Tim Wu ist so wunderbar aufgebracht, dass man ihn in diesem Moment gerne in eine Facebook-Vorstandssitzung beamen möchte: "Die großen Firmen dominieren alles", klagt der Medienhistoriker mit dem Kriegerbart in einer Hinterzimmer-Podiumsdiskussion. Die Marktmacht verteile sich auf wenige, Startups gehe es nur noch darum, von Google und Co. gekauft zu werden. "Was ist mit dem Internet passiert, wie konnten wir das geschehen lassen?", fragt Wu verärgert.
Steve Case hingegen wirkt so gelassen, dass man ihn gerne zu Kaffee und Kuchen einladen würde. "In den nächsten zehn bis 20 Jahren werden die derzeitigen Marktführer von jemandem überholt werden", prophezeit der Tech-Investor und ehemalige AOL-Chef Hunderten von Zuhörern bei seinem Auftritt, "Wer weiß, vielleicht sitzt der Gründer hier im Publikum."
Das Internet als Silo der Großkonzerne oder als gesundes Ökosystem, in dem noch genug Platz für Evolution ist: Die Mehrzahl der Besucher des Technologie-Part der South-by-Southwest, so der Eindruck, glauben an die optimistische Variante. Während die wichtigen Akteure des Silicon Valley, der New York Times zufolge die SXSW dieses Mal meiden, füllen Startups aus dem Rest des Landes, internationale Besucher und Digital-Neugierige jeder Couleur das Loch.
Burning Man für Campingfeinde
Das nächste große Ding ist in diesem Jahr zwischen Design-Workshops und Katzencontent-Vorträgen zwar nicht so recht zu entdecken, doch das spielt keine Rolle: Die SXSW, so vermerkt es ein Nutzer des anonymen Mobilnetzwerks Secret, sei ja letztlich vor allem eine Art Burning-Man-Festival für Menschen, d ie keine Lust auf Zelten hätten.
Dabei gibt es zwischen den fleißigen Kontaktpflege-Versuchen, endlosen Warteschlangen und den abendlichen Partys durchaus ernsthafte Themen zu besprechen: Die Snowden-Affäre hat das Vertrauen in die digitale Infrastruktur massiv erschüttert, erstmals trägt bei der SXSW die digitalisierte Zukunft auch dystopische Züge.
Am Montag wird der NSA-Whistleblower per Videoschalte auftreten, er dürfte die Halle ähnlich füllen wie am Samstag bereits der aus London zugeschaltete Wikileaks-Gründer Julian Assange, der in seinem Dauermonolog wenig Neues zu berichten hatte.
Die nächste Revolution hat schon begonnen
Am Ende, das zeigen auch die meist dürftig besuchten Diskussionsrunden zur Online-Privatsphäre, spielt die NSA-Affäre aber ohnehin eine untergeordnete Rolle. Zum einen, weil US-Bürger von den Schnüffel-Aktionen nur am Rande betroffen sind. Zum anderen, weil in Zeiten, in denen Investoren massiv in Technologie-Firmen einsteigen, andere Themen verlockender sind. "Lasst uns den Kapitalismus feiern", rief am Freitag ein ironisch grinsender Google-Chefdiplomat Eric Schmidt auf die 19-Milliarden-Dollar-Übernahme von Whatsapp durch Facebook angesprochen. "19 Milliarden für 50 Mitarbeiter? Gut für sie!"
Ist das alles also erst der Anfang? Zumindest deutet sich an, dass die Entwicklung der Technologie-Branche in eine Phase übergeht, in der ihre Wirkmächtigkeit weit über die digitalen Kommunikationskanäle hinausreicht. "The Second Machine Age", ein vor kurzem erschienenes Buch der MIT-Professoren Erik Brynjolfsson and Andrew McAfee, hat Spuren im Diskurs hinterlassen, die auch auf der SXSW zu verfolgen sind.
Die beiden Autoren prophezeien in ihrem Werk, dass die fortgesetzte Computerisierung und die steigende Lernfähigkeit von Robotern nicht nur weitere Jobs verschwinden lassen werden, sondern zu einer in der Neuzeit kaum gekannten Ungleichheit in den westlichen Industrienationen führen. "Die Frage ist: Was werden Roboter einmal NICHT besser als Menschen können?", prognostizierte Carl Bass, Chef der Softwarefirma Autodesk, auf der SXSW.
Kampf um einen Platz auf der Party
Längst haben die großen Technologiefirmen begonnen, die entsprechenden Zukunftsfelder zu auszuloten. Gibt ihre Finanz- und Entwicklungsmacht den US-Technologiekonzernen einen entscheidenden Vorteil? Und was ist mit der Wut, die aus den sozialen Konsequenzen der nächsten digitalen Revolution folgt? Wird die Abneigung gegen die Tech-Elite, wie sie in San Francisco zu beobachten ist, bald zu einem globalen Phänomen?
Die Antworten folgen derzeit noch der klassischen Logik des Kapitalismus, wie er auch und gerade die Technologiebranche antreibt. "Bildung und Unternehmergeist" nannte Google-Mann und Milliardär Schmidt als geeignete Mittel, um am Fortschritt teilhaben zu können.
Er hätte es auch so formulieren können: Die Party hat gerade erst begonnen; jetzt wird um die Einladungen gekämpft.