Investment-Manager Tucker York:"Ich rate zu einer gewissen Gelassenheit"

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Auch starke Kurseinbrüche sollten Anleger nicht allzu sehr beunruhigen, meint Tucker York von Goldman Sachs im SZ-Gespräch.

interview Von Harald Freiberger und Meike Schreiber

Wer sich in die Hände der Vermögensverwalter von Goldman Sachs begeben will, der muss schon ein paar Millionen mitbringen. Weltweit verwaltet die US-Investmentbank 500 Milliarden Dollar für reiche Privatkunden. Tucker York, Chef der globalen Vermögensverwaltung für Privatkunden, über die typischen Fehler von Privatanlegern und warum er keinem Anlageroboter trauen würde.

SZ: S eit Jahren sind die Zinsen so niedrig, dass viele Anleger ihr Erspartes kaum vermehren können. Aktien haben etwa in den vergangenen Jahren eine auskömmliche Rendite abgeworfen. Wenn jetzt die US-Notenbank die Leitzinsen anhebt, könnte sich das Blatt wenden. Empfehlen Sie , die Aktien schrittweise zu verkaufen und wieder stärker in Anleihen umzuschichten?

Tucker York: Als Vermögensverwalter überdenken wir regelmäßig die Anlagestrategie unserer Klienten. Abgesehen davon sind wir aber der Meinung: Wer einen langfristigen Anlagehorizont hat, für den bieten Aktien und aktienähnliche Anlagen weiterhin die besten Renditechancen.

Sie raten also noch nicht von Aktienanlagen ab?

Nein. Die erwarteten Renditen auf Aktien sind heute zwar unterhalb des historischen Durchschnitts. Weil die Zinsen aber nach wie vor niedrig sind, gewichten wir Aktien weiterhin leicht über. Daran ändert sich auch nichts, sollte die US-Notenbank in naher Zukunft nach vielen Jahren die Zinsen erstmals wieder anheben, wovon wir übrigens ausgehen.

Das Zinsniveau in den USA wird dann womöglich über mehrere Jahre über dem in Europa liegen. Hat das Folgen für die Empfehlungen an Ihre Kunden?

Wir berücksichtigen bei den Anlagen stets auch regionale Aspekte. Die Unternehmen des europäischen Leitindex STOXX 50 haben beispielsweise hervorragende Arbeit geleistet, Ordnung geschaffen und ihre Bilanzen auf eine gesündere Grundlage gestellt. Selbst, wenn die Zinsen im Windschatten eines stärkeren Wirtschaftswachstums steigen, sehen die Aktienrenditen dieser Unternehmen unserer Meinung nach relativ attraktiv aus. Unter anderem auf dieser Grundlage haben wir europäische Aktien leicht übergewichtet.

Unterscheidet sich ihre Asset-Allokation für europäische und amerikanische Kunden eigentlich?

Sie ist ähnlich, aber es gibt natürlich auch Unterschiede, etwa bedingt durch die verschiedenen Währungen. Europäische Anleger zum Beispiel sind den Umgang mit verschiedenen Währungen gewohnt; für sie ist das kein Problem.

Die Aktien- und Anleihemärkte sind an manchen Tagen fast ausgetrocknet. Die VW-Aktie etwa brach an zwei Tagen hintereinander um über zwanzig Prozent ein, nachdem der Skandal um die manipulierten Abgaswerte bekannt geworden war. Macht das Ihre Kunden nicht nervös?

Aktien- und Anleihemärkte sind an manchen Tagen fast ausgetrocknet. Dies beschäftigt Anleger und Finanzexperten. (Foto: imago)

Wenn es einem Anleger darum geht, eine strategische Beteiligung an verschiedenen Anlageklassen über längere Zeit hinweg zu halten, dürften sich kurzfristige Marktschwankungen nicht nachhaltig negativ auswirken. Kurz: Ich rate zu einer gewissen Gelassenheit.

Welche typischen Fehler machen private Anleger?

Was ich in meinen 29 Jahren im Anlagegeschäft bei Goldman Sachs gelernt habe, ist, dass es für den einzelnen Anleger sehr wichtig ist, eine eigene Anlagephilosophie zu haben und zu wissen, was er will. In Wirklichkeit lassen Anleger sich aber häufig von Aussagen überzeugen wie: "Ich habe da etwas, womit Sie ohne oder mit wenig Risiko 15 Prozent oder mehr im Jahr machen können." Jeder seriöse Berater würde Ihnen bestätigen, dass dies nicht ohne ein erhebliches Risiko zu machen ist.

Die meisten sind sich dieses Risikos also nicht bewusst, oder?

Das habe ich leider auch festgestellt. Privatanleger sollten sich darauf konzentrieren, dass sie solide Gewinne erzielen können, wenn sie Kapital langfristig unter realistischer Berücksichtigung der Risiken anlegen.

Und was kann ein privater Anleger tun, um eine eigene Anlagephilosophie zu entwickeln?

Er sollte sich über die Märkte informieren und einen professionellen Berater finden, dem er vertraut und zu dem er eine Beziehung aufbaut. Es gibt erfolgreiche Anleger mit ganz unterschiedlichen Philosophien. Was sie eint, ist, meiner Ansicht nach, dass sie von ihrer Philosophie überzeugt sind und egal, ob in guten oder schlechten Märkten, nicht davon abweichen.

