Interview mit dem Chef von Hugo Boss:"Mailand war zu weit weg"

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Bruno Sälzer hat den schwäbischen Modekonzern mit großem Erfolg umgebaut. Nun spricht er über Männer, Frauen, Autos und den besonderen Geist von Metzingen.

Dagmar Deckstein und Elisabeth Dostert

Bruno Sälzer, 49, leitet den Modekonzern Hugo Boss seit 2002 und krempelte den Herrenausstatter seither gründlich um zur Lifestyle-Marke. Mit 1,5 Milliarden Euro Umsatz gehört der Konzern zu den weltweit größten Anbietern von Herrenmode und auch die anfangs defizitäre Damenmode entwickelt sich inzwischen prächtig.

SZ: Herr Sälzer, auf welche Mode müssen wir uns für den Herbst/Winter 2007 einstellen? Sälzer: Auf alles.

SZ: Was heißt das? Sälzer: Wir decken viele Marktströmungen ab. Unsere Kollektionen umfassen mehrere tausend Teile. Unsere Modeaussage ist innovativ und vielgestaltig, die lässt sich nicht so einfach in wenige Worte fassen und es ist sowieso besser man sieht und fühlt unsere Mode.

SZ: Sie gelten als der beste Trendscout des Konzerns .... Sälzer: Quatsch. Es wäre schlimm, wenn das so wäre. Natürlich weiß ich, was in der Welt vor sich geht. Die Hälfte meiner Arbeitszeit verbringe ich auf Reisen, um andere Modemarken zu sehen und die Marktchancen von Boss auszuloten. Ich lasse mich auch von Marken wie Zara oder H&M inspirieren. Die machen tolle Schaufenster. Ich kenne mich vor allem in der Ladengestaltung und in der Inszenierung von Mode aus, aber ich bin ganz sicher nicht der Stoffexperte.

SZ: Deutschland ist im Aufschwung. Was trägt der Mann oder die Frau dazu? Sälzer: Es wird immer behauptet, dass der Aufschwung farbiger ist als die Rezession. Davon halte ich aber nichts. Meine Beobachtung ist, dass die Mode immer feinsinniger und durchdachter ist. Für Mode gilt das Gleiche wie für Autos, in denen steckt heute auch mehr Technik drin als vor zwanzig Jahren.

SZ: Wie zeigt sich das zum Beispiel bei einem Anzug? Sälzer: Es zeigt sich zum Beispiel darin, welche Stoffe verarbeitet werden. Die Stoffe werden hochwertiger, auch empfindlicher und damit schwerer zu verarbeiten. Damit steigen auch die Anforderungen an die Produktion. Die Schnitte werden immer besser.

SZ: Wie tragen Sie dem Trend zur immer stärkeren Individualisierung mit einer Kollektion für alle Rechnung? Sälzer: Im höherwertigen Bereich gibt es schon so eine Art Weltgeschmack. Das ist auch nicht weiter verwunderlich. Ein gutes Hotel, Restaurant oder ein guter Club sieht in Schanghai auch nicht viel anders aus als in Berlin oder Paris, weil sie auch von denselben Menschen, nämlich reisenden Geschäftsleuten, besucht werden. Im gehobenen Segment beobachten wir daher eine globale Vereinheitlichung des Geschmacks.

SZ: Damit entfällt für Sie der Aufwand, Ihre Kollektionen den besonderen Vorlieben von Amerikanern, Europäern oder Asiaten anzupassen? Sälzer: Wir berücksichtigen regionale Präferenzen, aber innerhalb einer Kollektion, die für den Weltmarkt angeboten wird. Die Linie Boss Man etwa umfasst rund drei Dutzend Anzug-Modelle. Davon eignen sich natürlich sechs oder sieben besonders für den amerikanischen Markt, weil sie etwas voluminöser geschnitten sind. Die schmal geschnittenen Modelle werden stärker in Asien nachgefragt. Wir bilden mit einer Kollektion ganz viele Geschmäcker und die ganz großen Modeströmungen ab.

