloomberg)

In Rom eskaliert der Streit über die Haushaltslage. Die Regierungsparteien wollen Wahlversprechen einlösen und endlich Geld an die Bürger verteilen, doch der Finanzminister ist dagegen - und wird zum Buhmann.

Von Ulrike Sauer, Rom

Wo lauern die größten politischen Gefahren für das Wachstum in Europa? Im Brexit und in Italien, antwortet Laurence Boone, die junge Chefökonomin der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Was in dem von Populisten regierten Italien vor sich geht, treibt Boone um. Die Konjunktur schwächelt, die Schulden sind hoch. "Der Staat darf jetzt nicht mit Konsumausgaben künstlich das Wachstum stützen, er muss auf Investitionen setzen", sagt die Französin. Sie warnt auch vor der angekündigten Zurücknahme der Rentenreform.

Die Reaktion aus Rom kommt prompt: "Die sollen sich gefälligst nicht einmischen", blafft Vize-Premier Luigi Di Maio. Der Rüffel war nicht ungewohnt für den Umgang, den die italienischen Koalitionsspitzen mit internationalen Institutionen pflegen. Man benimmt sich so, als hätte sich das Land bereits in die Autarkie verabschiedet. "Fast zwei Drittel der Italiener stehen hinter uns, damit müssen sich die Bürokraten abfinden", polterte Di Maio, Chef der Protestpartei Cinque Stelle, weiter.

Das Ausland verfolgt Europas wichtigstes Schuldenland genau. Bis kommenden Donnerstag muss die Regierung die Eckdaten der Finanzplanung 2019 vorlegen, die dann als Vorlage für den Haushaltsentwurf dient. Und der muss Mitte Oktober bei der EU-Kommission eingereicht werden. Es rückt der Tag heran, an dem Italiens Nationalisten auf ihrer Flucht aus der Realität eine Pause machen müssen.

Die Lega fordert drastische Steuersenkungen und ein früheres Renteneintrittsalter

Der Grund ist banal: Die Haushaltszwänge eines Landes mit einer Schuldenquote von 132 Prozent sind unvereinbar mit dem "Buch der Träume", das Cinque Stelle und die rechtsradikale Lega im Mai verfasst haben. Dem 40-seitigen Gemeinschaftswerk gaben sie den Titel "Regierungsvertrag". Mit der Wirklichkeit hat das nichts zu tun.

In den knapp vier Monaten seit dem Amtsantritt begnügten sich die Koalitionäre damit, ihren großen Hunger auf Posten in Politik und Wirtschaft und ihren Durst nach Konsens zu stillen. Beides gelang ihnen mit außerordentlicher Effizienz. Nun steht den Europa-Gegnern der Praxistest bevor. Und so wird der Ton im Regierungslager von Tag zu Tag schärfer. Die Parteiführer bestürmen den Finanzminister Giovanni Tria mit ihren Etatforderungen.

Die EU-Kommission hatte mit der Vorgänger-Regierung für 2019 einen Abbau des Defizits auf 0,9 Prozent vereinbart. Trias Verhandlungsziel in Brüssel ist es, sich eine Neuverschuldung von 1,6 Prozent genehmigen zu lassen. So stünden zwölf Milliarden Euro zur Verfügung, um den Wählern wenigstens einen Vorgeschmack auf kommende Wohltaten zu servieren. Das aber reicht den Parteien nicht. "Niemand hat den Rücktritt von Tria gefordert, aber ich verlange, dass der Finanzminister einer Regierung des Wandels das Geld für die Italiener auftreibt, die in große Schwierigkeiten geratenen sind", sagt Di Maio. Er will unbedingt die Einführung des versprochenen Grundeinkommens durchboxen. Doch die Anhänger vor den Europawahlen im kommenden Mai nicht zu enttäuschen, kostet 17 Milliarden Euro. Die Lega fordert dagegen drastische Steuersenkungen, die den Staatshaushalt noch stärker belasten würden. Und die Herabsetzung des Ruhestandsalters, um die Rentenreform zurückzudrehen. Von "Investitionen mit hohem Multiplikator", einer Parole aus der Anfangszeit der Regierung, spricht in Rom keiner mehr. Geblieben ist das Gezänk um die Wunschliste von Maßnahmen, die hoch in der Wählergunst stehen und auf Pump finanziert werden sollen. Di Maio fordert: "Vergesst die Dezimalzahlen, denkt an die Personen."

