Topmanager brauchen keine Gehaltserhöhung und Gewerkschaften sollten flexibler werden. Notker Wolf, Abtprimas der Benediktiner, fordert mehr Genügsamkeit von den Deutschen. Sie sollten ihre Gewohnheiten zurückschrauben und arbeiten - egal was. Dies sei besser, als von staatlicher Stütze zu leben.
SZ: Herr Abtprimas, der heilige Benedikt spricht in seiner Regel vom Maßhalten. Haben die Manager die Fähigkeit, das rechte Maß zu finden, verloren?
Notker Wolf: Ich glaube schon. Vielen fehlt die Distanz zu sich selbst, um Maß zu halten. Die Manager lassen sich von der Wirtschaft und vom internationalen Wettbewerb treiben.
SZ: Sind die, die hinter der Schmiergeldaffäre von Siemens stecken, auch nur Getriebene?
Wolf: Nein, das ist ein ganz unmögliches Verhalten. Irgendwann muss einer doch genug haben, um sorgenfrei leben zu können. Ein Top-Manager braucht auch keine Gehaltssteigerung von 30 Prozent. Der bekommt doch schon eine Menge Geld.
SZ: Aber wer hat, will meist noch mehr haben.
Wolf: Ja, und es ist sehr schwer, das zu ändern. Das muss schon früh anfangen, indem wir junge Menschen zur Genügsamkeit erziehen. Das wird dann später zu einer Lebenshaltung, die von innen heraus kommt. Korruption lässt sich durch Gesetze und Sanktionen zwar eingrenzen, aber nicht aus der Welt schaffen. Da muss sich in der grundsätzlichen Einstellung von Managern etwas ändern.
SZ: Spielt soziale Verantwortung in der Wirtschaft heute überhaupt noch eine Rolle?
Wolf: Ach, es ist verheerend, dass Verantwortung kaum mehr wichtig zu sein scheint. Ich finde das entsetzlich, denn diese Leute geben ein ganz schlechtes Beispiel. Sie stellen Ehrlichkeit und Bescheidenheit in Frage. Das führt letztlich zum totalen Egoismus und zur Verwahrlosung und Brutalisierung unserer Gesellschaft. Moral lässt sich nicht gesetzlich verordnen, wenn die Menschen keinen moralischen Stolz mehr haben.
SZ: Die meisten sind stolz auf die Karriere, das Haus, das Auto. Was bedeutet es, moralisch stolz zu sein?
Wolf: Ein Manager könnte doch sagen, Korruption kommt bei mir nicht vor, Schmiergeld gibt es von mir nicht. Ich verzichte auf den Auftrag. Das würde ich als moralischen Stolz ansehen. Natürlich wird es eine Gratwanderung sein, denn Aufträge bedeuten nicht nur Gewinn, sondern auch Sicherung der Arbeitsplätze.
SZ: Was sagen Sie den Managern, wenn sie zu Ihnen kommen?
Wolf: Viele Unternehmen sind in die Brüche gegangen, weil die Vorstandsvorsitzenden an ihren Lieblingsideen hängengeblieben sind. Es ist die Natur des Menschen, dass er an dem festhält, was er einmal erarbeitet hat. Das ist aber Gift, denn es behindert die Fortentwicklung. Ich versuche, das den Managern klarzumachen. Sie müssen loslassen und nach vorne blicken. Sie müssen kreativ und innovativ sein. Stattdessen versuchen die meisten, den Status quo zu halten.
SZ: Das kritisieren Sie auch an den Gewerkschaften. Ist es aber nicht deren Aufgabe, soziale Errungenschaften zu erhalten?
Wolf: Sie sollten schauen, um welche sozialen Errungenschaften es geht. Wenn die Wettbewerbssituation heute anders ist als vor zehn oder fünfzehn Jahren, dann können bestimmte Dinge nicht mehr beibehalten werden. Gewerkschaften sind natürlich notwendig, aber sie müssen flexibler werden und weiterdenken und sich öfter mit den Unternehmern treffen und reden. Gewerkschaften und Arbeitgeber sollten überhaupt mehr miteinander und weniger gegeneinander sein.