SZ: Ihre Kollektion ist viel farbiger als der grau-blau-braune Einheitslook in den Büros. Da beschränkt sich der Mut zur Farbe dann doch auf die lila- oder rosafarbene Krawatte. Fehlt den Deutschen der Mut zur Mode? Sälzer: Dieses Klischee hat sich überlebt. Die Deutschen präsentieren sich in der Mode nicht schlechter als der europäische Durchschnitt. Im Gegenteil: Für mich gehört Deutschland heute schon zu den eher modischen Ländern. Natürlich sieht ein Italiener im Boss-Anzug häufig noch flotter aus. Aber der deutsche Mann ist heute weitaus besser angezogen als noch vor fünf oder zehn Jahren. Das sehe ich doch im Flugzeug.

SZ: Sie vielleicht in der Business-Class, aber wie sieht es auf den hinteren Rängen aus? Sälzer: Ich sehe die doch vorbei laufen. Der deutsche Mann sieht heute besser aus. Das belegen zwei Entwicklungen: Der Mann trägt heute zum guten Anzug auch einen guten Schuh und anspruchsvolle Accessoires. Die Katastrophen-Kombinationen früherer Jahre - guter Anzug, billiger Schuh, Kunststofftasche - kommen seltener vor. Und der Mann, der im Geschäft einen guten Anzug trägt, kleidet sich auch in der Freizeit wertiger. Der bricht modisch nicht völlig zusammen, wenn er nach Hause kommt. Ich spreche immer nur von Männern, Frauen waren schon immer modebewusster.

SZ: Wie groß ist der Druck, der von deutschen Konkurrenten wie Strenesse, René Lezard oder Orwell ausgeht oder der Schweizer Strellson-Gruppe, die den ehemaligen Boss-Eigentümern Holy gehört? Sälzer: Der Weltmarkt der Mode ist nach wie vor hart umkämpft, weil er kaum wächst. Was wächst, ist das Geschäft mit Accessoires, nicht so sehr mit Bekleidung. Wir schätzen, dass der Modemarkt 2006 um vier Prozent gewachsen ist. Der Weltmarkt für hochwertige Konsumgüter - dazu zählen aber dann nicht nur Mode, sondern auch Uhren, Schmuck, Accessoires, Champagner, Schuhe, Kosmetik und Düfte - wird auf über 100 Milliarden Euro geschätzt. Mode macht vielleicht ein Viertel des Marktes aus. Wir schätzen unseren Marktanteil im höherwertigen Segment der Männerbekleidung auf 14 Prozent. Der Einzelhandelsumsatz von Boss Man liegt bei 2,5 Milliarden Euro.

SZ: Ihre Bemühungen, ihre Abhängigkeit von der Männermode zu lösen, kommen nur langsam voran. Im vergangenen Jahr steuerte die im Jahr 2000 eingeführte Damenmode erst zehn Prozent zu den Erlösen bei. Was hat Sie diese Diversifizierung bis heute gekostet? Sälzer: Weiß ich nicht. Allein in den ersten drei Jahren haben wir 50 Millionen Euro versenkt. Über die Jahre summiert haben wir mit der Damenmode die Investitionen in den Aufbau der Marke noch nicht verdient. Jetzt läuft es aber gut.

SZ: Würden Sie mit dem Wissen von heute ein solches Risiko noch einmal eingehen oder doch lieber eine etablierte Damenmodemarke übernehmen? Sälzer: Nein, ein Zukauf wäre auch aus heutiger Sicht nicht sinnvoll gewesen. Wir brauchen die Damenmode unter der Marke Boss, damit Boss zu einer richtigen Modemarke wird. Deswegen sind wir auch mit der Linie Boss Orange in die Freizeitmode eingestiegen, deswegen verkaufen wir auch Schuhe und Accessoires. Ohne sie brächten wir es heute nicht auf 1,5 Milliarden Euro Umsatz, wovon allein rund 40 Prozent auf das Geschäft mit Freizeitmode entfallen. Die Damenmode hat auch unsere Herrenmode attraktiver gemacht, die weiter stark wächst. Boss ist als Gesamtmarke attraktiver geworden, weil wir in der Mode präsenter sind als früher.