Hilft einem vielleicht ein "Robo-Advisor", wenn man noch auf der Suche nach einer eigenen Anlagephilosophie ist? Diese Plattformen für eine automatisierte Vermögensverwaltung werden derzeit von immer mehr Start-ups, aber auch etablierten Banken angeboten.

Das ist ein interessantes Phänomen. Aber dieser Ansatz beurteilt Sie nach nur einigen wenigen, sehr rudimentären Dingen: Ihrem Alter, Ihrem Einkommen und Ihrer Risikobereitschaft. Mit diesen Informationen erhält man kein umfassendes Bild. Und es führt zu einem sehr simplen Ergebnis. Das Anlagegeschäft ist aber ganz und gar nicht simpel. Daher sollte man sehr vorsichtig sein, wenn Anbieter diese Dinge zu sehr vereinfachen. Trotzdem kann dieser Ansatz eine Rolle spielen. Robotergestütztes Investieren automatisiert den Anlageprozess, was durchaus positiv sein kann - es sei denn, man verfällt dieser Technologie vollends.

Wenn wir an Goldman Sachs denken, dann denken wir in erster Linie an die großen Deals, also die Beratung bei Fusionen und Übernahmen. Spielt die Vermögensverwaltung überhaupt eine Rolle?

Vermögensverwaltung ist sehr wichtig für Goldman Sachs. Im Fusions- und Übernahmegeschäft wie auch beim Handel für institutionelle Anleger sind wir seit Langem an der Branchenspitze. Und auch im Vermögensverwaltungsgeschäft sehen wir uns dort. Das ist aber ein Geschäft, das zwar beständig wächst, auch bei uns, allerdings nicht besonders schnell.

Tucker York arbeitet seit 1986 für Goldman Sachs und ist verantwortlich für das Geschäft mit vermögenden Kunden. (Foto: N/A)

Sie könnten andere Anbieter übernehmen . .

. Wir sind mit unseren guten, organischen Wachstumsraten zufrieden.

Wen nehmen Sie als Kunden an? Gibt es eine Untergrenze?

Ja, wir sehen uns als Partner für Klienten mit einem Familienvermögen ab 25 Millionen Euro. Dabei handelt es sich aber nicht um eine absolute Untergrenze. Wir betrachten jeden Klienten individuell. Wir möchten sie über lange Zeit hinweg beraten und nicht alle von ihnen haben von Beginn der Geschäftsbeziehung ein solches Vermögen. Viele Kunden besitzen beispielsweise ein Unternehmen, das sie später möglicherweise verkaufen, und dann können wir sie dabei unterstützen, dieses Vermögen anzulegen.

Viele Wettbewerber drängen in das Geschäft mit Vermögenswerten im mittleren Bereich. Tun Sie das auch?

Nein, das planen wir zurzeit nicht. Wir sind sehr gut darin, Vermögenswerte in dem aktuell festgelegten Umfang zu verwalten.

Die größten Banken Europas - Credit Suisse und Deutsche Bank - wenden sich nun bis zu einem gewissen Maße vom Investmentbanking ab und streben nach Wachstum in der Vermögensverwaltung. Wird es dann eng auf diesem Markt?

Wir sehen gute Wachstumschancen in der Vermögensverwaltung. Daher überrascht es nicht, dass viele Banken in dieses Geschäft drängen. Andere wiederum ziehen sich daraus zurück. Denn Vermögensverwaltung ist zwar ein für alle Beteiligten gutes Geschäft, es erfordert aber viel Können und Aufwand.

Wo schlummern Wachstumschancen?

Ich erwarte solides Wachstum in zahlreichen Regionen: Neben den USA erkenne ich auch große Chancen hier in Deutschland. Das war schon so, als ich vor über 20 Jahren nach Deutschland kam, und das hat sich bis heute nicht geändert. Auch China ist natürlich ein sehr großer und interessanter Markt.

Genau 25 Jahre ist Goldman in Deutschland. Warum haben Sie damals - in der Wendezeit - ein Büro hier eröffnet?

Wir haben für uns große Chancen in Deutschland gesehen, als wir 1990 unser Büro hier eröffneten. Immerhin war Deutschland schon damals ein Land mit einer starken Wirtschaft, in dem wir nicht am Ort präsent waren. Ein Land, das nach dem Fall der Berliner Mauer in einer spannenden Phase der Veränderung und Erneuerung steckte. Wir bauten dann relativ schnell eine komplett ausgestattete Niederlassung auf und boten neben Vermögensverwaltung auch Investmentbanking-Dienstleistungen sowie Wertpapierhandel an.

Was sind Ihre Pläne?

Wir verfolgen sehr ehrgeizige Ziele hier in Deutschland. Was wir jedoch nicht wollen, ist, das Geschäft zu schnell aufzubauen und es dann wieder abwickeln zu müssen, wie einige unserer Wettbewerber es getan haben. Wir sind hier, um zu bleiben.

© SZ vom 19.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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