SZ: Die Gewerkschaften wollen im nächsten Jahr teilweise acht Prozent mehr Lohn durchsetzen. Halten Sie das für maßlos?
Wolf: Ja, das halte ich für maßlos. Das soll aber nicht heißen, dass die Mitarbeiter nichts bekommen sollten. Wenn sich die Gewinnsituation in den Firmen bessert, müssen auch sie davon profitieren. Allerdings dürfen die Löhne nicht nach oben schießen. Ich kann nur sagen: Leute, behaltet das Ganze im Auge, haltet Maß, damit es uns auf lange Sicht gutgeht.
SZ: Finden Sie es in Ordnung, dass sich Politiker für höhere Löhne einsetzen?
Wolf: Auf gar keinen Fall. Das ist Sache der Gewerkschaften und Arbeitgeber. Die Politiker sollen sich da raushalten.
SZ: An mehreren Stellen der Benediktregel heißt es, man unterlasse das Murren. Murren die Deutschen zu viel?
Wolf: Ja sicher, wegen unserer Anspruchshaltung. Wenn wir nicht gleich bekommen, was wir erwarten, dann sind wir ungehalten. Das ist auch nicht erstaunlich, denn wir haben hohe Ansprüche ja über Jahrzehnte hinweg in Deutschland geschürt.
SZ: "Schraub deine Anspruchshaltung runter." Sagen Sie das auch jemandem, der mit 345 Euro im Monat, das ist Hartz IV, auskommen muss?
Wolf: Die meisten bekommen mehr als 345 Euro, da kommen noch Wohngeld und andere Hilfen hinzu. Die Menschen müssen lernen, bestimmte Gewohnheiten zurückzuschrauben, und sie sollten sich überlegen, was sie an Zusatzarbeit machen können. Arbeiten, egal was, ist immer noch besser als nur von staatlicher Stütze zu leben. Das hat doch etwas mit dem Selbstwertgefühl zu tun.
SZ: Ein Plädoyer für Ein-Euro-Jobs?
Wolf: Das ist für die Menschen besser als der Müßiggang. Wenn jemand lange in einer Elendshaltung als Empfänger staatlicher Hilfen sitzt, dann besteht die Gefahr, dass er sich darin einrichtet.
SZ: Immer mehr Leute brauchen heute aber zwei oder drei Jobs zum Leben.
Wolf: Warum denn nicht? In vielen Ländern würde man darüber gar nicht reden, da ist das schon immer normal gewesen.
SZ: Sie scheuen den Konflikt mit dem Vatikan nicht. Sind Sie ein Revoluzzer?
Wolf: Wenn ich ein Revoluzzer wäre, dann würde ich mit Gewalt etwas ändern wollen. Das möchte ich aber nicht. Ich bin ein freiheitlich denkender Mensch. So wie Friedrich Schiller in seiner Zeit.
SZ: Von Sturm und Drang getrieben?
Wolf: Ja, und das lasse ich mir auch nicht nehmen.
SZ: Brauchen wir mehr Querdenker in Deutschland?
Wolf: Es ist unglaublich, wie wir uns einpassen, wenn wir in einer bestimmten Position sind. Glauben Sie, dem Vorstandsvorsitzenden sagt einer die Meinung? Die meisten verfallen doch in die Bücklings-Haltung.
SZ: Bequemlichkeit oder Angst, welche Kultur macht sich da breit, wenn so viele ihren Mund nicht aufmachen?
Wolf: Das ist eine Kultur der Angst. Natürlich auch Angst um das eigene Näpfchen, weil man ja noch höher steigen möchte. Vielen fehlt die innere Freiheit, um nach außen hin frei aufzutreten. Die Verankerung in Gott macht uns frei. Sie schenkt uns unseren Eigenwert und unsere Würde - unabhängig davon, welchen Stellenwert wir in dieser Gesellschaft haben.