SZ: Aber Sie haben Fehler gemacht, indem Sie die Damenmode anfangs in Mailand angesiedelt haben - und nicht in Deutschland. Sälzer: Mailand war vielleicht etwas zu weit weg, um den Boss-Spirit zu begreifen. Der ist nun mal in Metzingen angesiedelt.

SZ: Was macht denn den Spirit von Metzingen aus? Sälzer: Unsere Mode übertreibt nicht und verkleidet Mann und Frau nicht. Diese Charakterzüge kennzeichnen auch den Konzern. Nicht von ungefähr hat unser Firmensitz hier den Charakter eines amerikanischen Campus.

SZ: Warum ist es eigentlich schwieriger Frauen als Männer anzuziehen? Frauen kaufen doch mehr Kleidung und sind modebewusster. Sälzer: Aber auch anspruchsvoller. Frauen und Mode ist ein natürlicher Zusammenhang wie Mann, Auto und Fußball. Auch vom Körperbau ist Damenmode schwieriger zu machen.

"Unsere Erwartungen waren zu hoch"

SZ: Und welche Lehren ziehen Sie aus dem Aufbau der Damenmode? Sälzer: Wir haben den Zusammenhang zwischen Damenmode und Accessoires unterschätzt. In der Männermode konnten wir ohne Accessoires groß und stark werden. Bei Frauen können Sie ohne Schuhe und Taschen nicht viel ausrichten. Wir haben uns vielleicht anfänglich überschätzt. Unsere Erwartungen, aber auch die der Märkte - der Konsumenten, der Einzelhändler und der Analysten - waren zu hoch. Die konnten wir gar nicht erfüllen. Wir wollten die Damenmode ganz allmählich aufbauen, aber der Markt hat das nicht zugelassen.

SZ: Nun, das Sie realistischer geworden sind. Welches Umsatzpotential sehen Sie für die Damenmode? Sälzer: Wir sind doch jetzt schon größer als die meisten Damenmode-Unternehmen.

SZ: Sie fühlen sich konkurrenzlos? Sälzer: Natürlich gibt es viele Konkurrenten. Armani und Max Mara zählen sicherlich international zu den größten, dann kommen bei Schuhen und Taschen auch andere dazu.

SZ: Zurück zum Marktpotential der Damenmode. Werden Sie die hohen zweistelligen Wachstumsraten der vergangenen beiden Jahre durchhalten können? Sälzer: Sicher nicht. Die Zuwachsraten werden abflachen, aber nicht auf fünf oder sechs Prozent. Langfristig sollte die Damenmode einschließlich Accessoires 30 Prozent zum Konzernumsatz beisteuern. Dass soll schon ein großes Geschäft werden.

SZ: Wie sehen Ihre Wachstumspläne für den gesamten Konzern aus? Sälzer: Wir wollen immer stärker als der Weltmarkt wachsen. Die Umsätze mit Damenmode, Accessoires und in den eigenen Läden sollten überdurchschnittlich zulegen.

SZ: Wie viele eigene Läden planen Sie noch in Deutschland? Sälzer: Weltweit haben wir 210 eigene Geschäfte, in Deutschland derzeit zehn. Der ein oder andere wird schon noch hinzukommen. Für uns ist es wichtig, in den Metropolen der Welt mit eigenen Läden Flagge zu zeigen. Die 50 größten Städte der Welt steuern heute etwa ein Drittel zum Konzernumsatz bei, die 100 größten Städte machen etwa die Hälfte des Geschäfts aus. Auch deshalb investieren wir bevorzugt in großen Metropolen 30 bis 35 Millionen Euro jährlich in eigene Läden. Mode entsteht in den Metropolen.