An Tria perlen die Ansprüche ab. Der parteilose Wirtschaftsprofessor wurde bei der Regierungsbildung von Staatspräsident Sergio Mattarella als Garant der Finanzstabilität Italiens durchgesetzt. Seine Aufgabe ist es, die Anleger davon zu überzeugen, dass Italien ein zuverlässiger Schuldner bleibt. Das ist bisher nur zum Teil gelungen. Zwar konnte der Ökonom mit seinen besonnenen Worten die nervösen Märkte immer wieder beruhigen, doch konterkarieren Trias Kabinettskollegen seine Erfolge permanent. Die Risikoprämie für italienische Staatsanleihen hat sich seit Mai verdoppelt. Die Steuerzahler kostet das fünf Milliarden Euro im Jahr. Die Anleger zogen 80 Milliarden Euro aus italienischen Schuldpapieren ab.

Die Androhung eines EU-Strafverfahrens wird die Hasardeure kaum zur Raison bringen. Die Kapitalflucht und die kräftigen Zinsanstiege sind da schon ein wirksameres Druckmittel. Vor zehn Tagen wandte sich Mario Draghi ausnahmsweise direkt an die neue Regierung in Rom. Der EZB-Chef tadelte ihren Hang zu leichtfertigen und widersprüchlichen Ankündigungen. "Leider mussten wir mit ansehen, dass die Worte Schaden in Italien angerichtet haben", sagte der Römer. Nicht nur die Zinsen auf die Staatsanleihen seien gestiegen, sondern auch die Kreditzinsen für Familien und Unternehmen. Die Zeche für das Gerede zahlen alle.

Die Abkühlung der Konjunktur engt Trias Spielraum zusätzlich ein. Italien verbuchte im zweiten Quartal als einziges Land des G7-Klubs eine Verlangsamung des Aufschwungs. Die OECD-Ökonomin Boone senkte ihre Wachstumserwartung für das laufende Jahr von 1,4 auf 1,2 Prozent. Im Juli gingen die Industrieproduktion um 1,8 Prozent und der Export um 2,3 Prozent zurück. Die Anträge auf Arbeitslosengeld stiegen gegenüber dem Vorjahresmonat um 9,4 Prozent.

2019 werde man die "Scheißkerle im Finanzministerium" entlassen, tönt es aus der Regierung

Finanzminister Tria hält den Angriffen der Koalitionsparteien bislang offenbar unbeeindruckt stand. Er verteidigt sein Defizitziel, um ein Absenken der exorbitant hohen Schuldenquote zu garantieren. Denn der Schuldenabbau gilt als wirksame Beruhigungspille für die Finanzmärkte. Sein Argument im Haushaltskampf: Die Neuverschuldung anzuheben, nützt gar nichts, wenn die Milliarden dann für höhere Zinsen draufgehen. In den vergangenen Wochen schienen die Anleger an seine Standhaftigkeit zu glauben.

Dem Tag X nähern sich die beiden Koalitionsparteien in sehr unterschiedlicher Verfassung. Matteo Salvini, Vize-Premier und Lega-Chef, tritt gelassen zum Kräftemessen an. Er hat de facto die Regierungsführung übernommen, obwohl die Lega bei den Wahlen im März halb so viele Stimmen erhielt wie die Cinque Stelle. Di Maios Umfragewerte gehen zurück. Er hat Instantlösungen propagiert, die den Wählern vorgaukelten, alles sei auf der Stelle zu bekommen. Nun muss der 32-Jährige beweisen, dass er die persönliche Situation der Italiener wie versprochen verbessern kann.

Wie nervös Di Maio und seine Leute sind, zeigt die Eskalation der Drohungen. Wenn nicht in letzter Minute das Geld für das Grundeinkommen herausspringe, sei man für eine "Mega-Vendetta" gerüstet, sagt der Regierungssprecher Rocco Casalino - einer Blutrache an den hohen Funktionären in Trias Haus. "Wir werden uns dann im Jahr 2019 darauf konzentrieren, alle diese Scheißkerle im Finanzministerium rauszuwerfen", kündigt der mächtige Kommunikationschef der Cinque Stelle in einem Whatsapp-Audio an. Casalino, der seine Karriere in der TV-Reality-Show B ig Brother begann, beherrschte mit dem Aufreger am Wochenende mal wieder die Bühne. Die Italiener wissen nun schon mal, wer schuld daran ist, wenn sie kein Bürgergeld bekommen.

© SZ vom 24.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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