"Wir brauchen die eigenen Läden"

SZ: Spielt der deutsche Facheinzelhandel für Sie keine Rolle mehr? Sälzer: Doch, natürlich, wir sehen uns nach wie vor als zuverlässigen Partner des Handels. Aber wir brauchen die eigenen Läden, um unsere Kunden noch besser zu verstehen.

SZ: Wann sehen wir die erste Kindermode von Boss? Und wann bringen Sie eine eigene Bettwäsche-Serie auf den Markt? Sälzer: Heimtextilien ergeben für uns keinen Sinn. Das widerspricht unserer Grundidee, binnen zwei, drei Jahren nach der Markteinführung zu den kompetenten und großen Anbietern zu zählen. Bislang haben wir nur so aus Spaß Mode für Jungen gemacht und in ausgewählten großen Hugo Boss Stores angeboten. Die erste komplette Kinderkollektion, die wir bei Boss Orange ansiedeln werden, könnte 2008 oder 2009 auf den Markt kommen. Aber das wird kein riesiges Geschäft.

SZ: Wie sieht es mit einer eigenen Schmuckkollektion aus? Sälzer: Das passt schon besser. Wir bieten bislang Uhren und einzelne Schmuckstücke als Ergänzung zu unserer Mode. Wir können uns durchaus auch eine eigene Kollektion vorstellen. Wir untersuchen gegenwärtig dieses Segment.

SZ: Im vergangenen Jahr haben Sie sich von der Marke Baldessarini getrennt. Wird es nun bei der einen Marke Boss mit verschiedenen Linien bleiben oder denken Sie mittel- bis langfristig über Zukäufe nach? Sälzer: Wir können uns die Übernahme einer Marke durchaus vorstellen. Die Trennung von Baldessarini hatte einen einfachen Grund. Wir haben 15 Jahre lang versucht, ein größeres Geschäft mit der Marke zu machen. Aber am Ende waren es dann doch nur 17 Millionen Euro. Unsere 2004 eingeführte Linie Boss Selection, die preislich auch vierzig bis fünfzig Prozent über der Hauptlinie Boss Man liegt, hat schon im dritten Jahr doppelt so viel Umsatz gemacht. Ein großer bekannter Name ist immer besser als der mühsame Aufbau einer neuen Marke.

SZ: Was heißt das für Zukäufe? Sälzer: Wenn wir eine Marke übernehmen, dann eher eine internationale als eine deutsche Firma. Der Aufbau eines Labels ist zu langwierig und zu teuer.

"Geld ist nicht unser vordringlichstes Problem"

SZ: Wollen Sie mit einer solchen Übernahme neue Geschäftsfelder erschließen? Sälzer: Wir bleiben bei dem, was wir können.

SZ: Halten Sie deshalb an einer Börsennotierung der Boss-Aktie fest, um sich auch beim Streubesitz irgendwann Geld für eine Übernahme holen zu können? Sälzer: Geld ist nicht unser vordringlichstes Problem. Zur Finanzierung einer Übernahme brauchen wir die Börse nicht zwangsläufig.

SZ: Warum sparen Sie sich dann nicht die aufwändige Finanzkommunikation?Knapp 80 Prozent des Stammkapitals sind doch schon in festen Händen? Wann schluckt Sie Ihr Haupteigentümer, die Valentino Fashion Group, eigentlich ganz? Sälzer: Das müssen Sie die fragen.

SZ: Die würde Sie doch sicher in solche Überlegungen mit einbeziehen. Oder sind die Beziehungen zu Ihrer Mailänder Mutter so feindlich? Sälzer: Im Gegenteil. Die sind ganz freundlich zu mir. Wir sind ja auch deren größte und erfolgreichste Beteiligung. Meines Wissens gibt es keine Pläne, für einen Rückzug von der Börse. Wir haben uns an den heißen Atem der Analysten im Nacken gewöhnt.

© SZ vom 13.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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